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       # taz.de -- Satire im Wahlkampf: Die PARTEI macht Politik nicht besser
       
       > Politik ist bieder, die Medien sind es auch – nur Satire kann die
       > Verhältnisse noch kritisieren, so eine gängige These. Doch sie stimmt
       > leider nicht.
       
   IMG Bild: Shahak Shapira (Die PARTEI) hat AfD-Facebook-Gruppen gekapert. Haha!
       
       Berlin taz | Wer rettet uns vor der Langeweile? – fragen sich die Menschen
       landaus landein, nachdem Mutti Merkel und Gottkanzler(kandidat) Schulz
       vorigen Sonntag im TV-Duell 16 Millionen politikinteressierte Zuschauer mit
       ideenloser Gleichförmigkeit langweilten.
       
       Ist es denn wirklich so eintönig? Immerhin gibt es eine Alternative. Die
       Rettung des politischen Diskurses, so lautet seit vielen Jahren eine häufig
       vorgetragene These, würde allenfalls der Satire gelingen. Wo Politik immer
       verrückter, Medien immer zahmer und der Diskurs immer langweiliger würde,
       da sei die Satire der letzte verbliebene politische Gegenpol. Erst vor
       kurzem diskutierte ein Kollege ebendiese These auf [1][taz.de].
       
       Angeführt wird dann gern der satirische Wahlkampf der PARTEI, der
       Satirepartei des Titanic-Magazins und die kritische Aufarbeitung der
       Regierungspolitik Donald Trumps durch US-amerikanische Late-Night-Talker
       wie John Oliver oder Trevor Noah. Das ist eine Lesart des Öffentlichen, die
       freilich hervorragend ins populäre Klima der allgemeinen
       Politikverdrossenheit passt.
       
       Doch der Reihe nach: Wie steht es eigentlich um die deutsche Satire? Die
       erwähnte PARTEI hat Sonntag Dutzende Facebook-Gruppen [2][der AfD gekapert]
       und dort internen Foren mäßig witzige Namen wie „I love Antifa“ und
       „Hummusliebe“ gegeben. Wow, was für ein Coup: Damit haben Shahak Shapira &
       Co. es den bösen Rechtspopulisten tüchtig gezeigt und satirisch entlarvt,
       dass – Überraschung! – in den entsprechenden Gruppen Hetze betrieben wird.
       
       ## Gefangen im eigenen Gefälligkeitskosmos
       
       Darüber hinaus hat die PARTEI allerdings humoristisch wenig zu bieten.
       Während sich Kançlerkandidat Serdar Somuncu bierernst gibt und im
       [3][Interview mit der taz] ironiefrei die Arbeit des Parteivorsitzenden
       Martin Sonneborn im Europäischen Parlament lobt, muss man hinter Sonneborn
       mit der Lupe nach anderen PARTEI-Mitgliedern suchen, die einem mehr als ein
       Schmunzeln entlocken. Gags, allerdings auch abgedroschene. Insofern ist die
       Satirepartei genauso dröge wie die etablierten Parteien und Medien.
       
       Ähnlich den gescholtenen Parteien und Medien hat sich die deutsche Satire
       in ihren eigenen Gefälligkeitskosmos zurückgezogen. Spartensendungen wie
       „Die Anstalt“ (ZDF) oder der Kabarettist Volker Pispers richten sich an ein
       Publikum, das nicht erst davon überzeugt werden muss, dass der Irakkrieg
       schlecht war und ein Tempolimit auf Autobahnen gut wäre.
       
       Die zur Schau getragene Liebe zu Kabarettisten wie Dieter Hildebrand einst
       galt und gilt unter großstädtischen Intellektuellen als
       Identifikationsmerkmal – in eigener Sache. Außerhalb des eigenen
       Selbstversicherungsmilieus erreichen die vermeintlichen Volksaufklärer
       niemanden.
       
       Und das eigene Publikum in seiner Selbstgefälligkeit angreifen – das käme
       dem deutschen Kabarett kaum in den Sinn. Nie werden die Überzeugungen des
       Publikums hinterfragt. Das wäre dann ja wirkliche Kunst. Auch Jan
       Böhmermann ist ein Unterhaltungskünstler, dessen gefälliger und wenig
       zielgerichteter Fernsehklamauk wenig intellektuelles Reflektionspotenzial
       bietet.
       
       ## Unterhaltung ohne Anliegen
       
       Satiriker ersetzen klassischen Journalismus und Wissenschaft nicht. Sie
       profitieren von diesen Disziplinen. Der [4][„Anstalt“-Beitrag zur
       Elitenvernetzung] bekannter Print-Journalisten geht etwa nicht auf eine
       eigene Recherche zurück, sondern auf die Dissertation des Journalisten und
       Medienwissenschaftlers Uwe Krüger. Auch die vielgelobten
       Late-Night-Aufklärer in den USA recherchieren ihre Inhalte nur teilweise
       selbst.
       
       In der Sendung „Last Week Tonight“ widmet sich Moderator John Oliver in bis
       zu zwanzigminütigen Segmenten wöchentlich großen Missständen in der
       US-amerikanischen Gesellschaft, greift Themen auf, etwa zu Kredithaien oder
       zu Masseninhaftierung von kleinen Drogenverkäufern. Dabei bedient er sich
       fast durchweg journalistischer Beiträge, die lokale Zeitungen und
       Rundfunkanstalten recherchiert haben. Er ersetzt also keinen kritischen
       Journalismus, sondern ist dessen Nutznießer.
       
       Im Übrigen verspricht Donald Trump – genau wie bei den herkömmlichen Medien
       – Clicks und Quote, weshalb jeder Satiriker, der den US-Präsidenten durch
       den Dreck zieht, auf ein großes Publikum hoffen kann. US-amerikanische
       Satiriker sprengen die Trumpsche Mediendialektik also keineswegs. Ohne
       jedes Anliegen lacht man sich in die politische Tragödie und kommt hinter
       den Kulissen auch gut mit dem politischen Gegner aus. So ist der linke
       Late-Night-Talker Bill Maher seit Jahren privat mit der extrem rechten
       Kommentatorin Ann Coulter befreundet. Politische Berichterstattung ist also
       in erster Linie Entertainment.
       
       Die Überhöhung politischer Satire gegenüber Medien und Politik zeigt auch
       eine ungesunde Einstellung gegenüber demokratischen Institutionen. Denn wer
       nur noch Satirikern Glaubwürdigkeit zuspricht, ist gedanklich auch nicht
       mehr weit weg von #lügenpresse. Dann lieber Langeweile.
       
       5 Sep 2017
       
       ## LINKS
       
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   DIR [2] /Anti-AfD-Aktion-der-Partei-Die-Partei/!5444275
   DIR [3] /Serdar-Somuncu-ueber-Politik-und-Satire/!5429003
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       ## AUTOREN
       
   DIR Jörg Wimalasena
       
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