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       # taz.de -- Hip Hopper machen Politik: Mit Coolness gegen Drögheit
       
       > Raphael Hillebrand tritt mit seiner Partei „Die Urbane“ bei der
       > Bundestagswahl an. Rappend, tanzend und malend will sie Brücken in die
       > Politik bauen.
       
   IMG Bild: Raphael Hillebrand: Ein tanzender Strahlemann will in die Politik
       
       Raphael Hillebrand sitzt mit übergeschlagenen Beinen auf dem Sofa. Um ihn
       herum entsteht eine Geräuschkulisse: drückender Bass, Mikrofoncheck eins,
       zwo, eins, zwo. Von irgendwo kommt das Scratchen einer Schallplatte.
       Hillebrand spricht über HipHop und Politik. Kommt er in Redefluss, legt
       sich eine gewisse Euphorie über seine helle Stimme. Mit strahlend weißen
       Zähnen sagt er dann Dinge wie: „Diese Kultur schafft Wunderbares.“ Aber
       schafft sie auch Politik?
       
       Hillebrand ist Mitbegründer der ersten HipHop-Partei Deutschlands. Vor
       knapp sechs Monaten verspürte er erstmals den Drang, sich politisch zu
       engagieren. „Ich wusste einfach nicht mehr, was ich wählen soll“: So fing
       es an. Ein kultureller Anker müsse her, mit dem man sich in der Politik
       verkanten könne. Die Wahl fiel ihm nicht schwer: Es musste HipHop sein.
       
       Um zu verstehen, worum es der Partei geht, müsse man einen Blick in die
       Bronx der 70er Jahre werfen, erklärt der 35-Jährige: marginalisierte Leute
       aus der Unterschicht, die sich durch HipHop selbst ermächtigten,
       Demokratisierung vorantrieben, „voice to the voiceless“, nennt er das.
       HipHop galt denen als Sprachrohr, die keine Stimme hatten. Viel zu vielen
       werde auch heute noch nicht zugehört, da könne die Rückbesinnung auf HipHop
       Abhilfe schaffen.
       
       „Es geht uns um die Grundwerte dieser Kultur, die wir in die Politik tragen
       wollen.“ Kulturelle Vielfalt, soziale Gerechtigkeit, machtkritische
       Perspektiven. Rappend, tanzend und malend: mit Coolness dem drögen
       Politikalltag entgegenwirken.
       
       ## Seriös und cool
       
       Hillebrand will mit seiner Partei Grenzen verschwinden lassen. Er wirkt
       nicht wie ein typischer HipHopper, ist aber auch alles andere als ein
       typischer Politiker. Unter seinem Sakko trägt er ein weißes T-Shirt mit dem
       Parteilogo. Auf orangefarbenem Grund steht in weißen Lettern der Parteiname
       „Die Urbane“ mit dem Zusatz „Eine HipHop Partei“. Es ist auf Streetart mit
       Schablone und Sprühdose orangefarben designed. Dazu trägt er schwarze
       Sneakers und eine dunkle Anzughose. Sein Auftreten wirkt wie ein
       Mittelding: dekadent und leger, seriös und cool. HipHop und Politik.
       
       Am 1. Mai dieses Jahres gründete sich „Die Urbane“. Heute hat die Partei
       284 Mitglieder und neben Berlin Landesverbände in Niedersachsen, Hamburg
       und Sachsen.
       
       Wahlkampf geht hier so: Breakdancebattles, Rapchallenges, Theaterspielen
       und Graffiti-Workshops. Zwischendurch unterhält man sich über Politik. Man
       wolle so Brücken bauen, nicht nur für junge Leute, meint Hillebrand. „Unser
       ältestes Mitglied ist 71. Der trägt keine Baggy Pants und hat mit
       Sicherheit auch keine Rap-Platten zu Hause. Aber er kann sich mit den
       Werten identifizieren.“ Die HipHop-Partei hofft auf mindestens 0,5 Prozent.
       
       ## Fokus auf Bildung und Kultur
       
       Bei der Frage, was HipHop sei für ihn, funkeln Hillebrands Augen. Kurze
       Pause. Dann sprudelt es heraus. Euphorisch spricht er von der „tollsten
       Kunstform, die es gibt“ und der „facettenreichsten Kultur“. Er ist in
       Berlin mit HipHop aufgewachsen. „Ich bewege mich wie ein Roboter, drehe
       mich auf dem Kopf und renne Wände hoch. Das sind Sachen, die ich lebe und
       die sowohl zu meiner als auch zur Identität der Partei gehören“, sagt er,
       der selbst Choreograf und Breakdancer ist.
       
       Wie das genau aussehen soll, beschreibt das 31-seitige Wahlprogramm, das –
       das Rapklischee durchbrechend – nicht mit Worten fern der bürgerlichen
       Kinderstube übersät ist. Zusammengefasst liest es sich wie folgt:
       Waffenexporte und Kriege stoppen, Fokus auf Bildung und Kultur. Heißt
       konkret: Ausstieg aus der Nato, somit Kriege eindämmen, Rüstungskosten
       einsparen und das frei gemachte Budget im Bundeshaushalt in Bildung und
       Kultur investieren.
       
       So weit die Rechnung. Da steht also Großes auf der Fahne. In den Schulen
       dann auch bitte den HipHop präsenter miteinbeziehen. Breakdance im
       Sportunterricht, Graffiti in Kunst und Rap-Lyrics als Literatur.
       
       ## Ist HipHop in der Politik glaubwürdig?
       
       Aber genau wie Rapper es schwer haben, in die Charts zu kommen, wird es die
       HipHop-Partei schwer in der Politik haben. Ist es nicht zunächst einmal die
       Aufgabe, Glaubwürdigkeit und Seriosität hineinzubekommen? Zu zeigen, dass
       sich hier kein frustrierter Haufen Halbstarker, aufmuckend mit großer
       Schnauze, gegen die ungerechte Welt aufzulehnen versucht, so wie es in den
       Siebzigern begann: als Widerstand gegen soziale Benachteiligung?
       
       Um Zweifel an der Glaubwürdigkeit gehe es überhaupt nicht, findet
       Hillebrand: „Wir stehen für Werte ein, die einfach jeden betreffen. Wir
       bieten bloß einen anderen Zugang. Auch denen, die von Politik abgeschreckt
       sind.“
       
       Dieser Zugang mag aber auch untypisch für die HipHop-Kultur wirken, die
       sich so oft das Originelle patentiert, das Gegen-den-Strom-schwimmen als
       Stimme gegen die Mehrheit. Warum begibt man sich dann in ein solches
       Schema, institutionalisiert sich und macht es eigentlich denen gleich, die
       man gerade noch kritisiert hat?
       
       Raphael Hillebrand denkt kurz nach und holt dann mit ernster Stimme aus:
       „Natürlich verlässt man so ein bisschen das, wo man hergekommen ist. Aber
       HipHop ist nicht mehr gegen den Strom, wir sind der Strom geworden.“
       Pathetisch fährt er fort: „Wir müssen uns so weit strecken, wie es geht,
       ohne dass wir den Kontakt zur Wurzel verlieren.“ Also: Keep it real, yo!
       
       Daher ist zunächst die größte Aufgabe, die Grenze zwischen HipHop und
       Politik aufzulösen und die ernst zu nehmenden Berührungspunkte
       herauszuarbeiten. Vielleicht schafft Die Urbane es ja so tatsächlich,
       Trendsetter zu sein für coole Politik. Mit Parteimitgliedern, die nicht
       mehr nur Lindner, Spahn und Grütters heißen. Sondern auch mal SirQlate,
       MKOne und DJ Hype.
       
       18 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Max Nölke
       
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