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       # taz.de -- TV-Doku über Kolonie in Argentinien: Fernab der „Weltmenschen“
       
       > Kein Telefon, kein Internet, Stahl- statt Gummireifen auf den Traktoren:
       > Nora Fingscheidt porträtiert eine deutschstämmige Gemeinschaft in
       > Argentinien.
       
   IMG Bild: Kunstvolle Frisuren sind bei den Mennoniten in Durango erlaubt – Haareschneiden aber nicht
       
       Es ist ein Leben wie im 18. Jahrhundert. Die Dokumentation „Ohne diese
       Welt“ aus dem Jahr 2017 handelt von freikirchlichen Mennoniten, die heute
       in Argentinien siedeln. Ein bisschen fühlt man sich beim Zusehen erinnert
       an die Amischen in Pennsylvania – und an Peter Weirs „Der einzige Zeuge“,
       einen der schönsten Filme der 1980er Jahre, in dem die Amischen einem Cop
       auf der Flucht vor seinen korrupten Kollegen Unterschlupf gewähren.
       
       Dort läuft das Leben anders: Gewaltlosigkeit und Genügsamkeit, Verzicht auf
       die vermeintlichen Errungenschaften der Zivilisation. Schwarze
       Einheitskleidung und Pferdefuhrwerke. In der Originalversion des Films
       sprechen die Amischen Deutsch (wenn auch kein authentisches Pennsylvania
       Dutch).
       
       Es ist nicht nur die Einheitskleidung, die Mennoniten und Amische verbindet
       – alle mennonitischen Männer tragen die gleiche dunkelblaue Latzhose. Beide
       Täufergemeinschaften wurden einst in ihrer europäischen Heimat verfolgt.
       Einer der Mennoniten erzählt von einer langen Reise: „Von Holland nach
       Preußen. Von Preußen nach Deutschland. Von Deutschland nach Russland. Von
       Russland nach die USA. Oder Kanada. Von Kanada nach Mexiko. Von Mexiko nach
       Belize, altes Britisch-Honduras. Etliche von Belize nach Bolivia. Etliche
       von Mexiko nach Bolivia. Und wir von Mexiko nach Argentinien.“
       
       Dieser letzte Umzug liegt erst 18 Jahre zurück – alle Erwachsenen der
       Gemeinschaft sind noch in Mexiko geboren. Sie sprechen Plattdeutsch und
       Spanisch (beides wird im Film untertitelt) – den Spanischunterricht in
       staatlichen Schulen sollen ihre Kinder nicht besuchen: „Wenn die Freiheit
       alle ist, dann müssen wir wieder ein anderes Land suchen.“ Wie
       entbehrungsreich auch immer das sein mag.
       
       ## In „die Welt“
       
       „Die Autos, die Radios oder die Spieldinger, Fernsehen, Internet, all dies
       Neumodische ist bei uns verboten. Darauf verzichten wir. Genauso die
       neumodischen Traktoren, die erlauben wir nicht“, erzählen die Mennoniten.
       Stattdessen bleiben sie bei den altmodischen Traktoren. Sie ersetzen deren
       Gummireifen durch Stahlräder – „damit es schwieriger wird, das Leben zu
       bestreiten. Das sind solche Sachen, die unsere Vorfahren eingeführt haben,
       bei denen wir auch nicht ganz verstehen, warum das so sein muss.“
       
       Die Gemeinschaft infrage zu stellen, ist keine Option. „Aber was für die
       Mutter der Kinder sehr schlimm wäre, wenn sie auf einmal sehen muss, ihre
       Kinder, die gehen in ,die Welt'. Das wäre bei uns das Schlimmste.“
       
       Die Autorin Nora Fingscheidt ist in Deutschland und Argentinien zur Schule
       gegangen. Es ist erstaunlich, dass sie diese Menschen vor ihre Kamera
       bekommen hat, die dem Fernsehen und denen, die sie „Weltmenschen“ nennen,
       doch so höflich ablehnend gegenüberstehen.
       
       Fingscheidt bedankt sich, indem sie sie nicht vorführt. Sie zeigt sie in
       langen Einstellungen beim Fahren mit ihren Pferdefuhrwerken und bei der
       Arbeit – besonders oft beim Melken. Sie stellt Fragen, die Fragen aufwerfen
       (die sie nicht stellt): Wie passt etwa die Kindererziehung „mit dem Riemen“
       zum gepredigten Gewaltverzicht? Ist das, was die Mennoniten ihre Freiheit
       nennen, nicht eigentlich eine Form von Totalitarismus? Damit ist Nora
       Fingscheidts respektvoller Blick auf die von ihr beobachtete
       Täufergemeinschaft weit weniger idealisierend als jener von Peter Weir.
       
       18 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Müller
       
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