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       # taz.de -- Roman „American War“: Der Nerv der Zeit
       
       > Postapokalyptisch und von Rache getrieben: Gute Literatur ist der in den
       > USA gefeierte Roman „American War“ von Omar El Akkad dennoch nicht.
       
   IMG Bild: Hurrikan Irma wütete auch in South Carolina. In „American War“ trifft es den US-Bundesstaat um einiges härter
       
       Wird Atlanta das neue Aleppo? Und werden sich die arabischen Staaten als
       Großreich zusammentun und den USA den Rang als Weltmacht Nummer eins
       ablaufen? Ja und ja – zumindest, wenn man den Debütroman „American War“ des
       kanadisch-ägyptischen Journalisten Omar El Akkad zur Grundlage nimmt, um
       die zweite Hälfte des 21. Jahrhunderts zu deuten.
       
       In den USA ist „American War“ von vielen Rezensenten gefeiert worden als
       postapokalyptischer Anti-Trump-Roman, der zeige, was den USA bevorstehe,
       wenn der derzeitige US-Präsident nicht gestoppt werde. Das Werk sei eine
       luzide Dystopie und darin Cormac McCarthys „Die Straße“ und Philip Roths
       „Verschwörung gegen Amerika“ ähnlich, war zu lesen.
       
       Daran stimmt so gut wie nichts, denn „American War“ ist weder hellsichtig
       noch dystopisch. Das Buch ist, wie El Akkad in Interviews betont, vor
       Trumps Amtsantritt geschrieben worden. Es weist keinerlei Bezüge zur
       Politik des Republikaners auf. Und nur wer kleingärtnerische Freude an
       Vergleichen von Äpfeln mit Birnen empfindet, wird in diesem
       US-Südstaaten-Syrien-Ähnlichkeitswettbewerb auf seine Kosten kommen.
       
       El Akkads Szenario spielt zwischen den Jahren 2075 und 2095, fünf
       Südstaaten der USA haben sich für unabhängig erklärt, nachdem der
       US-Präsident wegen der Folgen des Klimawandels die Förderung von Erdöl und
       die Verwendung von Verbrennungsmotoren verboten hat. Es kommt zum Krieg,
       South Carolina wird vom Norden mit biologischen Mitteln attackiert, in ein
       Quarantänegebiet verwandelt und eingemauert.
       
       Da waren’s nur noch vier „freie Südstaaten“, die gegen die Übermacht des
       Nordens Widerstand leisten, unterstützt „von den Großmächten der neuen
       Zeit: China und dem Bouazizireich, wobei Letzteres noch wenige Jahrzehnte
       zuvor nichts weiter als eine Ansammlung darbender und darniederliegender
       Nationen im Nahen Osten und in Nordafrika gewesen war.“
       
       Das ist so ein typisch schaurig-steifer Satz, in dem man den
       Politikjournalisten erkennt, der seinen ersten Roman schreibt. Steif und
       eindimensional ist auch die Protagonistin des Romans. Sarat Chestnut wächst
       als Kind im Süden auf, verbringt ihre Jugendjahre in einem
       Flüchtlingslager, wird nach einem Attentat und einem Massaker zur Waise,
       verliert nach einem Drohnenangriff auch die Schwester, lässt sich
       ideologisch indoktrinieren, greift zu den Waffen und gibt sich ihrem Hass
       und ihrer Rache hin. So weit, so schlicht, so pamphletartig.
       
       ## Fehlende Präzision
       
       Was bleibt, ist der von der Kritik viel gelobte „Nerv der Zeit“: der
       Klimawandel und seine Folgen, eine unberechenbare US-Politik samt Mauerbau,
       eine Debatte über die Zukunft der Verbrennungsmotoren, asymmetrische
       Kriegsführung und autonome Waffensysteme, von Suizidattentätern ausgeübter
       Terror, Rückkehr der Geopolitik und so weiter. Nur: Aus dem „Nerv der Zeit“
       entsteht selten gute, zeitlose Literatur.
       
       Wer seine Romanhandlung ins späte 21. Jahrhundert verlegt, sollte sich
       Gedanken machen, wie sich die Gesellschaft bis dahin verändern könnte, und
       nicht nur der Gegenwart einen Spiegel vorhalten, in dem die USA und die
       arabischen Staaten nun seitenverkehrt erscheinen. Science-Fiction handelt
       immer vom Heute, aber auf visionäre Weise.
       
       In „American War“ ist Waterboarding die effektivste Folter, die
       Flüchtlingslager des Jahres 2081 sehen aus wie die des Jahres 2017, ebenso
       Technologie, Militär, Architektur, Lebensstile – gesellschaftliche
       Bereiche, die sich in der Realität schneller wandeln, als man beim „Nerv
       der Zeit“ sagen kann. Das ist dürftig, selbst ein Drehbuch für einen
       Hollywood-Blockbuster käme damit nicht durch.
       
       Es scheint, als habe Omar El Akkad geahnt, dass er einen Stoff gewählt hat,
       den er nicht in den Griff bekommt: „Dies ist keine Geschichte über den
       Krieg. Es ist eine Geschichte über Zerstörung“, lässt er im Prolog einen
       Historiker sagen. Abermals mangelt es an Präzision. Nicht Zerstörung steht
       im Zentrum des Romans, sondern Rache, alttestamentlich grundierte Rache.
       
       Rache gehört also zum Krieg, und aus Hass erwächst Radikalisierung. Wow,
       echt jetzt? Was für eine banale Botschaft, könnte man sagen. Gegenüber dem
       Autor und seinem Werk wäre dieses Urteil aber zumindest teilweise
       ungerecht. Denn den Hype um „American War“, einen durchschnittlichen
       Debütroman, haben andere entfacht. Statt die Kritik an Trump zu verstärken,
       projizierten Rezensenten und Teile der Leserschaft ihren Frust in ein Buch,
       das ihrem Anspruch nicht gerecht werden kann.
       
       20 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Maik Söhler
       
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