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       # taz.de -- Kulturaustauschfiasko Nordkorea: Sinfonie der Stille in Pjöngjang
       
       > Der Berliner Klangkünstler Nik Nowak war Teil einer Künstlerdelegation,
       > die mit Kollegen in Pjöngjang kollaborieren sollte. Daraus wurde nichts.
       
   IMG Bild: So unscheinbar wie effektiv: Lautsprecherwagen in Pjöngjang
       
       Der Sirenenton an den Check-in-Schaltern von Koryo Airlines am Flughafen
       von Peking erinnert mich an die Zweifel und Paranoia, die ich seit Wochen
       hatte. Ist es eine gute Idee, sich während einer Koreakrise auf den Weg
       nach Pjöngjang zu machen? Gepäckstücke werden überprüft, die Intervalle der
       Alarmsirenen verschieben sich polyrhythmisch gegeneinander.
       
       Als mich Morten Traavik, der 2015 ein Konzert von Laibach in Pjöngjang
       realisierte, fragte, ob ich ihn mit einer Delegation internationaler
       zeitgenössischer Künstler und Kuratoren nach Nordkorea begleiten möchte,
       habe ich im Überschwang zugesagt.
       
       Die DMZ-Academy (Demilitarized Zone-Akademie) sollte das erste
       Kunstsymposium in Pjöngjang werden, an dem bildende Künstler aus
       Westeuropa, China und Russland auf nordkoreanische Kollegen treffen. Der
       US-Beitrag musste aufgrund des Reiseverbots, das von Donald Trump während
       der Zuspitzung der Lage ausgesprochen wurde, kurzfristig gestrichen werden.
       Geplant waren etwa Vorträge und Workshops.
       
       ## Kontrollwahnsinn am Flugschalter
       
       Wir haben die peniblen Kontrollen überstanden, Handys, Laptops und
       Festplatten wurden als sauber befunden, eingeführte Printmedien notiert.
       Bei der Ankunft in Pjöngjang bietet sich mir ein unerwartetes Bild. Es
       herrscht reger Verkehr auf den Straßen. Zahlreiche Taxis eines chinesischen
       Unternehmens sind unterwegs. Es gibt Kioske, wo mit ältlichem Geld bezahlt
       werden kann. Passanten sind individuell gekleidet, nutzen Smartphones, die
       selbstverständlich nur im Intranet funktionieren. Kinder bummeln mit ihren
       Eltern Eis essend durch die Straßen, es wird gelacht. Paare gehen Arm in
       Arm spazieren.
       
       Eine entschleunigte Welt ohne das Gewimmel von marktwirtschaftlichem
       Wettbewerb scheint das zu sein. Statt der Unterdrückten aus den
       Vorstellungen, die aus Angst vor dem repressiven Regime weinen oder jubeln,
       wann immer es verlangt wird, tauchen betont gelassene Großstadtbewohner
       auf.
       
       Seit Kim Jong Uns Machtübernahme erscheint Pjöngjang in einem
       Retrofuturismus-Chic, der sich zur stalinistischen Monumentalästhetik
       hinzugesellt hat. Auf riesigen Leinwänden werden endlose Erfolge von
       Wirtschaft, Militär und Bergbau gepriesen. Wären da nicht die aggressiven
       Propagandaplakate, auf denen Atomraketen das Weiße Haus in Washington
       zertrümmern, wären da nicht mit Kalaschnikows bewaffnete Soldaten, die
       schnell das Sichtfeld räumen, sobald unser Reisebus auftaucht, könnte man
       von der Wahrwerdung einer sozialistischen Utopie reden.
       
       ## Doppeltes Treppenhaus
       
       Die Realität von Totalitarismus und Kontrollstaat holt einen aber schnell
       ein. Uns wird erklärt, dass wir das Hotel nicht ohne offizielle Begleitung
       verlassen dürfen. Es gibt im Hotel ein Treppenhaus für Gäste und eines, zu
       dem uns der Zutritt verboten ist und das mit Vorhängeschlössern verriegelt
       ist. Ab und zu sehe ich einen Mann dort in einer Tür verschwinden, an der
       im Gegensatz zu allen anderen Türen keine Zimmernummer angebracht ist.
       
       Frühmorgens um 7 Uhr werde ich von mobilen Lautsprecherbussen geweckt, die
       mit patriotischer Musik Pjöngjang auf den Tag einstimmen. Um Mitternacht
       erklingt wiederum eine gespenstische Musik, danach wird die
       Straßenbeleuchtung abgeschaltet. Bauarbeiten werden vom Militär
       durchgeführt. Auf Großbaustellen hält laute patriotische Musik die
       soldatischen Arbeitskräfte auch während der Nacht pausenlos auf Trapp.
       
       Als Künstler und Musiker habe ich mich zuletzt viel mit mobilen
       Soundsystemen und der ambivalenten Rolle von Sound und Musik als
       kultureller Katalysator und Waffe beschäftigt. Für die DMZ-Academy hatte
       ich einen Projektvorschlag mit dem Titel „Symphony of Silence“
       ausgearbeitet, der an der Kunsthochschule vorgestellt und mit Hilfe unserer
       Partner vom Committee for Cultural Relations with Foreign Countries (CCRFC)
       umgesetzt werden sollte.
       
       Meine Konzeption sah vor, die militärischen Propagandasoundsysteme zu
       gebrauchen, die sich, wie im zweigeteilten Berlin nach dem Mauerbau 1961,
       heute an der Demarkationslinie zwischen Nord- und Südkorea gegenüberstehen.
       Im Gegensatz zu ihrer ursprünglichen Funktion als monologisierende
       ideologische Injektoren wollte ich sie für ein exklusives Zusammenspiel
       einsetzen.
       
       ## Ausgelöschte Schallwellen
       
       Beide Soundsysteme sollten einen identischen Ton spielen, der
       phasenverdreht wiedergegeben wird, so dass sich beide Schallwellen
       gegenseitig auslöschen und eine aktive Sphäre der Stille erzeugen. Ein
       Motiv des Friedens, das für sich steht, ohne eine der beiden Sphären zu
       provozieren. Nicht als Potenzial für etwas. Ein Werk ohne Werk. Im Sinne
       des US-Komponisten John Cage kann man diese Form minimaler akustischer
       Harmonie als musikalisches Ereignis begreifen. Oder, um mit den Worten des
       südkoreanischen Komponisten Isang Yun zu sprechen, als Musik für
       Menschlichkeit.
       
       Yun, der sich schon in den sechziger Jahren für kulturellen Austausch
       zwischen Nord und Süd engagierte, wurde daraufhin von der südkoreanischen
       Regierung der Spionage beschuldigt und zu lebenslanger Haft verurteilt.
       Nach internationalen Protesten, darunter eine Petition, die auch von Igor
       Strawinsky unterzeichnet wurde, ließ man Yun nach fast zwei Jahren Haft
       frei.
       
       Aufgrund der eskalierenden Situation zwischen Nordkorea und den USA, Japan
       und Südkorea wurde der geplante Ausflug in die DMZ (Demilitarized Zone)
       gestrichen. Auch die Idee, militärisches Gerät für eine Kunstaktion zu
       verwenden, war jenseits jeglicher Realität, so dass ich mein Konzept auf
       die Propagandawagen, die das Pjöngjanger Klangbild prägen, umformulierte.
       
       ## Lautsprecher für Propaganda
       
       Ich diskutierte also meinen angepassten Vorschlag mit dem Vizepräsidenten
       der Kunsthochschule. Jedoch war das Bild zweier sich gegenüberstehender
       Lautsprecher sowie der Titel aus nordkoreanischer Sicht inakzeptabel.
       Erstens, da die Lautsprecher den Zweck haben, nordkoreanische Propaganda
       wiederzugeben und Stille dem widerspräche, und zweitens, da eine
       Wiedervereinigung nur mit einer einzigen Stimme erreicht werden könne, und
       zwar der Pjöngjangs.
       
       Mein Projekt war also vom Tisch. Die Frustration unserer Delegation wuchs
       während des neuntägigen Aufenthalts stetig. Projekte wurden größtenteils
       zensiert und blockiert, Vorträge verschoben, schließlich abgesagt. Was
       zunächst als kultureller Austausch gedacht war, wurde zur bizarren
       nordkoreanischen Leistungsschau.
       
       Täglich besuchten wir Museen und Bauwerke, die die Großartigkeit der Führer
       und des Kampfes gegen den Imperialismus repräsentieren. Jedes Element
       Pjöngjangs kreiert die Mythopoesie der großen Führer und des kollektiven
       Feindes. Neues wird nur hinzugefügt, wenn es sich in den narrativen Loop
       einfügt, wie etwa der neue Vergnügungspark Kim Jong Uns.
       
       Platz für alternative Perspektiven ist nicht vorgesehen. Dass in Pjöngjang
       beispielsweise alte Westberliner U-Bahn-Waggons fahren, glaubte mir unser
       Gruppenleiter nicht, da es der offiziellen Erzählung widerspricht.
       Überall sind Schilder angebracht, die an die Großherzigkeit und Fürsorge
       der Kims erinnern. Sektenhaft erzeugen sie ein dichtes Referenz- und
       Hierarchiegefüge, totale Kontrolle im Inneren und Isolation nach außen,
       bedingungslose Liebe und Ergebenheit zum Führer. Nicht eingeschüchtert
       wirken die Nordkoreaner, sondern wie Gläubige.
       
       Dass sich sämtliche Klischees des nationalistisch-totalitären Staates
       erfüllten und dass das kein gutes Licht auf Nordkorea wirft, erkannten auch
       unsere Partner im Committee for Cultural Relations. Als wollte man mir
       beweisen, dass die Dinge nicht so sind, wie sie scheinen, genehmigte man
       mir einen Lautsprecher an der Promenade des Taedong-Flusses mitten im
       Stadtzentrum. Abgespielt habe ich eine Unsound-Collage, die zuvor Teil
       meiner Ausstellung „Infra Ultra“ gewesen war.
       
       Die unhörbaren Frequenzen von Fledermäusen und elektrischen Geräten werden
       dabei digital nachbearbeitet hörbar gemacht. Zehn Minuten konnte ich dem
       Monofon Pjöngjangs so Klänge einer Parallelrealität hinzufügen, bevor
       unsere Aufpasser von einem Fremden, der das Aussehen eines Funktionärs
       hatte, aufgefordert wurden, abzuschalten. Was bleibt, ist Stille.
       
       27 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nik Nowak
       
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