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       # taz.de -- Gerügte Justiz: Irgendwie „verrückt“ eben
       
       > Im Falle einer in der Forensik eingesperrten Stalkerin macht das
       > Bundes-verfassungsgericht der Bremer Justiz allerlei Vorwürfe. Das bleibt
       > erst mal folgenlos.
       
   IMG Bild: Ist mit den Bremer Gerichten eher unzufrieden: das Bundesverfassungsgericht.
       
       BREMEN taz | Das Bundesverfassungsgericht hat die Bremer Justiz scharf
       kritisiert. Es geht dabei um gleich mehrere Entscheidungen, nach denen eine
       Patientin in die forensische Psychiatrie des Klinikums Bremen-Ost (KBO)
       gesperrt wurde. Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht
       haben, salopp gesagt, schlampig gearbeitet, [1][urteilten die
       Verfassungsrichter]. Es geht dabei um keine Kleinigkeit – sondern um die
       Freiheit von Meike S. Für sie hat der teilweise Erfolg ihrer
       Verfassungsbeschwerde indes keine Konsequenzen: Sie bleibt weg gesperrt.
       
       Seit April vergangenen Jahres ist sie „vorläufig“ in der Forensik des KBO
       untergebracht. [2][Meike S. ist als Stalkerin ihres früheren
       Lebensgefährten durch Sachbeschädigungen, Bedrohungen und Beleidigungen
       aufgefallen.] So traktierte sie 2013 seinen Audi A8 mit dem Hammer, gut 50
       Dellen waren es am Ende. „Wenn ich dich auf deinem Motorrad sehe, stecke
       ich einen Stock in die Speichen“, soll sie ihrem Ex auf die Mailbox
       gesprochen haben, und dass sie sein „Haus in Brand setzen“, die Familie
       seiner Schwester „aufschlitzen“ werde.
       
       Wahr gemacht hat sie all das nie. Aber: Eine Brandstiftung sei „nicht
       auszuschließen“, schreibt eine Psychiaterin in einem Gutachten über Frau S.
       Daraufhin wird sie in die Forensik eingewiesen. Dabei darf die Freiheit
       einer Person „nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen
       formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden“, schreiben die
       Verfassungsrichter.
       
       ## Gefährdungslage ist unklar
       
       In Bremen nahmen die zuständigen Richter es damit nicht so genau. Es fehle
       an der „gebotenen Begründungstiefe“, steht in dem Urteil aus Karlsruhe, und
       sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht hätten „wesentliche
       Umstände gänzlich außer Betracht gelassen“.
       
       Ob von Meike S. überhaupt eine Fremdgefährdung ausging? Unklar, finden die
       Verfassungsrichter nach Lektüre der Bremer Urteile. Als sie in die Forensik
       kam, habe sie schon acht Monate lang keine Straftat begangen – obwohl sie
       nach Meinung der Fachleute wahlweise an einer manischen Episode mit
       psychotischen Symptomen oder an einer paranoiden Schizophrenie litt.
       
       Wieder andere halten eine borderline-nahe Persönlichkeitsstörung für
       „wahrscheinlich“. Die zuständige Chefärztin am KBO, so erzählt es Sven
       Sommerfeldt, der Anwalt von Meike S., habe schlicht gesagt, die Frau sei
       „verrückt“.
       
       Allein: Das ist zwar behandlungsbedürftig, reicht aber nicht, um sie in der
       forensischen Psychiatrie einzusperren. Dafür müssten gleich zwei
       Voraussetzungen erfüllt sein: Die Betroffene muss zumindest „vermindert
       schuldfähig“ sein. Und es müssen von ihr „erhebliche rechtswidrige Taten zu
       erwarten“ sein, deretwegen sie „für die Allgemeinheit gefährlich“ ist. In
       den Urteilen aus Bremen fehlt es aber „an der Begründung einer hinreichend
       konkreten Gefahr solcher Taten“. Die Gutachterin des Landes- und
       Oberlandesgerichts wollte sie lediglich „nicht ausschließen“, und die
       Drohungen, auf der diese Einschätzung basiert, fielen 2014.
       
       ## Kritik bleibt vorerst folgenlos
       
       Den Bremer Gerichten reichte das völlig aus. Dabei hätten sie auch „mildere
       Mittel“ prüfen müssen, sagen die Verfassungsrichter, also etwa
       Wohnsitzauflagen. So aber, urteilen die Verfassungsrichter, habe sowohl das
       Land- als auch das Oberlandesgericht die Frau in ihren Grundrechten
       verletzt. Die beide angesprochenen Gerichte sahen sich jedoch außerstande,
       bis Redaktionsschluss Nachfragen zu beantworten.
       
       „Das ist eine Klatsche“ für die Bremer Richter, sagt Sommerfeldt – aber
       Frau S. hat davon nichts, aus formellen Gründen: Das Urteil gegen sie
       bleibt zunächst bestehen. Derzeit liegt es zur Revision beim
       Bundesgerichtshof – und bis dort entschieden wird, können noch Monate
       vergehen, sagt Sommerfeldt.
       
       Dass man außerhalb Bremens die Rechtslage mitunter anders beurteilt,
       stellte schon der Generalbundesanwalt klar: „Ein Erfolg wird der
       Verfassungsbeschwerde nicht zu versagen sein“, schrieb er dem
       Verfassungsgericht.
       
       24 Sep 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2017/08/rk20170822_2bvr203916.html
   DIR [2] /Archiv-Suche/!5377716&s=&SuchRahmen=Print/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Zier
       
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