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       # taz.de -- Rechtswidrige Abschiebungen: Italien ist unzumutbar
       
       > Das Verwaltungsgericht Oldenburg hat beschlossen, dass die Abschiebung
       > eines Ivorers nach Italien rechtswidrig ist. Die Zustände dort seien zu
       > schlimm.
       
   IMG Bild: Das Staatsversagen können Hilfsorganisationen in Rom nicht auffangen.
       
       HAMBURG taz | Italien verletzt systematisch die Europäische
       Menschenrechtskonvention. Das berichten Flüchtlingshilfsorganisationen. Das
       Verwaltungsgericht Oldenburg hat deshalb einen Beschluss gefasst, der
       vorsieht, Geflüchtete vorerst nicht mehr dorthin abzuschieben.
       
       Ihnen drohe in Italien, „bei einem Leben völlig am Rande der Gesellschaft
       obdachlos zu werden und zu verelenden“, schreibt der vorsitzende
       Verwaltungsrichter Andreas Keiser in dem Beschluss. Er beruft sich dabei
       auf zwei gleichlautende Beschlüsse des Verwaltungsgerichts
       Baden-Württemberg und des Bundesverwaltungsgerichts.
       
       In dem Fall, der auch Auswirkungen auf zukünftige Urteile haben dürfte,
       geht es um die Abschiebung eines Ivorers nach Italien, der dort bereits
       internationalen Schutz bekommen hat. Das Gericht erklärte die Abschiebung
       per Eilentscheid für rechtswidrig, bis der Europäische Gerichtshof
       entschieden habe, ob Abschiebungen nach Italien generell mit der
       Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar sind.
       
       Derzeit erreichen weit weniger Flüchtlinge Italien als noch vor zwei
       Jahren, weil sie vor Verlassen des afrikanischen Kontinents von
       Grenzpatrouillen oder Milizen aufgehalten werden. An den katastrophalen
       Zuständen in den italienischen Städten hat sich allerdings nicht viel
       geändert. Viele Geflüchtete leben auf den Straßen oder an Bahnhöfen und
       betteln, um zu überleben.
       
       In einem Recherchebericht zu den Aufnahmebedingungen vor Ort, auf den sich
       auch das Verwaltungsgericht Oldenburg bezieht, schreibt die schweizerische
       Flüchtlingshilfe, das italienische Sozialsystem sei völlig unzureichend
       entwickelt, Integrationsprogramme fehlten weitgehend, ein Integrationsplan
       existiere nicht.
       
       ## Anstehen für Essensbons
       
       Dass die sozialstaatlichen Defizite von Nichtregierungsorganisationen und
       Kirchen aufgefangen werden könnten, sei nicht erkennbar. Wer nach Italien
       zurückgeschickt werde, sei nach Abschluss seines Asylverfahrens
       hauptsächlich damit beschäftigt, seine Elementarbedürfnisse zu sichern:
       „Anstehen bei einer NGO oder Kirche für Essensbons, Anstehen für ein
       Sandwich, Suche nach einem Schlafplatz für die Nacht, Suche nach einer
       Waschmöglichkeit.“ Dabei müssten große Distanzen zu Fuß zurückgelegt
       werden, häufig mit Kleinkindern im Schlepptau.
       
       Zu der Bewertung, Abschiebungen nach Italien seien unrechtmäßig, sind auch
       andere Verwaltungsgerichte schon gekommen. Beachtenswert an dem Oldenburger
       Urteil ist jedoch, dass das Gericht in „ständiger Rechtsprechung“ handelt –
       das heißt, wenn die Voraussetzungen ähnlich sind, müssen Richter*innen
       Einzelfälle zukünftig gar nicht mehr prüfen, sondern können sich auf den
       Beschluss berufen.
       
       Der Sprecher des Oldenburger Verwaltungsgerichts, Manfred Burzynska,
       betonte trotzdem, dass es sich um einen Einzelfall handele. Als solcher ist
       er für zukünftige Entscheidungen nicht bindend – Richter*innen können dem
       Beschluss folgen, müssen es aber nicht. Die Grundsatzentscheidung muss der
       Europäische Gerichtshof in Luxemburg treffen.
       
       ## Nichts mit „Hort der Menschenrechte“
       
       Der Vorsitzende des niedersächsischen Flüchtlingsrats, Kai Weber, begrüßte
       den Beschluss, sagte aber auch, dass sich daran die Erosion und die
       Fragwürdigkeit des europäischen Asylsystems zeige. Im Fall des Ivorers war
       Italien ganz klar für den Schutzsuchenden zuständig. Doch wenn der
       Europäische Gerichtshof urteilen sollte, dass ein Leben als Geflüchteter
       dort nicht zumutbar ist, wäre das hinfällig.
       
       „Einige EU-Staaten wie Italien oder Ungarn behandeln die Geflüchteten so
       schäbig, dass sie das europäische Asylrecht außer Kraft setzen“, sagte
       Weber. Davon abgesehen, dass das ein politischer Eklat wäre, stellt sich
       dann laut Weber die Frage, auf welches Fundament sich Europa überhaupt noch
       stellen könnte.
       
       „Wenn Länder wie Italien systematisch gegen die Menschenrechtskonvention
       verstoßen – was soll Europa denn noch sein, wenn nicht der Hort der
       Menschenrechte, als den es sich immer bezeichnet?“
       
       20 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Schipkowski
       
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