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       # taz.de -- Theaterstreit in Berlin: Volksbühne besetzt
       
       > Ein Theaterkollektiv besetzt die Volksbühne und erklärt sie zu
       > Volkseigentum. Damit provoziert die Gruppe den umstrittenen Intendanten
       > Chris Dercon.
       
   IMG Bild: Am Tag 1 der Besetzung: die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
       
       Berlin taz | Die Ankündigung war fast schon zum running gag geworden: Seit
       Monaten flüsterte man sich in der Berliner Aktivisten- und Kunstszene zu,
       dass die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz besetzt werden solle. Doch
       nichts passierte, bis zum Freitagnachmittag. Da machte auf die Twitter
       [1][eine Ankündigung] die Runde: „Sehr geehrte Damen und Herren, es ist
       geschehen“, hieß es dort. „In einer gewaltigen transmedialen
       Theaterinszenierung“ hätten soeben hunderte Menschen die Volksbühne am
       Rosa-Luxemburg-Platz betreten, um „etwas nie Dagewesenes“ zu erschaffen.
       
       Ist das jetzt die Besetzung? Oder doch nur eine erste spektakuläre
       Inszenierung des neuen Intendanten Chris Dercon? Der hatte das Theater im
       Sommer von seinem Vorgänger Frank Castorf übernommen. Es ist die
       kulturpolitisch umstrittenste Entscheidung in der Hauptstadt seit Jahren.
       Kritiker befürchten, dass die Volksbühne zu einem kommerzialisierten
       Eventtheater umgestaltet werden könnte.
       
       Der Eindruck vor Ort am Freitagabend lässt jedoch keine Zweifel zu: Dies
       ist kein Event, keine Inszenierung, die Volksbühne ist offensichtlich
       besetzt. „Doch Kunst“, steht auf einem großen Transparent, das quer über
       dem Eingangsportal hängt. Drinnen drängen nach und nach weit über hundert
       Menschen ins Foyer, um eine angekündigte Pressekonferenz mitzuerleben.
       
       Deren Beginn verzögert sich etwas, weil es – wie es vor Ort heißt – schon
       erste Gespräche mit der Polizei und der für das Haus zuständigen
       Kulturverwaltung gebe. Eine Eskalation steht aber vorerst nicht im
       Drehbuch. Zwei Polizisten, die das Treiben im Foyer beobachten, sagen, sie
       sähen vorerst kein Problem. Eine Anzeige des Hauseigentümers gebe es bisher
       auch nicht.
       
       Bei der Pressekonferenz verliest schließlich eine Frau, die als Rosalia
       Rabeblum angekündigt wird, ein Statement der Besetzer. Das
       Künstlerkollektiv „Staub zu Glitzer“ habe das Theaterhaus in Besitz
       genommen und werde es zum Eigentum aller Menschen erklären, verkündet sie
       unter starkem Applaus der Umstehenden. „Die Befreiung des Raumes und seine
       anschließende Selbstverwaltung verstehen wir als künstlerischen und deshalb
       politischen Akt: die Stadt ist Theater, Theater ist Stadt“.
       
       Deshalb solle die Volksbühne zum Zentrum gegen Gentrifizierung werden, man
       plane ein „Parlament der Wohnungslosen“, aber auch die Wiederaufnahme der
       durch den Intendantenwechsel verbannten Stücke. Dazu seien die früheren
       Schauspieler und Regisseure herzlich eingeladen.
       
       Hinter „Staub zu Glitter“ stehe ein Team aus momentan 48 Personen, die seit
       Monaten an der Planung der Performance gearbeitet hätten. Und sie meinen es
       offenbar sehr ernst. Die Sprecherin betont, dass die Übernahme des Hauses
       „dauerhaft“ sei. Im Foyer liegen Raumpläne für die künftige Nutzung des
       Theaters aus. Darauf findet sich neben einem Raum für eine Redaktion unter
       anderem ein Schlafsaal.
       
       Auf einem Handzettel werden zudem „Hausregeln“ verteilt, die auch die
       „Aufnahmebedingungen für Bewohner“ klären. Jene müssten nicht nur
       ausdrücklich „die Grundrechte aller Menschen als Quelle gemeinschaftlicher
       Organisation“ anerkennen, sondern zudem „einmal monatlich an einem vom Haus
       ausgehenden Projekt teilnehmen oder selbst eines initiieren.“
       
       Partizipation, betont die Sprecherin der Besetzer, sei einer der
       Grundpfeiler des Projektes. Ansonsten gelte: „Der Name Volksbühne am
       Rosa-Luxemburg-Platz bleibt Programm.“ Denn, wie es in einem Aushang heißt,
       man sei „gegen neoliberale Stadt- und Standortpolitik. Wir fordern ein
       Berlin für alle.“
       
       Im Theater sei ein Nachbau der derzeit größten Atombombe B6112 aufgestellt
       worden, nach der auch die [2][Webseite] der Aktivisten benannt ist. „Die
       Bombe tickt“, hieß es. Das ist aber wohl eher metaphorisch zu sehen. Denn
       zugleich versuchte die Sprecherin möglicher Kritik vorab den Wind aus den
       Segeln zu nehmen. Man sei sich bewusst, dass das Haus unter Denkmalschutz
       stehe. Kein Nagel werde in die falsche Wand geschlagen, keine Wand
       beschmiert.
       
       Auch gegen allzuheftige Kritik an dem neuen Intendanten verwahrte sie sich.
       Es gehe nicht um die Personalie. „Wir distanzieren uns ausdrücklich von
       allen Angriffen auf Chris Dercon“, sagte die „Staub zu Glitzer“-Sprecherin.
       Den Berliner Senat forderte sie auf, Dercon eine angemessene
       Ersatzspielstätte zur Verfügung zu stellen. Bis dahin können er seine Mitte
       September begonnenen Projekte auf dem Tempelhofer Flugfeld fortsetzen.
       
       Was Dercon von dem Theaterdonner hält, ist unklar. Ein Sprecher der
       Volksbühne war zunächst nicht für eine Stellungnahme erreichbar. Auch
       Kultursenator Klaus Lederer (Linkspartei), der Dercons Berufung am liebsten
       noch verhindert hätte, sie aber von seinem Amtsvorgänger übernehmen musste,
       war für einen Stellungnahme nicht zu erreichen. Laut einem auf Twitter
       verbreiteten Foto saß er mit seinen Senatskolleginnen wenige hundert Meter
       entfernt vor dem Roten Rathaus am Neptunbrunnen in der Sonne.
       
       22 Sep 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://twitter.com/vb_6112/status/911222648008577024
   DIR [2] http://b612.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gereon Asmuth
       
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