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       # taz.de -- Was die Wahl für den Norden bedeutet: Und der Sieger heißt – Olaf Scholz
       
       > Der Hamburger Bürgermeister rettet die SPD, Robert Habeck die Grünen,
       > Katja Suding beerdigt die FDP, und Wolfgang Kubicki lässt Jamaika in Kiel
       > wanken.
       
   IMG Bild: Wird wohl die SPD in die Zukunft führen müssen: Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz
       
       HAMBURG taz | Olaf Scholz will gebeten werden. Und er wird gebeten werden,
       das legt das Ergebnis der Bundestagswahl nahe. Gebeten werden, die einst so
       ruhmreiche Sozialdemokratie vor dem endgültigen Zerfall zu retten, die SPD
       wiederzubeleben und zu neuen Erfolgen zu führen. So wie es die
       verzweifelten Hamburger GenossInnen 2009 auch taten, als sie, von
       Niederlagen gezeichnet und heillos zerstritten, sich nur noch auf eines
       einigen konnten: Olaf muss es jetzt machen.
       
       Scholz machte es, aber zuvor hatte er in einem taz-Interview den Satz
       formuliert, der seitdem immer wieder gern von politischen Beobachtern
       zitiert wird: „Wer bei mir Führung bestellt, muss wissen, dass er sie dann
       auch bekommt.“ Und genau das wird Olaf Scholz in dieser Woche erneut
       klarstellen, diesmal im Bundesvorstand seiner Partei.
       
       ## Die SPD braucht eine neue starke Führung
       
       Egal, ob die gerupften Sozialdemokraten neben einer vor Kraft kaum noch
       laufen könnenden CDU als Bittsteller in der Großen Koalition sich um den
       letzten Rest ihrer Ehre bringen oder als – immerhin noch das – größte
       Oppositionspartei sich gegen Jamaika einerseits sowie Linke und Rechte
       andererseits neu zu profilieren versuchen, sie brauchen eine neue starke
       Führung, und die kann nur der Hamburger Bürgermeister und bisherige
       Partei-Vize bieten.
       
       Martin Schulz und Sigmar Gabriel sind Geschichte, Hannelore Kraft seit dem
       Verlust der Landtagswahl in NRW ebenfalls, Manuela Schwesig kommt weder
       jetzt noch in naher Zukunft in Frage. Die junge Frau aus dem Osten muss
       erst mal beweisen, dass sie eine Landtagswahl gewinnen kann – zu dumm, dass
       die nächste in Mecklenburg-Vorpommern turnusgemäß zeitgleich mit der
       Bundestagswahl im September 2021 stattfinden wird. Die dann 47-Jährige wird
       sich hinten anstellen müssen.
       
       ## Kein Nachteil für Hamburg und Hamburgs SPD
       
       Denn wenn Olaf Scholz zuvor im Februar 2020 zum dritten Mal in Folge in
       Hamburg reüssieren sollte, dürfte oder müsste er, je nach Lesart,
       eineinhalb Jahre später Kanzlerkandidat der SPD sein. Zuvor aber, und darum
       geht es zunächst, wird er auf dem nächsten SPD-Bundesparteitag zum
       Vorsitzenden gewählt werden. Die Partei, die ihn seit seiner unglücklichen
       Rolle als Gerhard Schröders Generalsekretär nie sonderlich geliebt hat, hat
       keine andere Wahl.
       
       Für Hamburg und Hamburgs SPD bedeutet das zunächst einen Bedeutungszuwachs
       in der Bundespolitik, in der Scholz schon lange und intensiv unterwegs ist.
       Er war Verhandlungsführer der Bundesländer beim Ringen mit
       Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) um den neuen
       Länderfinanzausgleich, er hat das Steuerkonzept geschrieben, mit dem die
       SPD zurzeit hausieren geht – und an dem liegt es nicht, dass es in der
       nächsten Legislaturperiode nicht umgesetzt werden wird. Der 59-Jährige hat
       seit Langem Gewicht und Stimme weit über die Sozialdemokratie hinaus, nur
       muss er künftig aus der ersten Reihe agieren.
       
       Die rot-grüne Koalition in Hamburg wird darunter nicht leiden, dazu ist
       Scholz zu detailverliebt und omnipräsent, als dass er den Überblick
       verlieren würde. Sie würde aber verstärkt zur Bühne für seinen Kronprinzen
       Andreas Dressel. Der Fraktionschef, der zusammen mit seinem grünen
       Amtskollegen Anjes Tjarks als „A-Team“ seit zwei Jahren erfolgreich
       Hindernisse wie 2016 den drohenden Volksentscheid über die
       Flüchtlingspolitik aus dem Weg räumt, ist in Partei und Fraktion
       unumstritten. Der 42-Jährige steht als Nachfolger bereit.
       
       Die bundespolitische Karriere des Olaf Scholz, die er 2011 unterbrach, um
       in Hamburg Regierungschef zu werden, wird jetzt fortgesetzt. Und nach
       heutigem Stand dürften weder Scholz noch die SPD noch Hamburg daran Schaden
       nehmen.
       
       Schwere Schäden indes drohen den Freidemokraten in Hamburg und
       Schleswig-Holstein sowie, Ironie der Geschichte, der Kieler
       Jamaika-Koalition, die dieser Tage als Vorbild für Berlin dienen muss.
       
       Wenn demnächst das Gesicht der Hamburger FDP, Katja Suding, in den
       Bundestag ginge oder gleich ins Bundeskabinett – Finanz- oder
       Wirtschaftsministerin würde sie gern, wird sie aber nicht; als
       Bildungsministerin indes wäre sie auch nicht unglücklich – droht den
       Elbliberalen der Rückfall in die Zeiten der intriganten, alten
       Männercliquen. Schon die Frage der Fraktionsführung spaltet die neun
       Abgeordneten in der Bürgerschaft in zwei nahezu gleich große Lager:
       
       Anna von Treuenfels (55) oder Michael Kruse (33) stehen zur Wahl. Als
       lachende Dritte in der Not laufen sich hinter den Kulissen Ex-HSV-Präsident
       Carl Edgar Jarchow (62) und Ex-Parteichef Wieland Schinnenburg (59) warm –
       und schon steht die Hanse-FDP, die nur dank Katja Suding zweimal knapp die
       Fünf-Prozent-Hürde überwand, wieder vor dem Rückfall in alte Streitereien.
       
       Im Februar 2020 wird an der Elbe neu gewählt. Dann wäre die nächste
       Bundesregierung gut zwei Jahre im Amt, traditionell ein Zeitpunkt, an dem
       ihre Beliebtheit auf dem Tiefpunkt ist. Wenn es dann niemand mehr gewesen
       sein will, der 2017 Christian Lindner und Katja Suding an die Macht gewählt
       hat (so wie es Guido Westerwelle 2011 zwei Jahre nach seinem überragenden
       14,6 Prozent erging), dann kämpfen die Liberalen im Stadtstaat an der Elbe
       ohne ihr Zugpferd Suding ums nackte Überleben.
       
       ## Kubicki nur als „regierender Fraktionschef“ nach Berlin
       
       Ganz so dramatisch dürfte es den in Schleswig-Holstein traditionell starken
       Parteifreunden nicht ergehen, aber ohne Wolfgang Kubicki dürfte auch dort
       die FDP nur noch die Hälfte wert sein. Wahrscheinlich ist, dass Kubicki nur
       im Falle einer Jamaika-Koalition in die Hauptstadt wechselt: Lindner und
       Suding im Bundeskabinett, er in seiner Lieblingsrolle als „regierender
       Fraktionschef“, der im Hintergrund die Strippen zieht.
       
       Ohne Regierungsbeteiligung aber würden Lindner und Suding die
       Fraktionsspitze übernehmen, für Kubicki gäbe es im Bundestag nichts außer
       Langeweile. Dann würde er gewiss lieber in Kiel bleiben wie schon 1992 und
       2002, als er sein Bundestagsmandat rasch wieder niederlegte.
       
       ## Die Jamaika-Koalition in Kiel gerät ins Wanken
       
       Wenn aber der altgediente Haudegen dieses Mal wirklich nach Berlin geht,
       gerät die Statik der Kieler Jamaika-Koalition ins Wanken. Konflikte gab es
       bislang nur zwischen den fast gleichstarken Grünen und Gelben, die um den
       zweiten Rang in dem Bündnis rangeln. Ohne Kubicki geriete die Balance ins
       Wanken – ohne den Grünen Robert Habeck allerdings auch.
       
       Er sieht sich starkem Drängen in der grünen Partei ausgesetzt, er möge doch
       bitte Parteichef werden. Sogar eine Satzungsänderung wird vorbereitet, denn
       bisher dürfen Landesminister nicht an die Parteispitze. Einer solchen „Lex
       Habeck“ könnte der Philosoph aus dem hohen Norden sich kaum verschließen.
       
       Jedoch müsste er als stellvertretender Ministerpräsident in Kiel darauf
       achten, dass CDU und FDP nicht die Gewichte in der Koalition zu ihren
       Gunsten verschieben; als grüner Parteichef müsste er im Falle einer
       Jamaika-Koalition im Bund darauf gucken, dass grüne Minister-Eminenzen wie
       Cem Özdemir nicht aus dem Ruder laufen, und obendrein soll er dann noch den
       Flohsack hüten, der sich Bündnis 90/Die Grünen nennt: Ein Traumjob sieht
       anders aus.
       
       Diese Bundestagswahl wird zu einschneidenden politischen Veränderungen in
       Hamburg und Schleswig-Holstein führen. Tatsächlich etwas gewinnen aber wird
       aus heutiger Sicht mit Sicherheit nur einer: Olaf Scholz.
       
       24 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sven-Michael Veit
       
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       fast gleichauf.