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       # taz.de -- Die Wahrheit: Aus Prinzip schwierig
       
       > Die Woche der verschwundenen Politiker (3): Was bleibt von Petra Kelly
       > (Grüne), der „Jeanne d'Arc des Atomzeitalters“?
       
   IMG Bild: Ihr verstörendes Finale hat Kelly dauerhaft vom Platz an der deutschen Erinnerungstafel verdrängt
       
       Erst war sie da, dann war sie weg – so knapp könnte man das Leben der Petra
       Kelly zusammenfassen. Man würde dann zwar der Lebensleistung jener Frau,
       die seinerzeit die „Jeanne d’Arc des Atomzeitalters“ genannt wurde,
       eventuell nicht vollständig gerecht.
       
       Auch vergäbe man großzügig die Chance, die Geschichte der alternativen
       siebziger und achtziger Jahre unter besonderer Berücksichtigung der
       Gründung und Entwicklung der Partei „Die Grünen“ erneut exemplarisch
       aufzurollen – was, ehrlich gesagt, ein äußerst reizvoller Gedanke ist! Also
       das Vergeben dieser Chance.
       
       Freilich müsste man darauf verzichten, aus der schillernden Biografie der
       schmallippigen Frau mit dem trauer- und tränenumflorten Blick politische
       Lehren für das Hier und Jetzt zu ziehen; müsste einer Erörterung der
       komplexen Zusammenhänge zwischen flammendem Idealismus und brennendem
       Ehrgeiz, missionarischem Gestaltungsdrang und delikatem Charakter oder eben
       auch hell loderndem Wahn und trüb funzelnder Wirklichkeit entsagen. Und das
       ist in turbulenten Vorwahlzeiten wie diesen, in denen wir dem Wesen des
       Politischen verzweifelt nahezukommen trachten, keine realistische Option.
       
       ## Erst war sie da, dann war sie weg
       
       Der Chronist, der sich dieser gigantischen, ja gargantuesken Aufgabe
       ergibt, hat allerdings ein Problem, wenn er sich an nichts mehr erinnert.
       Rein gar nichts! Oder jedenfalls kaum etwas. Weil es ihm, salopp gesagt,
       mit Petra Kelly genauso geht wie Petra Kelly mit ihrem Leben: Erst war sie
       da, dann war sie weg. Total weg. Verschwunden. Jede Erinnerung an sie in
       Tiefschlaf gefallen, ausgelöscht und weggewischt! Doch dann plötzlich, 25
       Jahre später, wie ein böser Geist: der Anruf der Redakteurin. Ob man denn
       nicht über Petra Kelly schreiben könnte?
       
       Würde man natürlich gern, wenn man sich nur erinnerte! Aber wo finge man an
       – etwa am Ende? Mag das nicht jemand anderes übernehmen? Kann sich denn
       sonst niemand an Petra Kelly erinnern? Und was gäbe es schließlich zu
       finden, wenn man etwas tiefer in den Gedächtnissen herumschürfte? Gut,
       einige Senioren haben gewiss noch schemenhaft ihr schmerzumwölktes Gesicht
       vor Augen, ihre leicht strubbelige Kurzhaarfrisur, den Habitus der
       kämpferischen, am Unrecht der Welt leidenden Frau, für den der viel
       belachte Begriff der „Betroffenheit“ wie eigens erfunden schien.
       
       Ausgewiesene Politikfreaks wissen auch, dass sie zur Gründergeneration der
       Grünen zählte und die Partei 1983 mit Leuten wie Schily, Vollmer und
       Fischer in den Bundestag führte – wahrlich kein Ruhmesblatt, aber immerhin
       Leute, die im Unterschied zu Kelly im nächsten Jahrtausend weiter von sich
       reden machten. Der ein oder andere Gedächtniskünstler mag sich sogar an
       Titel wie „Ikone der Friedensbewegung“ und „grüner Hoffnungsschimmer in
       einer grauen Welt“ erinnern oder an die talentierte und hoch ambitionierte
       Aktivistin, die bereits mit 25 Jahren den Posten einer Verwaltungsrätin der
       Europäischen Kommission bekleidete.
       
       ## Per Du mit dem Dalai Lama
       
       Von Historikern erfährt man, dass Kelly als Kind unbedingt Nonne werden
       wollte, dass ihre Aversion gegen Radioaktivität auf den Krebstod ihrer
       Schwester zurückging und sie zwischendurch für den „Schutz des ungeborenen
       Lebens“ focht. Außerdem kassierte sie zentnerweise Preise, war mit den
       Großen dieser Welt wie dem Dalai Lama per Du und ließ sich trotzdem ständig
       von Polizisten aus Sitzblockaden tragen. Ihre Beliebtheit in der eigenen
       Partei sank jedoch, nachdem sie sich als erste grüne Parlamentarierin dem
       Rotationsprinzip verweigert hatte und auch sonst als schwierig erwies. Aus
       Prinzip.
       
       Dass man sich an all dies nicht nur schlecht, sondern auch ungern erinnert,
       hat wiederum mit dem Ende zu tun. Als ihr politischer Stern 1992 schon
       gesunken war, nach Verlust ihres Bundestagsmandats und einer gescheiterten
       Kandidatur für den Parteivorsitz, wurde Kelly von ihrem Lebensgefährten,
       dem pazifistischen Exgeneral Gert Bastian erschossen, ehe er sich selbst
       das Leben nahm. Viele sagen: Wahrer Pazifismus sieht anders aus.
       
       Dieses verstörende Finale hat Petra Kelly dauerhaft vom Platz an der
       deutschen Erinnerungstafel verdrängt – in die ökopazifistisch unterfütterte
       Erfolgsgeschichte des Landes passt sie damit kaum. Ohne dieses Ende würde
       man sie vielleicht heute noch eine große Heulsuse, Streberin und Nervensäge
       nennen. So ist es einfach nur geschmacklos. Und schade aber auch! Wie gern
       hätte man Petra Kelly bei irgendwelchen Affären ertappt, sie in die Fänge
       der Korruption geraten sehen oder superdick werden wie Joschka Fischer.
       Auch das wurde durch ihr merkwürdiges Ende versemmelt.
       
       Was wird also bleiben? „Gewalt hört da auf, wo die Liebe beginnt“, sagte
       sie 1985 vor der UN-Jugendversammlung. Und vor der Gandhi Foundation 1988:
       „Ein gerechtes Ziel lässt sich nicht mit ungerechten Mitteln erreichen.“
       Wer möchte da widersprechen? Höchstens ein krasser Gewaltfreund oder ein
       hochrangiges Mitglied der Ungerechtigkeitsliga. Wenn die sich an die
       Verschwundene denn noch erinnern könnten.
       
       20 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Mark-Stefan Tietze
       
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