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       # taz.de -- Aufregung um Lehrer-Fragebogen: Sind Sie schwul?
       
       > Eine Studie zu sexueller Vielfalt fragt Lehrer nach ihrer sexuellen
       > Orientierung. Senatorin Scheeres (SPD) soll sich dazu nun im
       > Bildungsausschuss erklären.
       
   IMG Bild: Bedenken angemeldet: Die Studie „Wie viel Vielfalt verträgt Schule?“ ist umstritten
       
       Der Fragebogen zum Thema sexuelle Vielfalt, den die Humboldt-Universität
       und die private Sigmund-Freud-Universität an die Lehrer von 60 Berliner
       Schulen verschickt haben, geht harmlos los: „Wissen Sie, was der Begriff
       Intergeschlechtlichkeit bedeutet?“, heißt es da etwa. Der Grund, warum die
       zu Wochenbeginn öffentlich gewordene Studie dennoch für so viel Aufregung
       sorgt, dass Ulrich Klocke, einer der Studienleiter, am Mittwoch sagt, er
       verbringe seine Zeit gerade vor allem mit Medienvertretern am Telefon, ist
       eine der letzten Fragen: „Was ist Ihre sexuelle Orientierung?“
       
       Zugleich erhebt die Studie nämlich Angaben, die die Teilnehmenden für die
       Wissenschaftler identifizierbar machen könnten: Gefragt wird etwa nach
       Alter und Geschlecht, wie lange jemand schon an der jeweiligen Schule
       arbeitet – und wo diese liegt: Bezirk, erster Buchstabe der Straße,
       Hausnummer.
       
       Eine „skandalöse Abfrage“ nannte die CDU die Studie am Mittwoch. Deren
       bildungspolitische Sprecherin Hildegard Bentele erklärte, die Umfrage müsse
       „umgehend beendet und zurückgezogen werden“. Ihre Fraktion habe einen
       entsprechenden parlamentarischen Antrag ins Abgeordnetenhaus eingebracht.
       
       Die Wissenschaftler wehrten sich in einer Stellungnahme gegen die Vorwürfe:
       „Ziel der Studie ist es, herauszufinden, wie Lehrkräfte und andere an
       Schulen tätige pädagogische Fachkräfte in Berlin mit Vielfalt und
       Diskriminierung umgehen und was sie über diese Themen denken“, heißt es.
       Mit der Frage nach der sexuellen Orientierung wolle man herausfinden,
       „wodurch der Umgang mit Vielfalt und Diskriminierung beeinflusst wird“.
       HU-Sozialforscher Klocke betont, man wolle aber nicht den Anschein
       erwecken, die eigene Sexualität lasse direkte Rückschlüsse darauf zu, wie
       jemand mit dem Thema sexuelle Vielfalt umgehe – zumal bisherige Studien
       zumindest keinen unmittelbaren Zusammenhang nahelegten.
       
       Zudem würden personenbezogene Daten so anonymisiert oder gelöscht, dass am
       Ende niemand mehr identifizierbar sei – auch die Senatsbildungsverwaltung,
       Auftraggeberin der Studie und oberste Dienstherrin der Lehrer, könne also
       keine Rückschlüsse auf die sexuelle Orientierung ihrer Mitarbeiter ziehen.
       „Welche Daten wir wie speichern und verschlüsseln, haben wir mit der
       Landesbeauftragten für Datenschutz abgesprochen“, sagt Klocke. Eine
       Sprecherin der Datenschutzbehörde bestätigt, man habe derzeit „keine
       Bedenken“. Im Übrigen erfolge die Befragung „auf freiwilliger Basis“.
       
       ## Die Teilnahme sei „ausdrücklich gewünscht“
       
       Ob die Freiwilligkeit dieser Studie auch so bei den Lehrern ankommt, sorgt
       nun ebenfalls für Gesprächsbedarf. Im Begleitschreiben der Wissenschaftler
       heißt es: Die Teilnahme werde „von der Senatsverwaltung ausdrücklich
       gewünscht“.
       
       Diesen Hinweis findet die Bildungsverwaltung inzwischen „unglücklich“, wie
       eine Sprecherin von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) sagt. Sie
       betont auch: „Für den Inhalt des Anschreibens sind die Unis verantwortlich,
       das kontrollieren wir vorher nicht.“ Man selbst habe in einem eigenen
       separaten Schreiben lediglich von einer Bitte „um Mitwirkung und
       Unterstützung“ gesprochen.
       
       Mag sein, sagt Tom Erdmann, Berliner Vorsitzender der Lehrergewerkschaft
       GEW. „Aber wir fragen uns schon, warum der Gesamtpersonalrat das
       Anschreiben der Unis und den Fragebogen nicht gesehen hat, bevor der an die
       Schulen rausging.“ Da sei seitens der Bildungsverwaltung schlecht
       kommuniziert worden. „Das ist schade, zumal es sich hier um eine sehr
       sinnvolle Studie handelt, die auch die Arbeitsgemeinschaft Schwule Lehrer
       bei uns begrüßt.“
       
       Auch die queerpolitischen SprecherInnen von Grüne und Linke unterstützen
       die Studie. Die queerpolitische Sprecherin der SPD, Melanie Kühnemann,
       hatte die gemeinsame Stellungnahme – gewöhnlich unterzeichnen alle drei
       Regierungsfraktionen –, nicht mitgetragen. Nur ein Versehen, ließ sie eilig
       ausrichten. Allerdings wolle ihre Fraktion nun am Donnerstag im
       Bildungsausschuss Senatorin und Parteigenossin Scheeres „um eine
       Stellungnahme bitten“. Man habe noch Fragen – zum Beispiel, „inwiefern die
       Studie datenschutzrechtlich begleitet wurde“.
       
       20 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Klöpper
       
       ## TAGS
       
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