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       # taz.de -- Vision vom umweltfreundlichen Fliegen: Fliegen, ohne die Umwelt zu belasten
       
       > Mit dem Flugzeug zu fliegen ist per se klimaschädlich? Eine ungehörige
       > Umweltsünde? Stimmt schon. Doch das muss nicht so bleiben.
       
   IMG Bild: Emissionsfreies Fliegen liegt noch in weiter Ferne
       
       taz.am wochenende: Bislang sagten Sie, dass klimaneutrales Fliegen nicht
       möglich sei. Bleiben Sie dabei? 
       
       Dietrich Brockhagen: Inzwischen glaube ich, dass wir die Chance haben,
       eines Tages mit gutem Gewissen zu fliegen, tatsächlich klimaneutral.
       
       Wie soll das gehen? 
       
       Mit einem Verfahren namens PTL, Power-to-Liquid. Damit ist es möglich, aus
       Strom flüssige Treibstoffe herzustellen. Was das Triebwerk letztlich
       antreibt, sind die Kohlenwasserstoffketten. Darin ist die Energie
       gespeichert. Die sind in fossilen Brennstoffen enthalten, wir können aber
       auch Kohlenstoff und Wasserstoff synthetisch zusammenfügen.
       
       Inwiefern ist das klimafreundlicher? 
       
       Der synthetische Treibstoff besteht aus zwei Bestandteilen. Den Wasserstoff
       können Sie mit einer einfachen Elektrolyse gewinnen: Sie leiten Strom durch
       Wasser und spalten mit der Energie das H2O-Molekül auf. Wie im
       Chemieunterricht bei der Knallgasreaktion.
       
       Und den Kohlenstoff? 
       
       Den können Sie aus CO2 nehmen. Zum Beispiel das CO2, das in einem
       Kohlekraftwerk entsteht. Sie können das CO2 auch einfach aus der
       Umgebungsluft filtern. Das ist sehr energieaufwendig, aber möglich.
       
       Wie wird aus den beiden Bestandteilen jetzt Kerosin? 
       
       Wenn Sie das CO2 aufspalten und das Kohlenstoffmonoxid mit dem Wasserstoff
       mischen, erhalten Sie ein Synthesegas, das Sie zu Kerosin verflüssigen
       können. Das ist sehr rein und kann in Flugzeuge vertankt werden, die heute
       schon rumfliegen.
       
       Aber reines Kerosin erzeugt immer noch CO2. 
       
       Aber es kommt nur so viel Kohlenstoffdioxid in die Atmosphäre, wie Sie
       vorher für die Herstellung rausgezogen haben. Deswegen ist das wirklich
       CO2-neutral. Die Voraussetzung ist natürlich, dass der nötige Strom aus
       erneuerbaren Energien gewonnen wird.
       
       Das löst das CO2-Problem. Aber Flugzeuge erzeugen noch andere Schadstoffe. 
       
       Ja, aber erst mal ist dieses synthetische Kerosin sehr rein, demnach fallen
       Faktoren wie Verrußung zu einem großen Teil weg. Trotzdem entstehen nach
       wie vor Kondensstreifen, die das Klima kräftig erwärmen. Auch stoßen die
       Triebwerke weiterhin Stickoxide aus, so dass in großen Höhen Ozon als
       Treibhausgas aufgebaut wird.
       
       Wenn die anderen Schadstoffe in der Luft bleiben, ist das doch nicht
       klimaneutral. 
       
       Wenn der erneuerbare Strom erst mal sehr günstig ist, also wir reden hier
       von 2050 oder so, können sich die Flugzeuge erlauben, nicht mehr auf 12.000
       Meter Höhe zu fliegen, sondern vielleicht auf 8.000 Meter Höhe. Dort ist
       aber der Luftwiderstand deutlich höher, weswegen deutlich mehr Treibstoff
       benötigt würde. Im Moment ist das zu teuer, und der erneuerbare Strom zu
       knapp. Es muss erst das Energieproblem gelöst werden, bevor Strom sinnvoll
       in Kraftstoffe verwandelt wird.
       
       Aber das würde in Bezug auf die Non-CO2-Effekte einen großen Unterschied
       machen? 
       
       Allerdings. Dann sind Sie meistens immer noch über den Gewittern, aber
       nicht mehr in den kritischen Höhen, wo langlebige Kondensstreifen
       entstehen. Und der zusätzliche Treibstoff wäre kein Problem, der wäre
       sowieso CO2-frei.
       
       Der Flugverkehr steigt jährlich an. Heutzutage kann man mit Billigairlines
       für 30 Euro in europäische Städte fliegen. Wie ist das überhaupt möglich? 
       
       Wenn es wenige günstige und viele teure Tickets gibt, kann das einfach
       gutes Marketing sein. Aber einige Billigairlines lassen sich durch
       öffentliche Mittel subventionieren. Wenn zum Beispiel Ryanair eine
       Destination anfliegt, stellen die klare Bedingungen. Und wenn Steuergelder
       an private Unternehmen fließen, die auch in Forschung oder Bildung genutzt
       werden könnten, ist das ungerecht.
       
       Atmosfair berechnet für einen Linienflug von Berlin nach Teneriffa und
       zurück 1.284 Kilogramm CO2 pro Passagier. Wie kommen Sie auf diesen Betrag? 
       
       Wir können genau berechnen, welche Maschinen wie viel CO2 und andere
       Schadstoffe ausstoßen und teilen das durch die Anzahl der Passagiere.
       
       Kompensationen machen das Fliegen aber nicht klimaneutral. Warum sollten
       Passagiere trotzdem zahlen? 
       
       Wir sagen ja auch bei der Kompensation nicht „klimaneutral“, unter anderem
       deswegen. Aber viele Passagiere kompensieren nicht, weil sie das
       Ablasshandel nennen. Dennoch: Das Geld kommt ja an, CO2 wird nachweislich
       gemindert, also ist es kein Ablasshandel. Dieses Argument kommt zu häufig
       von Menschen, die einfach nur nicht zahlen wollen. Wer nicht fliegt, kann
       von mir aus gern von Ablasshandel sprechen, aber als Umweltbewegter zu
       fliegen und dann nicht zu kompensieren, das geht nicht. Das ist dann
       Schwarzfahren auf Kosten des Klimas.
       
       Wie realistisch sind diese Planspiele mit klimaneutralem Fliegen wirklich? 
       
       Es liegt noch ein weiter Weg vor uns. Ich bin immer wieder überrascht, wie
       wenig bekannt das Power-to-Liquid-Verfahren unter NGOs, Airlines und den
       Herstellern ist. Und die Strommengen aus erneuerbaren Energien müssen noch
       erheblich steigen.
       
       Trotzdem glauben Sie daran. 
       
       Ja. Die einzelnen Schritte gibt es seit langer Zeit, es gibt im Moment nur
       noch keine komplette und größere Anlage. Aber sie entstehen. In den letzten
       Jahren sind auch Firmen entstanden, die mit Power-to-Gas und
       Power-to-Liquid Kraftstoffe herstellen.
       
       Letztes Jahr hat das Solarflugzeug „Solar Impulse“ die Welt umrundet. Ist
       diese Solartechnologie, die komplett ohne Kerosin auskommt, nicht
       bedeutender? 
       
       Die Flügelfläche mit den Photovoltaik-Panels reicht nicht aus, um
       Verkehrsmaschinen in der Luft zu halten. Deswegen benötigen die
       Solarflugzeuge Batterien. Und bei denen haben Sie das Problem der
       Energiedichte: In ein paar Tropfen Treibstoff ist so viel Energie
       gespeichert wie in einem Kilo Batterie. Das heißt, die Batterien sind zu
       schwer. Natürlich kann diese Technologie einen weiteren Durchbruch
       schaffen, aber den braucht sie auch.
       
       Ist das Fortbewegungsmittel der Zukunft nicht trotzdem der Zug? 
       
       Die Schiene ist auf jeden Fall die Zukunftslösung. Die Bahn hat viel mehr
       als alle anderen Verkehrsträger die Möglichkeit, schnell und komplett auf
       erneuerbare Energien umzusteigen. Das könnten die in nur wenigen Jahren
       schon umsetzen.
       
       Warum macht die Deutsche Bahn das nicht? 
       
       Ich verstehe das auch nicht. Die müssten von sich aus sagen: Wir sind die
       klimaneutrale Alternative. Wer Bahn fährt, fährt umweltfreundlich. Und ab
       2020 komplett CO2-frei. Natürlich kostet das, aber um die Investitionen
       kommt die Bahn nach Paris auf Dauer nicht herum.
       
       Wie ist das bei Ihnen? Wo geht Ihr nächster Flug hin? 
       
       Das ist noch nicht sicher. Privat fliege ich gar nicht. Beruflich innerhalb
       von Europa auch nicht. Vielleicht geht es bald nach Nigeria. Meine Hoffnung
       ist, dort eine Fabrik für 100.000 effiziente Öfen jährlich zu errichten,
       damit würden die Einwohner 80 Prozent des Holzes sparen und müssten nicht
       mehr ihre Wälder roden, um zu kochen. Wenn das klappt, fliege ich für
       längere Zeit runter, um das zum Laufen zu bringen.
       
       28 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Robin Köhler
       
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