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       # taz.de -- Trump beschließt das Ende von DACA: Dreamer werden kämpfen
       
       > Überall in den USA protestieren Menschen gegen das Ende des
       > „Dreamer“-Programms, das junge Menschen legalisiert hat. Eindrücke aus
       > New York.
       
   IMG Bild: AktivistInnen werden festgenommen, nachdem sie den New Yorker Verkehr blockiert haben
       
       New York taz | Paola Soria hat bis zum letzten Moment gehofft, dass Donald
       Trump es ernst meinte, als er herausposaunte: „Ich liebe die Dreamer. Sie
       sind wunderbar.“ Aber jetzt hat sie die Gewissheit, dass er ein Lügner ist.
       Während der Justizminister das sofortige Ende der Aufenthaltsgenehmigungen
       für junge Einwanderer, die als Kinder ohne Papiere ins Land gekommen sind,
       verkündet, drängt sich die 20-Jährige Biologiestudentin ganz nah an ihre
       Freundin Karla. Die hält ein Handy zwischen ihre beiden Köpfe. Gemeinsam
       lauschen sie der Erklärung, die ihre Träume ruiniert.
       
       Die beiden jungen Frauen sind „Dreamer“, sie wollten die befürchtete
       Hiobsbotschaft nicht allein durchleiden. Deswegen sind sie an diesem
       Dienstagmorgen zu der vergoldeten Sherman-Reiterstatue am Rand vom Central
       Park gekommen, zwei Blocks von Trumps Wolkenkratzer entfernt, der rund um
       die Uhr von Polizei und Geheimdienst abgesperrt ist. Bevor der alte Mann im
       Justizministerium in Washington spricht, treten zu Füßen der Reiterstatue
       junge Leute aus vielen Ländern des amerikanischen Kontinent ans Mikrofon.
       Alle haben Jahre zwischen Bangen und Hoffen verbracht, zwischen der Angst
       vor Abschiebung in ein Land, das sie nicht kennen, und der Hoffnung auf den
       „amerikanischen Traum“.
       
       Dann kam 2012 und mit ihm der erste Hoffnungsschimmer für eine legale
       Existenz in den USA. Nachdem im Kongress wieder einmal eine
       Einwanderungsreform gescheitert war, dekretierte damals Präsident Barack
       Obama im Alleingang ein Aufenthaltsrecht für junge Leute, die als Kinder
       „illegal“ ins Land gekommen waren. Er verstand die „verschobene Aktion für
       Ankünfte im Kinderalter“ (DACA) als Übergangslösung, bis der Kongress
       einwanderungspolitisch handlungsfähig werden würde. Und er befristete die
       Genehmigungen auf jeweils zwei Jahre, danach müssen die Anträge erneut
       gestellt werden. 800.000 junge Leute kamen seither in den Genuss von einem
       DACA.
       
       Paola ist eine typische Vertreterin dieser Generation. Sie ist gebildet,
       ambitioniert und eine Hoffnungsträgerin ihrer Familie. Sie will
       Kinderärztin werden. Doch an diesem Tag steht sie unter dem Schock der
       „grausamen und unmenschlichen Erklärung“ aus Washington. Sie ist so
       deprimiert, dass sie selbst das berufliche Ziel korriert, auf das sie
       hingearbeitet hat: „Ich wollte Kinderärztin werden. Wer weiß, ob das jetzt
       noch möglich ist.“
       
       ## Keine neuen Anträge möglich
       
       Jeff Sessions, der alte Mann an der Spitze des Justizministeriums, hat sich
       dafür hergegeben, an Trumps Stelle das Ende von DACA mit sofortiger Wirkung
       zu verkünden. Ab sofort kann niemand, der bei der papierlosen Ankunft in
       den USA jünger als 16 war, mehr einen Antrag auf ein neues DACA stellen.
       Und jene, die bereits ein DACA haben, wissen, dass sie in maximal zwei
       Jahren jederzeit abgeschoben werden können.
       
       Die jungen Leute, die sich am Fuß der Reiterstatue versammelt haben, kennen
       das Leben ohne Aufenthaltsgenehmigung. Fast alle sind nach der Schule in
       ein tiefes Loch gefallen. Sie durften nicht legal arbeiten, durften keinen
       Führerschein machen. Die Universitäten blieben ihnen verschlossen oder
       verlangten von ihnen die höheren Studiengebühren für „Auswärtige“, die für
       sie unerschwinglich waren. Nun stellt Paola sich auf weitere Tiefschläge
       ein: „Dies ist ein neues, gigantisches Hindernis auf meinem Weg.“ Sie ist
       in die USA gekommen, als sie vier war. Das Land ihrer Vorfahren kennt sie
       nicht. Und obwohl der Justizminister sie als „Illegale“ bezeichnet,
       versteht sie selbst sich als „Amerikanerin“. Obwohl sie kein Wahlrecht und
       bislang nur wenig Erfahrungen mit politischen Aktivitäten hat, will sie in
       den nächsten sechs Monaten versuchen, den Kongress umzustimmen. „Der Kampf
       ist nicht zu Ende“, sagt sie.
       
       Sofia Ruales hat zusammen mit ihrer Schwester Erica, ihrem Vetter Marlon
       und ihrer Freundin Dayana auf ein Handy gestarrt, während Sessions sprach.
       Der hat zur Begründung der Abschaffung von DACA jene Argumente genannt, mit
       denen rechte US-Amerikaner seit fünf Jahren dagegen protestieren. DACA sei
       ohne Beteiligung des Kongress entstanden und daher verfassungsfeindlich,
       meint er. Und behauptet, dass „Hunderttausende Amerikaner“ durch die
       „illegalen Fremden“ von ihren Arbeitsplätzen verdrängt worden seien.
       
       Das Projekt einer Einwanderungsreform wollen er und Trump nun wieder
       dorthin zurückgeben, wo sämtliche vorausgegangenen Reformen gescheitert
       sind: in den Kongress. „Reine Politik“, kommentiert die 24-jährige Sofia
       über die Kongressabgeordneten: „Ihnen geht es nicht um uns, sondern
       ausschließlich um die Frage, wie viele Wähler sie gewinnen oder verlieren
       können. Das ist einfach nur entzweiend und egoistisch“.
       
       ## Hinter Kongress versteckt
       
       Am Dienstag Abend bläst Trump, der sich am Morgen hinter Sessions versteckt
       hat, einen Tweet in die Welt, in dem er sich hinter dem Kongress versteckt.
       „Der Kongress hat sechs Monate Zeit, DACA zu legalisieren“, schreibt er
       darin, „sollte das nicht klappen, werde ich die Sache erneut überprüfen.“
       Für die Betroffenen bedeutet dies, dass sie erneut die Kontrolle über ihr
       Leben verlieren. Sofia will sich nicht mit dieser Rolle abfinden. Sie ist
       im Alter von acht aus Ecuador in die USA gekommen. Seit sie das DACA bekam,
       hat sie Wirtschaftswissenschaften studiert und möchte eines Tages in den
       Vereinten Nationen arbeiten. An diesem Tag trägt sie ein Transparent, auf
       dem eine Faust mit der Aufschrift „Unterstützt DACA“ abgebildet ist.
       
       Als der Justizminister zu Ende geredet hat, setzen sich die Demonstranten
       in Richtung Trump Tower in Bewegung. In Sprechchören kündigen sie an, dass
       die USA ihr Land sind. Dass sie bleiben werden. Und sie verlangen, dass
       Trump und Pence gehen. Im Gegensatz zu den meisten anderen gleichaltrigen
       US-Amerikanern sind sie zweisprachig und sie kennen mehrere Kulturen. Sie
       rufen ihre Slogans auf Englisch und auf Spanisch, und sie geben Interviews
       in beiden Sprachen. Während sie ihren langen Aktionstag in New York
       beginnen, starten überall im Land ähnliche Aktionen: So ziehen in Denver
       und in Phoenix Schulklassen auf die Straße, in DC füllt sich der Vorplatz
       des Weißen Hauses und Kirchen und Universitäten organisieren Proteste.
       
       Bei der Ankunft vor dem 58 Stockwerke hohen Trump Tower blockieren zehn
       junge Leute die Fifth Avenue. Der 29-jährige Alvaro Aguilar ist einer von
       ihnen. Er ist mit 14 in die USA gekommen und hat seither bei jedem
       Wahlkampf gehört, wie Politiker neue Einwanderungsgesetze versprochen
       haben, die anschließend im Kongress gescheitert sind. Erst nach 2012 bekam
       Alvaro erstmals einen legalen Status, den er jetzt wieder verlieren soll.
       „Wir sind es leid“, sagt er, „wir wollen einfach nur normal leben:
       studieren, arbeiten und uns um unsere Familien kümmen. Sie haben keinen
       Respekt für uns.“
       
       ## Keine Angst vor Repression
       
       Die zehn jungen Leute von der Gruppe haben eine Anwaltsnummer auf ihre
       Unterarme notiert, bevor sie sich auf der Kreuzung mit der 56. Straße auf
       den Asphalt setzen und unterhaken. Sie wissen, dass sie eine Festnahme
       riskieren. Schon nach wenigen Minuten rücken von allen Seiten Polizisten
       mit Plastikhandschellen an. Aus einem Lautsprecher läuft in Endlosschleife
       die Botschaft: „Sie befinden sich unrechtmäßig auf der Fahrbahn und
       behindern den Autoverkehr. Wenn Sie jetzt nicht freiwillig gehen, wird ein
       Verfahren wegen ordnungswidrigen Verhaltens gegen Sie eröffnet.“ Die jungen
       Demonstranten halten mit Slogans dagegen. „Keine Papiere – Keine Angst“ ist
       einer davon. „Wir gehen nicht mehr weg“ ein anderer. Kurz bevor ein
       Polizist ihn fesselt und abführt, sagt Alvaro: „Wir wollen uns nicht länger
       verstecken und schweigend leiden. Wir haben keine Angst mehr.“
       
       Inmitten von Tausenden jungen DemonstrantInnen, die am Straßenrand hinter
       den von der Polizei aufgestellten Absperrgittern stehen und Slogans rufen,
       steht eine 58-jährige Frau. Lupita Arreola ist für diesen Tag aus Arizona
       eingeflogen, um in der Nähe ihrer Tochter zu sein, die jetzt in Handfesseln
       von der Sitzblockade abgeführt wird. Die Tochter ist Psychologin und hat
       ein DACA. Über dem Haupt der Mutter, die seit 20 Jahren in den USA lebt,
       hängt ebenfalls das Damoklesschwert einer Abschiebung nach Mexiko. Ihre
       Tochter winkt ihr aus der weißen Polizeiwanne zu, bevor Polizisten von
       außen die Hintertüre verriegeln. Die Mutter winkt zurück. „Ich habe viel
       mehr Angst als sie“, sagt sie stolz: „Sie ist mutig und kämpferisch und sie
       verteidigt das, woran sie glaubt.“
       
       6 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dorothea Hahn
       
       ## TAGS
       
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