# taz.de -- Orkan über Norddeutschland: „Sebastian“ – größer als „Irma“
> Ungewöhnlich früh wird die Orkansaison mit einer Sturmflut eingeleitet.
> Von Klimawandel wollen Meteorologen aber nicht sprechen.
IMG Bild: So sollte es am Abend auf den nordfriesischen Halligen mal wieder aussehen: Land unter, hier im Oktober 2013 auf Langeness
HAMBURG taz | Manche Träume erfüllen sich rascher als gedacht. „Sehr
gespannt“ auf sein erstes „Land unter“ auf der Hallig Hooge sei er,
erzählte Michael Engbert am Montag bei einer Wattwanderung mit der taz. Am
gestrigen Mittwoch schon durfte der 25-Jährige, der bei der Schutzstation
Wattenmeer auf Hooge ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) ableistet,
diese Erfahrung machen: Ungewöhnlich früh läutete Orkan „Sebastian“ die
Sturmflutsaison 2017/2018 an der Nordsee ein. Einen solch schweren Sturm
„schon Mitte September“ habe es schon lange nicht mehr gegeben, berichtete
Katrin Brogmus, die auf der Backenswarft auf Hooge eine Pension betreibt:
„Mitte September ist sehr früh, Mitte Oktober wäre normal.“
Doch der Orkan, der am gestrigen Mittwochabend an der deutschen
Nordseeküste seine volle Energie freisetzen sollte, ist der erste in der
neuen Sturmflutsaison, aber er wird nicht der schwerste sein. Das Abend-
und Nachthochwasser war mit 1,50 bis 2,00 Metern über mittlerem Hochwasser
vorhergesagt – eine ganz normale Sturmflut, keine sonderlich schwere (siehe
Kasten). Aber ausreichend, um die weitgehend ungeschützten Halligen an der
nordfriesischen Küste zu überfluten: Hooge, Langeness, Oland, Gröde und
Habel werden spätestens nach 18 Uhr „Land unter“ gemeldet haben, die
kleinen äußeren Halligen Südfall, Süderoog und Norderoog bereits früher.
Und das ist alles andere als romantisch. Katrin und Heiner Brogmus hatten
bereits am Dienstag mit den Vorbereitungen begonnen. Eine Galloway-Kuh mit
einem drei Tage alten Kälbchen holten sie in eine eigene Box im Stall, den
Rest der Herde am Mittwoch. Überall auf Hooge wurden Pferde, Rinder und
Schafe auf die Warften getrieben, die Hühner eingefangen und die Häuser und
Scheunen flutsicher gemacht. Auch die Strandkörbe und Toilettenwagen, die
rund um die Hallig verteilt sind, wurden am Mittwoch auf die sicheren
Wohnhügel gebracht.
Zehn- bis zwölfmal im Jahr ist das so, das gehört zum Leben auf den
Marschinselchen vor der schleswig-holsteinischen Westküste dazu, aber
normalerweise nicht schon Mitte September. Windstärke 12 und mehr und damit
Orkanstärke sagten die Meteorologen übereinstimmend für Mittwoch voraus,
Böen mit bis zu 150 Stundenkilometern. Das Sturmtief „Sebastian“ reicht
zudem von Dänemark bis Norditalien: „Der hat einen Durchmesser von rund 900
Kilometern“, sagt Meteorologe Dominik Jung vom Portal wetter.net, „damit
ist er größer als der Hurrikan Irma, der gerade die Karibik und Florida
heimsuchte.“
Aber, zum Glück, ist Sebastian lange nicht so gewalttätig. „Es pfeift
mächtig und der Regen fliegt hier waagerecht“, berichtet am frühen
Nachmittag Michael Klisch, Leiter der Schutzstation Wattenmeer auf Hooge.
Das werde, so seine Prognose, „ungemütlich“. Auch für die Touristen, die
auf der Hallig festsitzen: Der Fährverkehr wurde Mittwochmittag
eingestellt, auch Helgoland war nicht mehr erreichbar, die Inseln Amrum,
Föhr und Pellworm nur unregelmäßig.
Als Konsequenz der Erderwärmung will Meteorologe Jung den September-Orkan
aber nicht bezeichnen. „Ungewöhnlich und auffällig“ sei der frühe Zeitpunkt
schon, sagt er, aber mit dem Etikett „Klimakatastrophe“ sei er vorsichtig.
Aber wenn sich das in den nächsten Jahren wiederhole, müsse man das
Phänomen neu betrachten.
Eine neue Betrachtungsweise hat auf jeden Fall FÖJler Michael Engbert, der
vom Haus der Schutzstation auf der Hanswarft die Nordsee 100 Meter entfernt
über den Deich schwappen sieht: „Das wird aufregend heute Nacht.“ Genau so
wollte er es ja haben.
13 Sep 2017
## AUTOREN
DIR Sven-Michael Veit
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