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       # taz.de -- Trump und der American Football: Immer auf die Rübe
       
       > Trump beklagt, die kleinlichen Schiedsrichter würden den Football
       > ruinieren. Doch etliche Profis leiden an schweren gesundheitlichen
       > Schäden.
       
   IMG Bild: Virgil Green und Menelik Watson von den Denver Broncos sagen sich „Hallo“
       
       Und ja: Football wurde dann doch auch noch gespielt am vergangenen Sonntag.
       Es gab dramatische Entscheidungen in der Verlängerung, unglaubliche
       Aufholjagden und akrobatische Touchdowns zu bestaunen am dritten Spieltag
       der NFL. Das alles beherrschende Thema aber blieben die Auseinandersetzung
       zwischen Donald Trump und der umsatzstärksten Profi-Liga der Welt.
       
       Die Spieler beantworteten die präsidialen Beschimpfungen mit den
       umfassendsten Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt, seit Colin
       Kapernick sie vor einem Jahr begonnen hatte. Bei den Oakland Raiders kniete
       fast die gesamte Mannschaft während der Nationalhymne, viele streckten die
       Faust in die Luft zum alten Black-Panther-Zeichen. Mehr als 200 Profis
       brachten so ihren Protest gegen Trump zum Ausdruck. Und auch einige der
       traditionell eher konservativen Teambesitzer stellten sich auf die Seite
       der Protestierenden. Der ansonsten nicht unumstrittene NFL-Chef Roger
       Goodell teilte mit: „Ich bin stolz auf unsere Liga.“
       
       In der ganzen Aufregung verschwand ein weiteres Problem allerdings von der
       Tagesordnung. Denn in seiner Schimpftirade hatte Trump Spieler, die während
       der Hymne knien, nicht nur als „Hurensöhne“ beschimpft und den Ausschluss
       protestierender Profis gefordert. Trump hatte sich auch beklagt, dass die
       Schiedsrichter zu pingelig pfeifen und „wunderschöne Tackles“ bestrafen
       würden. Die Referees würden „das Spiel ruinieren“, und das sei, so der
       Präsident, der Grund, dass die Einschaltquoten für TV-Übertragungen von
       NFL-Spielen sinken würden.
       
       Zumindest mit einem hat Trump recht: Die Quoten sinken tatsächlich, zum
       Teil um bis zu 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, in dem es auch bereits
       einen Rückgang gegeben hatte. Aber woran das liegt, ist umstritten. Es gibt
       die Theorie, dass sich Teile des mehrheitlich weißen Publikums aufgrund der
       Antirassismusproteste vor allem afroamerikanischer Spieler abwenden. Aber
       es gibt auch die gegensätzliche These, dass viele Zuschauer aus Solidarität
       mit Colin Kapernick die Spiele boykottieren, weil der Quarterback immer
       noch keinen neuen Arbeitgeber gefunden hat – und der Grund dafür
       offensichtlich seine Rolle als Initiator der Proteste ist.
       
       ## „Wunderschöne Tackles“
       
       Einen wesentlich größeren Effekt auf die Quoten dürfte aber etwas anderes,
       auf lange Sicht für die NFL wesentlich Bedrohlicheres haben: die Folgen,
       die die von Trump so geschätzten „wunderschönen Tackles“ bei den Spielern
       anrichten. Die Gehirnerschütterungen, die sich summieren und schließlich zu
       chronisch-traumatischer Enzephalopathie (CTE) führen, die wiederum mit
       Depressionen, aggressivem Verhalten und Selbstmorden enden kann.
       
       Unlängst veröffentlichte die angesehene Neuropathologin Ann McKee die
       Ergebnisse einer Studie, für die sie die Gehirne von 111 verstorbenen
       Ex-NFL-Profis untersucht hatte: In 110 konnte die Forscherin aus Boston die
       Symptome von CTE nachweisen. Anders gesagt: Football ist ein sehr
       gefährlicher Sport – und das hat Folgen.
       
       Die Zahlen sind eindeutig: Immer weniger Kinder und Jugendliche spielen
       Football. Die Eltern schicken ihre Kinder zunehmend lieber zum Basketball,
       zum Baseball und sogar zum Fußball. Das hat auch Auswirkungen auf die NFL:
       In Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass sich vor allem gut
       gebildete, liberale Eltern, die die Demokratische Partei wählen, vom
       Football abwenden.
       
       ## Großer Fanschwund
       
       Die unter Trump offensichtlich gewordene Spaltung des Landes spiegelt sich
       mittlerweile auch in der Fanbasis des Sports, auf den sich noch vor wenigen
       Jahren das ganze Land einigen konnte – nicht nur zur Super Bowl, wenn die
       Nation geschlossen vor dem Fernseher saß. Football wird zwar traditionell
       inszeniert wie römische Gladiatorenspiele, aber dass der Sport tatsächlich
       lebensgefährlich ist, das kommt nun ganz langsam auch bei einem breiteren
       Publikum an.
       
       Immer neue Schlagzeilen erinnern die Fans an das tödliche Potenzial ihrer
       liebsten Sonntagsunterhaltung. Ende August gab der allgemein geschätzte
       College-Football-Experte Ed Cunningam nach 20 Dienstjahren seinen Job beim
       Sportsender ESPN auf. Als Begründung gab Cunnigham, selbst ehemaliger
       NFL-Profi, an, er könne es nicht weiter mit seinem Gewissen vereinbaren,
       Teil einer Multimillionenindustrie zu sein, die ihre Protagonisten krank
       macht.
       
       Und vergangene Woche reichte die Witwe von Aaron Hernandez
       Schadenersatzklage gegen die NFL und die New England Patriots ein.
       Hernandez ist ein besonders tragischer Fall: Der Tight End hatte drei Jahre
       für die Patriots gespielt, stand mit seiner Mannschaft im Super Bowl und
       hatte eben einen neuen, 40 Millionen Dollar schweren Vertrag abgeschlossen,
       als er 2015 zum Mörder seines Marihuanadealers wurde. Das Gerichtsurteil:
       lebenslängliche Haft. In diesem April erhängte sich Hernandez im Alter von
       nur 27 Jahren in seiner Zelle.
       
       Nun ist auch sein Gehirn untersucht worden, und dabei wurde festgestellt,
       dass auch Hernandez schwer an CTE erkrankt war. Damit ist er der erste mit
       CTE diagnostizierte Ex-Footballspieler, der nicht nur sich selbst, sondern
       auch einen anderen Menschen umgebracht hatte. Sollte Hernandez’ Witwe mit
       ihrer Klage durchkommen, drohen der NFL weitere Gerichtsverfahren, die sie
       Milliarden kosten könnte. Und was weit bedrohlicher ist: Der Fanschwund
       dürfte weiter zunehmen.
       
       26 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Winkler
       
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