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       # taz.de -- Hamburg verweigert Kostenerstattung: Evangelikale Christen beraten nach Abtreibungen
       
       > Ein evangelikaler Klinikkonzern will Frauen nach einer Abtreibung eine
       > „begleitende psychosoziale Betreuung“ anbieten. Neutral und ergebnisoffen
       > kann diese nicht sein.
       
   IMG Bild: Beratung durch den Pastor: Der evangelilkale Agaplesion-Konzern lehnt Abtreibungen in seinen Kliniken ab
       
       Wie neutral kann eine Beratung nach einer Abtreibung sein, wenn diejenigen,
       die sie anbieten, Schwangerschaftsabbrüche aufgrund ihres Glaubens
       ablehnen? Diese Frage werden sich Frauen stellen, die in der neuen Klinik
       im Landkreis Schaumburg eine Schwangerschaft abbrechen. Noch in diesem
       Herbst soll die Klinik, die aus der Fusion zweier städtischer und eines
       evangelischen Krankenhauses hervorgegangen ist, eröffnet werden. Der
       Betreiber, der evangelikale Agaplesion-Konzern, verbietet in seinen 25
       Kliniken Abtreibungen. Nach Protesten aus der Bevölkerung und der Politik
       macht er eine Ausnahme für Schaumburg.
       
       Allerdings sollen keine Klinikangestellten, sondern externe Ärzt*innen und
       Mitarbeiter*innen den Eingriff durchführen. Zudem hatte ein Konzernsprecher
       im Dezember angekündigt, dass Frauen eine Beratung angeboten werden soll.
       Wie genau das Angebot an die Frauen herangetragen werden soll, hat die taz
       jetzt recherchiert. Danach sollen die externen Ärzt*innen ihre Patientinnen
       im medizinischen Aufklärungsgespräch auf die Möglichkeit einer
       „begleitenden psychosozialen Betreuung“ durch Agaplesion-Angestellte
       hinweisen, wie es die Kliniksprecherin Nina Bernard nennt.
       
       „Es geht hier keinesfalls darum, dass auf Frauen in irgendeiner Art
       Einfluss auf ihre Entscheidung genommen werden soll, sondern es ist nur für
       Frauen, die nach dem Eingriff Gesprächsbedarf haben“, schreibt Bernard in
       einer Mail an die taz.
       
       Daran sei an sich nichts auszusetzen, sagt Maren Weidner, Ärztin und
       systemische Beraterin bei Pro Familia in Hamburg. Der
       Familienplanungsverein ist in vielen Orten Deutschlands staatlich
       anerkannter Träger der gesetzlich vorgeschriebenen
       Schwangerschaftskonfliktberatungen vor einer Abtreibung. „Wir bieten Frauen
       auch an, dass sie hinterher noch einmal wiederkommen können“, sagt Weidner.
       Allerdings würden nur sehr wenige Frauen dieses Angebot in Anspruch nehmen.
       
       Die meisten Frauen seien erleichtert, wenn sie den Abbruch hinter sich
       haben. „Das kann auch mit Bedauern oder Traurigkeit verbunden sein.“
       Frauen, die einen starken Kinderwunsch haben, aber sich unter den
       Umständen, in denen sie gerade leben, nicht vorstellen können, ein Kind zu
       bekommen, täten sich mit der Entscheidung meistens schwerer als Frauen, die
       keine Kinder bekommen wollen.
       
       Stark leiden würden nach Weidners Erfahrung die Frauen, die eine
       Schwangerschaft nur aus Angst vor den Reaktionen ihrer Herkunftsfamilie
       abbrechen. „Die dürften eigentlich gar keinen Freund haben, geschweige denn
       von ihm schwanger werden.“
       
       Das Angebot von Agaplesion möchte Weidner nicht bewerten. „Dazu weiß ich zu
       wenig.“ Sie gibt aber zu bedenken, was eine gute Beratung ausmacht. „Sie
       sollte ergebnisoffen sein und an dem anknüpfen, was die Frau mitbringt.“
       Das könnten auch Partnerschaftskonflikte sein, die durch die Abtreibung
       aufbrechen.
       
       Und vor allem: „Die Beraterin sollte der Klientin nicht implizieren, dass
       sie weiß, warum es ihr schlecht geht und was sie braucht, damit es ihr
       wieder besser geht.“ Zudem gibt Weidner zu bedenken, dass jede Frau vor
       einer Abtreibung in einer Beratungsstelle war und es sich anbietet, dort
       wieder hinzugehen, sofern sie sich dort gut beraten gefühlt hat.
       
       Diese von Weidner formulierten Ansprüche an eine Beratung kann Agaplesion
       nicht erfüllen. Wer die Beratung machen wird, ob ein Pastor oder eine
       Sozialarbeiterin, konnte die Kliniksprecherin am Donnerstag nicht sagen. In
       jedem Fall wird es jemand sein, der zumindest offiziell die ablehnende
       Haltung des Konzerns gegenüber Schwangerschaftsabbrüchen teilt.
       
       Abtreibungsgegner*innen suggerieren zudem, dass sehr viel mehr Frauen an
       den Folgen einer Abtreibung leiden, als bekannt wird. So heißt es
       beispielsweise auf der Seite der Stiftung „Ja zum Leben“ unter der Rubrik
       „Fakten“: „92,6 Prozent der befragten Frauen haben starke Schuldgefühle,
       über 88 Prozent leiden unter einer Depression.“ Das hätten „amerikanische
       Studien“ ergeben – deren Ergebnisse allerdings durch [1][andere
       Untersuchungen] widerlegt wurden, ebenso wie die angebliche Existenz eines
       „Post Abortion Syndromes“, einer psychischen Erkrankung infolge einer
       Abtreibung.
       
       „Wenn eine Frau nach einem Abbruch psychisch erkrankt, dann kann dieser als
       einschneidendes Erlebnis der Auslöser sein, nicht aber die Ursache“, sagt
       Pro-Familia-Beraterin Weidner. Das bedeutet im Umkehrschluss: Eine Beratung
       müsste in einem solchen Fall deutlich mehr leisten, als der Frau nahe zu
       legen, Gott um Vergebung für ihr sündhaftes Verhalten zu bitten.
       
       Uta Engelhardt, Geschäftsführerin von Pro Familia Niedersachsen, weist auf
       ein weiteres Problem hin. Laut [2][Schwangerschaftskonfliktgesetz] haben
       Frauen ein Recht auf „Nachbetreuung nach einem Schwangerschaftsabbruch“.
       Und im [3][Ausführungsgesetz des Landes Niedersachsen] heißt es dazu:
       „Ratsuchende sollen zwischen Beratungsstellen unterschiedlicher
       weltanschaulicher Ausrichtung auswählen können.“
       
       1 Oct 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.apa.org/pi/women/programs/abortion/mental-health.pdf
   DIR [2] https://www.gesetze-im-internet.de/beratungsg/BJNR113980992.html
   DIR [3] http://www.nds-voris.de/jportal/portal/t/xnw/page/bsvorisprod.psml/action/portlets.jw.MainAction?p1=0&eventSubmit_doNavigate=searchInSubtreeTOC&showdoccase=1&doc.hl=0&doc.id=jlr-SchwKBerGAGNDrahmen&doc.part=R&toc.poskey=#focuspoint
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eiken Bruhn
       
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