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       # taz.de -- Homophobie im Sport: Sexuell verdruckste Zone
       
       > Fußball ist eine der letzten Bastionen der Hetero-Normativität: Sich
       > outen ist für Profis fast unmöglich, „schwul“ gilt noch als Schimpfwort
       
   IMG Bild: Beim Christopher-Street-Day: Mitglieder des schwul-lesbischen Vereins Startschuss.
       
       Bremen taz | Von Sportjournalisten wird gemeinhin angenommen, sie hätten
       einen tieferen Einblick in das Privatleben der Akteure im Profifußball als
       der Normalbürger. In Wirklichkeit sind sie natürlich genauso auf die
       Gerüchteküche angewiesen wie alle anderen. Dennoch ist eine der häufigsten
       Fragen, die ein Sportjournalist in seinem Privatleben gestellt bekommt,
       die, ob dieser Spieler oder jener Trainer denn nun tatsächlich schwul sei.
       Das wissen die Gefragten meist selbst nicht, aber selbst die
       aufgeklärtesten unter ihnen würden es gern wissen. Auch wenn sie beim
       Tatortkommissar oder 100-Meter-Läufer darüber noch nie nachgedacht haben.
       
       Es kann also nicht die reine Prominenz sein, die das gesteigerte Interesse
       an der sexuellen Orientierung von Fußballprofis ausmacht. Was also
       prädestiniert den Fußball besonders dazu, zur Bühne von
       Geschlechtsrollenstereotypen zu werden – ob sie nun mit verschämter Neugier
       oder offenen Homophobie ausgelebt werden?
       
       „Die Forschung hat sich bislang wenig mit Homosexualität und Homophobie im
       (Fußball-)Sport beschäftigt“, laute die Ausgangsdiagnose der
       Forschungsinitiative „Fußball für Vielfalt – Fußball gegen Homophobie“, in
       der die Universität Vechta und die Magnus-Hirschfeld-Stiftung
       zusammenarbeiten, um in diesem Themenfeld verlässliche Erkenntnisse zu
       gewinnen.
       
       Unbestritten in der öffentlichen Diskussion ist, dass Homophobie im
       Fußballumfeld nicht entsteht, sondern hier besondere Bedingungen für seine
       Aktivierung findet. Wer einmal als Schiedsrichter ein Jugendspiel geleitet
       hat und in die wutverzerrten Gesichter von Müttern und Vätern geguckt hat,
       mit denen man vor dem Spiel noch ganz zivilisiert gesprochen hat, hat eine
       Ahnung davon, wie viel Hass dieser Sport freisetzen kann. Ähnliche
       Beobachtungen lassen sich jedes Wochenende in den Stadionkurven machen:
       Menschen auf der Suche nach einem Zauberwort, dass das Gegenüber auf die
       erdenklich verletzendste Art erniedrigen könnte.
       
       Dass dieses Wort im Fußball oft „schwul“ heißt, wird hauptsächlich damit
       begründet, dass im Fußball als Kampfsport das traditionelle
       Männlichkeitsbild besonders verankert ist. Homosexuelle verstoßen demnach
       gegen die Normen des Männlichen, das eindeutig heterosexuell konnotiert
       ist. Um nicht als homosexuell zu gelten, bemühen sich Fußballer demnach, so
       heterosexuell wie möglich aufzutreten – ob sie es sind oder nicht.
       
       Heutige Fußballprofis nehmen reihenweise gelbe Karten in Kauf, um ihren
       athletischen Körper nach einem Torerfolg, trikotlos am Zaun hängend, den
       Fans entgegenzustrecken. Laut Corny Littmann, dem offen schwulen
       Ex-Präsidenten des FC St. Pauli, verhalten sich gerade homosexuelle Spieler
       aus der Angst heraus, enttarnt zu werden, besonders kämpferisch. „Wer
       wissen will, wer schwul ist, sollte auf die Spieler schauen, die die
       meisten Gelben Karten kriegen“, schrieb Littmann.
       
       Die von Klaus Theweleit in seinem Buch „Tor zu Welt – Fußball als
       Realitätsmodell“ noch 2006 angedeutete Hoffnung, die Akzeptanz des
       metrosexuellen Auftretens von David Beckham, der bekannt hatte, gern die
       Unterwäsche seiner Frau zu tragen, deute auf einen neuen Umgang mit
       Sexualitätsformen hin, die in der Pop-Welt des Sports auch die Wahl einer
       schwulen Option ermöglichen könnte, hat sich bislang nicht erfüllt.
       
       Die im Fußball vorhandene Nähe zu anderen Körpern, auf dem Platz, in der
       Kurve und in der Kabine, aktiviert auch im besonderen Maße die Angst vor
       den eigenen homosexuellen Anteilen – die dann auf verbaler Ebene homophob
       umgeleitet werden, gleichzeitig aber auf körperlicher Ebene im
       Spielerknäuel wie im Freudentaumel die wenigen unverfänglichen
       Ausdrucksformen findet. Genauso paradox ist es, dass einerseits
       Homosexualität immer noch als Tabubruch gilt, die homophobe Beschimpfung
       aber ebenfalls, weil sie im Licht der offiziellen, die „Vielfalt“
       bejahenden Positionen der Fußballverbände als rückständig erscheint.
       
       Dieses Phänomen im Kontext der Veränderungen von Rollenbildern,
       Fußballgeschäft und Fankultur zu erklären, wäre die Aufgabe. Ihre Erfüllung
       steht noch aus.
       
       Mehr Geschichten und Interviews über Homophobie und Toleranz im Sport lesen
       Sie in der Nord-Ausgabe der taz.am wochenende oder [1][hier].
       
       15 Sep 2017
       
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