URI: 
       # taz.de -- Verkehrsexperte über die IAA: „Autos prägen das Image nicht mehr“
       
       > Warum Mütter auf SUVs setzen und sich Elektromobilität noch nicht
       > durchsetzen konnte, weiß Gerd Lottsiepen vom Verkehrsclub Deutschland.
       
   IMG Bild: Elektroautos wären eine Alternative, findet Gerd Lottsiepen – wenn sie denn gebaut würden
       
       taz: Herr Lottsiepen, Sie haben der Internationalen Automobil-Austellung
       2017 „Schizophrenie“ diagnostiziert. Steht es wirklich so schlecht um die
       Autohersteller? 
       
       Gerd Lottsiepen: Ja. Wenn man in die Pressekonferenzen geht und hört, was
       angekündigt wird an positiven Entwicklung, an neuer zukunftsfähiger
       Mobilität, und wenn man dann sieht, was die eigentlichen Stars der
       Messestände sind: Es sind die röhrenden Sportwagen, wie der AMG mit über
       1.000 PS bei Mercedes oder bei VW der T-Rock, noch ein neuer weiterer SUV
       auf Golf-Basis, dann ist man doch enttäuscht. Es wird viel angekündigt,
       aber nach wie vor verdienen die Autobauer ihr Geld mit dicken, fetten
       Kisten.
       
       Wie kommt das? Die Hersteller sagen, es liegt an den Kunden, der Markt will
       es so? 
       
       Die Hersteller schaffen diese Bedürfnisse. SUVs gab es eigentlich bis zur
       Jahrtausendwende nicht. Da ist ein Bedürfnis erst neu geschaffen worden.
       Jetzt klagen alle, dass immer mehr Mütter ihre Kinder in schweren SUVs zur
       Schule bringen und dort für Chaos sorgen. Natürlich hat man eine gute
       Übersicht in diesen Autos, deshalb werden sie auch genutzt, und man glaubt
       dann, dass die Kinder dort besonders sicher sind, stimmt aber gar nicht.
       
       Welche Konsequenzen schlagen Sie vor? 
       
       Wir haben feststellen müssen, dass die Autoindustrie Regeln sehr zu ihren
       Nutzen auslegt. Beim Dieselskandal handelt es sich sogar um Betrug. Die
       Autobauer brauchen knallhartes Ordnungsrecht, in dem vorgeschrieben wird,
       die Wagen dürfen nur noch so und so viel verbrauchen, und es gelten
       Höchstwerte für die Schadstoffe auch auf der Straße und auch im Winter. Das
       muss allerdings dann auch wirklich kontrolliert werden. Das hat in
       Deutschland völlig gefehlt. Das Kraftfahrtbundesamt KBA war für die
       Zulassung zuständig, hat bei der Überwachung geschlafen und ist insgesamt
       seiner Kontrollfunktion nicht nachgekommen.
       
       Was muss sich in den Köpfen tun, vielleicht nicht nur bei der
       Autoindustrie, sondern auch bei den Verbrauchern? 
       
       Bei den jungen Leuten tut sich ja zurzeit tatsächlich einiges, zumindest in
       den Metropolen. Da verliert das Auto an Bedeutung. Immer mehr junge Leute
       nutzen Carsharing oder das Fahrrad, auch weil sie körperbewusster leben.
       Das Eigentum an einem Auto ist nicht mehr so wichtig, es verliert seine
       imageprägende Wirkung. Darauf muss sich die Branche einstellen. Sie tut das
       teilweise schon, etwa Mercedes mit dem Carsharer Car2go, BMW mit DriveNow
       oder Citroën mit Multicity. Der VW-Konzern kommt seit Jahren nicht über das
       Versuchsstadium hinaus.
       
       Wie ist Ihre Prognose für die nächste IAA in zwei Jahren? 
       
       Es wird sich wahrscheinlich bei der Präsentation relativ wenig tun. Deshalb
       wird die IAA wohl weiter schrumpfen. Vor vier Jahren wurden hier vielleicht
       weniger Elektrofahrzeuge gezeigt als in diesem Jahr, aber sie standen im
       Zentrum. Im Shuttleservice fuhren damals 100 Prozent Elektroautos. Heute
       fahren die Shuttles auch wieder mit Diesel und Benzin. Der Citroën C-Zero
       ist ein praktisches, bezahlbares und vernünftiges Elektroauto. Ich sehe es
       nicht auf dieser IAA. VW hat zahlreiche neue Elektrofahrzeuge angekündigt.
       Mal sehen, wie viele davon in absehbarer Zeit tatsächlich produziert werden
       und auf der Straße zu sehen sind.
       
       Wenn Städte oder Verkehrsgesellschaften ihre Flotten auf emissionsfreie
       oder saubere Fahrzeuge umstellen wollen, müssen sie diese Projekte
       europaweit ausschreiben. Nach unseren Erfahrungen meiden oder verlieren
       deutsche Premiumhersteller solche Ausschreibungen, weil sie nicht die
       geforderten Fahrzeuge haben oder weil sie zu teuer sind. Elektrobusse, die
       die Luftbelastung in den Innenstädten mindern könnten, sind von deutschen
       Herstellern nicht lieferbar. Auch wenn das Geld für ihre Beschaffung jetzt
       durch neu aufgelegte Fördermittel vorhanden ist. Da muss sich noch sehr
       viel tun.
       
       18 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christoph Schmidt-Lunau
       
       ## TAGS
       
   DIR Dieselskandal
   DIR Autoindustrie
   DIR Diesel
   DIR Elektromobilität
   DIR Schwerpunkt Chaos Computer Club
   DIR Nachhaltigkeit
   DIR Mobilität
   DIR Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
   DIR Diesel
   DIR Elektromobilität
   DIR Dieselskandal
   DIR E-Autos
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR CCC weist auf Sicherheitslücken hin: Waffeln backen an der Stromtanke
       
       Auf dem Kongress des Chaos Computer Clubs in Leipzig demonstriert ein
       Hacker, wie anfällig die Ladeinfrastruktur für Elektroautos ist.
       
   DIR Wachsender Markt der Elektroautos: Deutschlands Mister E-Mobility
       
       Aachen ist mittlerweile zur deutschen Hauptstadt der Elektromobilität
       geworden. Zwei Professoren setzen hier Innovationen für mehr
       Nachhaltigkeit.
       
   DIR Debatte E-Mobilität: Wettrüsten in der Tiefgarage
       
       Elektroautos vergrößern ständig ihre Reichweite, verschlechtern die
       Ökobilanz und bleiben sündteuer. Es geht anders. Auch in Deutschland.
       
   DIR Verkehrswende in Wahlprogrammen: Mehr Fahrrad wagen
       
       Die meisten Parteien wollen das Fahrrad fördern – nicht so AfD und FDP. Der
       Radclub ADFC möchte dennoch keine Wahlempfehlung aussprechen.
       
   DIR Diesel-Gipfel des Berliner Senats: Mit Tempo 30 gegen Stickstoffidioxid
       
       Am heutigen Mittwoch will der Senat zusammen mit Verbänden und Unternehmen
       Lösungen gegen die hohe Luftbelastung suchen.
       
   DIR Visionen der Internationale Automesse: Die Panne der Zukunft
       
       Auf der IAA dominieren wieder SUVs, Sportwagen mit Verbrennungsmotoren. Die
       meisten Elektrowagen dagegen sind Prototypen oder Showcars.
       
   DIR Kolumne Liebeserklärung: Die IAA ist einfach klasse
       
       Immerhin Europas größte Autoschau tut was gegen das dieselfeindliche Klima
       im Land. Die modernsten Autos sind konsequenterweise nicht zu finden.
       
   DIR Kommentar E-Auto im Wahlkampf: Selbstmord aus Angst vorm Tod
       
       Plötzlich sind alle für das Elektroauto, obwohl es Arbeitsplätze kosten
       wird. Der SPD droht der Verlust ihrer letzten Hochburgen.