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       # taz.de -- Neuer Regierungschef im Kosovo: Der Premier im Dauerspagat
       
       > Der Ex-UCK-Führer Haradinaj wird Premierminister – mit serbischen
       > Stimmen. Serbiens Regierung hält derweil am Haftbefehl gegen in fest.
       
   IMG Bild: Mit der serbischen Minderheit als Stütze steht seine Regierung ganz schön wackelig da
       
       Sarajevo taz | Drei Monate nach den [1][Parlamentswahlen] konnte am Samstag
       endlich eine neue Regierung in Kosovo gebildet werden. Mit der hauchdünnen
       Mehrheit von 62 der 120 Abgeordneten wurde Ramush Haradinaj, der
       umstrittene ehemalige führende Kommandeur der Kosova-Befreiungsorganisation
       UCK, zum neuen Regierungschef gewählt. Hinter ihm stehen die Stimmen des
       Wahlbündnisses aus seiner eigenen Partei Allianz für die Zukunft (AAK) und
       der Demokratischen Partei Kosova (PDK), die ihre Wurzeln ebenfalls in der
       UCK hat.
       
       Doch die Stimmen aus dem Lager der ehemaligen Freiheitskämpfer von 1998/99
       reichten für eine Mehrheit nicht aus. Haradinaj brauchte dazu noch die
       Stimmen von Kleinparteien und die Stimmen der Minderheiten im Lande. Für
       viele überraschend entschlossen sich die 10 Abgeordneten der serbischen
       Minderheit im Kosovo, den von serbischer Seite bisher als
       „Kriegsverbrecher“ titulierten Ramush Haradinaj mit zum Regierungschef zu
       wählen.
       
       Das überrascht um so mehr, als auch noch in den letzten Tagen Serbiens
       Regierung in Belgrad betont hatte, an dem internationalen Haftbefehl gegen
       Haradinaj festzuhalten. Sein Land halte die Vorwürfe weiter aufrecht und
       lasse nach ihm fahnden, sagte der serbische Präsident Aleksandar Vučić.
       
       Anfang des Jahres hatte Serbien – ähnlich wie die Türkei vor wenigen Wochen
       gegenüber dem türkisch-deutschen Schriftsteller Doğan Akhanlı – Interpol
       gegen Haradinaj instrumentalisiert. Der Kosovare wurde in Frankreich
       festgenommen und musste vier Monate dort verbringen, weil Serbien seine
       Auslieferung verlangt hatte. Ein französisches Gericht schlug das nieder,
       unter anderem unter Verweis auf seinen vorherigen Freispruch durch das
       UN-Jugoslawien-Tribunal, und ließ ihn nach Kosovo zurückkehren. Und
       schließlich gewann Haradinaj vor wenigen Tagen den reichsten Mann Kosovos,
       den vor allem in der Schweiz und in Russland tätigen Baulöwen Behgjet
       Pacolli, als Unterstützer. Dessen liberale Kleinstpartei Allianz Neues
       Kosovo wurde durch drei Ministersessel angelockt.
       
       Die Regierung Haradinaj ist somit die erste Regierung Kosovos, die vom
       Wohlwollen der serbischen Minderheit und damit von Serbien, besser gesagt,
       von dessen starkem Mann und Präsidenten Vučić, abhängig ist. Und auch von
       einem zweifelhaften Geschäftsmann, der vor allem eigenen Interessen folgt.
       
       Die Aufgaben, die diese wacklige Regierung lösen muss, sind jedoch
       gewaltig. Nicht nur, dass die wirtschaftliche Entwicklung Kosovos weiter
       hinter allen Versprechen der Parteien hinterherhinkt. Das Land hat mit der
       jüngsten Bevölkerung Europas eine Arbeitslosenrate von bis zu 70 Prozent.
       Haradinaj hat als Oppositionsführer 2016 zudem einen Konflikt mit dem
       Nachbarstaat Montenegro über den Grenzverlauf vom Zaun gebrochen, den er
       jetzt unbedingt lösen muss. Denn die Aufhebung des Visaregimes – die
       Bevölkerung Kosovos benötigt für Reisen ins Ausland weiterhin Visa, anders
       als seine Nachbarn – ist von Seiten der EU an die Bedingung geknüpft, den
       Konflikt mit Montenegro zu lösen.
       
       Die schwierigste Aufgabe ist jedoch, einen Modus vivendi mit der serbischen
       Minderheit und mit Serbien zu finden, ohne sich in Abhängigkeit zu begeben.
       Die von der EU und Serbien geforderte Anerkennung der „Assoziation der
       serbischen Gemeinden“ Kosovos stellt in den Augen der stärksten
       Oppositionspartei Selbstbestimmung unter Albin Kurti die Gründung einer
       serbischen Teilrepublik in Kosovo dar, nach dem Muster der Republika Srpska
       in Bosnien und Herzegowina.
       
       10 Sep 2017
       
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