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       # taz.de -- Familiennachzug von Geflüchteten: Obergrenze, nach unten offen
       
       > Europarat, UNHCR und die Kirchen fordern ein Recht auf Familiennachzug.
       > Die CSU will ihn aber noch stärker beschränken. FDP und CDU wären dazu
       > bereit.
       
   IMG Bild: Nicht alle haben soviel Glück: der Syrer Ahmed Alsamye mit seiner Tochter in Schleswig-Holstein
       
       Berlin taz | Die Flüchtlinge sind schon vor der Wahl zur Verhandlungsmasse
       künftiger Koalitionäre geworden. Am Montag teilte Bayerns Ministerpräsident
       Horst Seehofer mit, dass das CSU-Ziel einer Obergrenze von 200.000 neuen
       Flüchtlingen pro Jahr „natürlich“ auch deren nachziehende Angehörige
       beinhalte. „Wenn wir die Begrenzung mit gelingender Integration begründen,
       dann ist es zwingend, dass man die Personen insgesamt in den Blick nimmt,
       die in die Bundesrepublik Deutschland kommen“, sagte er.
       
       Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnt eine feste „Obergrenze“ ab, wie sie am
       Montag in der ARD-„Wahlarena“ bekräftigte. Der Unions-Obmann im
       Bundestags-Innenausschuss, Armin Schuster (CDU), kam Seehofer indes
       entgegen: „Ob wir es nun Kontingente, atmender Richtwert oder Obergrenze
       nennen, ist nicht entscheidend“, sagte er der Welt vom Mittwoch. Es müsse
       aber bei der humanitären Zuwanderung „eine konsequente Linie“ gezogen
       werden, um eine Überlastung der Kommunen zu verhindern. Ein solches Limit
       könne in jedem Jahr neu festgelegt werden. „Das können 200.000
       Schutzsuchende in einem Jahr sein, aber auch 100.000 oder 50.000 – je nach
       Lage und Integrationsfähigkeit der Städte und Landkreise“, so Schuster.
       
       Die Bundesregierung hat im März 2016 im Rahmen des „Asylpakets II“ das
       Recht auf Familiennachzug für die Gruppe der vorübergehend
       Schutzberechtigten für zwei Jahre ausgesetzt. Das trifft vor allem Syrer.
       Die Regelung, die von Kirchen und Flüchtlingsorganisationen scharf
       kritisiert wird, läuft im März 2018 aus. Die SPD will den Stopp dann
       beenden. Linkspartei und Grüne hatten ihn stets scharf kritisiert.
       Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat sich aber dafür
       ausgesprochen, den Familiennachzug auch über diesen Termin hinaus weiter
       auszusetzen. Die CSU will ihn ganz abschaffen, die FDP ihn künftig mit der
       Zahl der Abschiebungen verrechnen.
       
       ## Menschenrechte zweiter Klasse
       
       Dabei kritisieren sogar der UNHCR und der Europarat, dass Deutschland – wie
       viele andere europäische Länder – den Familiennachzug eingeschränkt hat.
       Dadurch werde das Menschenrecht auf Familie beschnitten, klagte der
       Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muiznieks, im Juni. Er stellte
       damals ein Gutachten vor, um Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof für
       Menschenrechte zu unterstützen. Die Unterscheidung, ob jemand Flüchtling
       oder ein sogenannter subsidiär Schutzberechtigter ist, hält der
       Menschenrechtskommissar für rechtlich fragwürdig. Dass Letztere beim
       Familiennachzug schlechter gestellt würden als andere Flüchtlinge, sei kaum
       nachvollziehbar.
       
       Wie instrumentell diese Unterscheidung ist, zeigte sich kurz nachdem in
       Deutschland neue Regeln zum Familiennachzug verabschiedet wurden. Plötzlich
       wurden viele Asylbewerber nicht mehr als Flüchtlinge, sondern nur noch als
       subsidiär Schutzberechtigte anerkannt. Dies betraf insbesondere Syrer.
       
       Doch auch für Flüchtlinge mit einem gesicherten Asylstatus gibt es
       Hindernisse. So dürfen nur Eheleute sowie minderjährige Kinder oder deren
       Eltern einreisen. Für ältere Kinder und Geschwister ist der Familiennachzug
       nahezu ausgeschlossen. Außerdem ist es oft sehr aufwendig, die notwendigen
       Papiere zu besorgen.
       
       ## Gift für die Integration
       
       Für Flüchtlinge in Deutschland sind diese Hürden sehr belastend, sagen
       Experten von Kirchen und Flüchtlingsverbänden. Sie müssten in ständiger
       Sorge um die Sicherheit und das Wohlergehen ihrer Angehörigen leben. Das
       führe zu Perspektivlosigkeit und wirke sich auf die psychische Gesundheit
       aus und behindere die Integration in die deutsche Gesellschaft.
       
       Das Recht auf Familiennachzug soll verhindern, dass sich Kinder mit ihren
       Eltern auf eigene Faust auf die gefährliche Reise machen. Rund 50.000
       Angehörige kamen über entsprechende Visa im vergangenen Jahr aus Syrien und
       dem Irak legal und sicher nach Deutschland. Im ersten Quartal 2017 haben
       deutsche Botschaften für den Familiennachzug von Syrern und Irakern bereits
       mehr als 17.000 Visa erteilt.
       
       Die Bild-Zeitung hat einmal ausgerechnet, dass bis zu 390.000 Syrer ihre
       Angehörigen nach Deutschland holen könnten, wenn sie dazu berechtigt wären.
       Das ist aber nur eine Schätzung.
       
       13 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Bax
       
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