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       # taz.de -- Kolumne Minority Report: Klingt das nach „Free Willy“?
       
       > Warum wir Freiheit für alle 161 derzeit in der Türkei inhaftierten
       > Journalist*innen fordern, wenn wir „Free Deniz“ sagen.
       
   IMG Bild: Sonntagmittag in Berlin: Geburtstagskorso für Deniz Yücel.
       
       Es ist nicht ganz ein Jahr her. Vielleicht waren es elf oder zwölf Wochen
       nach seinem 43. Geburtstag. In Istanbul waren gerade die ersten
       Schneeflocken gefallen, als er mit großen Schritten zum Gate des
       Berlinfliegers eilte, seine schwere Sporttasche auf den Boden schmiss und
       mich amüsiert ansah: „Dich treffe ich auch nur am Atatürk-Flughafen! Wohnst
       du hier, oder was?“ Ich rang mir ein Lächeln ab, und räumte den Sitz neben
       mir frei.
       
       Deniz sah müde aus, überarbeitet. Mir ging es nicht besser, ich kam gerade
       von einer Beerdigung. Wir kannten uns nicht besonders gut, obwohl wir fast
       zwei Jahre in derselben Redaktion gearbeitet hatten. Aber das Thema Türkei
       gab immer genug Gesprächsstoff her, so dass wir uns jedes Mal
       verquatschten, wenn wir uns zufällig am Flughafen begegneten.
       
       Er war traurig, weil seine Freundin gerade nach Deutschland gezogen war und
       er als Korrespondent in Istanbul bleiben musste. Obwohl, er musste gar
       nichts. „Hast du keine Angst?“ fragte ich ihn, immerhin saß zu dem
       Zeitpunkt bereits die halbe Cumhuriyet-Redaktion hinter Gittern. Er zuckte
       mit den Schultern. An den genauen Wortlaut seiner Antwort kann ich mich
       nicht erinnern, aber er sprach von Verantwortung, und dass er die Türkei
       und seine Kolleg*innen nicht im Stich lassen könne. Er liebte seinen Job.
       Er nahm ihn ernst. Das imponierte mir sehr.
       
       ## Kritik an der Protestkampagne
       
       Heute feiert Deniz Yücel seinen 44. Geburtstag in der Haftanstalt
       Istanbul-Silivri, wo er seit über sechs Monaten sitzt. Eine Anklageschrift
       gibt es immer noch nicht. Niemand weiß, warum er dort ist. Wahrscheinlich
       hat er seinen Job einfach zu gut gemacht, immerhin sitzen in Silivri gerade
       einige der besten Journalist*innen des Landes.
       
       In Berlin haben Deniz' Freund*innen heute einen Autokorso ihm zu Ehren
       veranstaltet, sind in guter alter Kanakentradition trötend durch die halbe
       Stadt gefahren, bis zum Kanzleramt. Damit wir ihn nicht vergessen. Und
       damit wir auch die 161 weiteren Journalist*innen nicht vergessen, die in
       der Türkei derzeit in Haft sind.
       
       Ich erinnere mich, wie kurz nach Deniz Yücels Festnahme wild diskutiert
       wurde über die sehr spontane „Free Deniz“-Kampagne. Vor allem in Kreisen,
       die ihm recht nahe sind. „Darf man ‚Free Deniz‘ rufen? Klingt das nicht
       verniedlichend, so nach ‚Free Willy‘?“, fragten manche.
       
       Eine bekannte Medienkritikerin wiederum gab zu Bedenken, dass man mit „Free
       Deniz“ alle anderen inhaftierten Journalist*innen außer Acht ließe, nur
       weil sie nicht für deutsche Medien arbeiteten. Fragen, die durchaus
       berechtigt waren, aber die heute, mehr als sechs Monate später, niemand
       mehr stellt. Heute solidarisieren sich selbst die, die für Deniz persönlich
       vielleicht nie viel übrig hatten.
       
       ## #freethemall
       
       Denn sei es in Form von Briefen, die Deniz selbst aus dem Gefängnis
       schickt, oder in Form von Statements seiner Angehörigen: Nie wird allein
       von Deniz Yücels Freiheit gesprochen, immer wird auch die Freiheit der
       übrigen Kolleg*innen gefordert. Und selten steht bei Twitter nur
       #freedeniz, fast immer werden Tweets, die sich um Deniz drehen, mit
       #freethemall ergänzt.
       
       Denn Deniz Yücel ist nicht der einzige inhaftierte Journalist in der
       Türkei, und er ist nicht der wertvollste, oder der, für den es sich am
       meisten lohnt zu kämpfen. Aber er ist – aus Deutschland betrachtet – der
       Bekannteste unter all den Kolleg*innen, die dafür bestraft werden, dass sie
       ihre Arbeit gemacht haben. Er ist das Gesicht der zu Unrecht Inhaftierten.
       
       Und so ist er auch der Grund, warum heute nicht nur drei Schnupsis vor dem
       Kanzleramt mit Fahnen für die Pressefreiheit wedeln, sondern privat
       gebuchte Protestbusse extra aus Hamburg anfahren. Denn wir müssen Freiheit
       für Deniz fordern. Weil wir Freiheit für alle wollen.
       
       10 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Fatma Aydemir
       
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