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       # taz.de -- Tori Amos’ neues Album: Musikalische Erwärmung
       
       > „Native Invader“ ist ein politisches Album. Tori Amos singt vom
       > Klimawandel, politischer Zuspitzung in den USA und vom Schlaganfall ihrer
       > Mutter.
       
   IMG Bild: Molekulare Maschine? Tori Amos singt von der Natur und von chemischen Elementen (Archivbild 2009)
       
       Die Natur ist bei Tori Amos so rund wie eine Schallplatte. Anfang und Ende
       gehen ineinander über, ein Zyklus aus Zerstörung und Erneuerung. „Native
       Invader“ heißt ihr neues Album. Einheimischer Eindringling. Ein
       Widerspruch? Amos verfolgt damit ein Konzept, das in jedem Lied des Werks
       eine neue Form annimmt.
       
       Die US-Künstlerin wartet mit 13 Songs auf. Wie schon oft zuvor hat sie auch
       dieses Album in ihrem Studio im britischen Cornwall aufgenommen und
       produziert, wo sie schon seit den Neunzigern lebt. Mit ihrem Ehemann Mark
       Hawley (Gitarre, Soundmix) entstand „Native Invader“ in vertrauter
       Atmosphäre, die auf früheren Alben allerdings merklich die Kreativität
       ausbremste. Doch Klimawandel, politische Zuspitzung in den USA und der
       Schlaganfall ihrer Mutter ließen „Native Invader“ dringlich und
       gleichzeitig komplex werden wie lange kein Album von Amos mehr.
       
       Den Anfang macht „Reindeer King“. Private Trauer trifft hier auf den
       Schmerz der Pole dieser Erde, die im Angesicht der globalen Erwärmung vor
       dem Untergang stehen. „Fearing death desiring life“, singt Amos über einem
       basswummernden Piano, dessen Produktion direkt in eiskalte Sphären
       versetzt, wo die Umwelt immer lauter dröhnt und bricht.
       
       In „Cloud Riders“ beschwört Amos die politische Widerstandskraft derer, die
       am Rande der Klippe stehen und in den Abgrund schauen. Das Lied wird
       dominiert von Gitarre und Hammond-Orgel. „I am not giving up on us“,
       vergewissert Tori Amos sich, sie will mit ihren Hörern gegen die
       Turbulenzen der Welt ansingen.
       
       In „Bang“, dem Mittelpunkt des Albums, kulminieren alle Themen und Sounds
       zusammen. „Immigrants that’s who we all are“, singt sie da. Eine klare
       Aussage gegen Rassismus auf der einen Seite, die Natur und ihren endlosen
       Zyklen auf der anderen Seite – „One story’s end / Seeds another to begin“.
       Am Höhepunkt des Songs schließlich singt Amos von chemischen Elementen, die
       sie zu einer molekularen Maschine machen. Und sie möchte nichts weiter sein
       als deren bestmögliche Form. Dabei klingt ihre Musik selbst wie eine
       unaufhaltbare Maschine. Treibende Gitarrenriffs und kraftvolles Klavier
       steigern sich immer weiter, deuten auf eine kommende Erschütterung hin, die
       aber – noch – nur Andeutung bleibt.
       
       Das Finale des Albums bildet „Mary’s Eyes“, in dem Amos die Hörer*innen an
       ihrem Seelenleben teilhaben lässt, während sie am Bett ihrer erkrankten
       Mutter sitzt. Ein Gedankenstrom aus Hoffnung und Kummer wird begleitet von
       feinsinnigem Klavierspiel, das sich hebt und senkt. Auch hier wieder der
       Zyklus von Anfang und Ende. Die Geschichte von Eindringlingen und
       Einheimischen.
       
       „Native Invader“ ist ein privates, ein politisches Album. Ein Album, das
       sowohl versöhnt als auch aktiviert. Ein Album, das gehört werden will.
       
       22 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Matthias Kreienbrink
       
       ## TAGS
       
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   DIR Globale Erwärmung
   DIR Musik
       
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