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       # taz.de -- Ausstellung über Kolonialausstellung: Menschen zum Anglotzen
       
       > Eine Ausstellung über die Kolonialausstellung von 1896 eröffnet in
       > Berlin. Im Zentrum stehen „Schauspieler“ aus Afrika und der Südsee.
       
   IMG Bild: Gruppenbild mit bewegter Geschichte: Die nach Berlin angereisten Herero und Nama nahmen das Foto mit zurück. Im Völkermord von 1904-1907 geriet es in die Hände des ehemaligen Gouverneurs Leutwein, der es nach Deutschland mitnahm und in seinem Buch veröffentlichte
       
       Die Besucher glotzten auf Bismarck Bell wie auf ein Tier im Zoo. Irgendwann
       reichte es ihm, er kaufte sich ein Opernglas und starrte zurück. Der junge
       Mann aus Kamerun war einer von 106 „Schutzbefohlenen“ aus den deutschen
       Kolonialgebieten, die im Jahr 1896 die „Erste Deutsche Kolonialausstellung“
       im Treptower Park mit Leben füllen und die Massen anziehen sollten.
       
       „Völkerschauen“ waren damals groß in Mode, diese war europaweit die größte
       ihrer Zeit. Sie war Teil der „Berliner Gewerbeausstellung“, die mit 900.000
       Quadratmetern noch mehr Fläche hatte als die Pariser Weltausstellung mit
       dem Eiffel Turm von 1889.
       
       Paris war auch das Vorbild für die Berliner Industriellen, Kaufleute und
       Gewerbetreibenden, doch weil der Kaiser das nicht bezahlen wollte, wurde es
       nur eine „verhinderte Weltausstellung“. Aber was für eine: Es gab Pavillons
       für 3.780 Aussteller, ein künstlicher See wurde angelegt (wo heute das
       Sowjetische Ehrenmal steht), ein eigener Bahnhof gebaut, Tramhaltestellen
       und Bootsanleger. Firmen wie Siemens oder Borsig zeigten ihre Produkte, der
       Physiker Wilhelm Conrad Röntgen präsentierte erstmals die später nach ihm
       benannten Strahlen, der Flieger Otto Lilienthal seine Dampfmaschinen.
       
       Neben dem ohnehin opulent ausgestatteten Ausstellungsbereich gab es einen
       riesigen Vergnügungspark inklusive Restaurants, Cafés und Brauhäusern,
       „Thierzirkus“, Gondelfahrten, Alpenpanorama, Nachbauten von „Alt-Berlin“
       samt Theater. Besonders beliebt beim Volk war wohl das Riesenfernrohr,
       weshalb darum herum später die Archenhold-Sternwarte gebaut wurde, das
       einzige Gebäude, was heute von der Ausstellung zeugt.
       
       Doch nicht nur die Wirtschaft, auch die noch junge Kolonialmacht wollte
       zeigen, was sie hatte und konnte. Die Kolonialausstellung wurde daher, im
       Gegensatz zum Rest, von der Reichsregierung mitfinanziert. Ziel der
       aufwändigen Inszenierung, für die ganze Dörfer möglichst originalgetreu
       nachgebaut wurden, war der Welt zu „zeigen, dass Deutschland seinen Beruf
       zur Kolonialpolitik voll begriffen“ habe, wie der „Amtliche Bericht“ zur
       Ausstellung ein Jahr später resümierte.
       
       Erst wenige Jahre zuvor, 1884/85 hatte man die ersten Gebiete im heutigen
       Tansania, Kamerun, Namibia sowie auf Papua-Neuguinea erworben, vor allem um
       die dortigen Handelsniederlassungen besser schützen zu können. „Die
       deutsche Kolonialpolitik ist in ihrem Grunde wirtschaftlicher Natur“, gibt
       der erwähnte Bericht unumwunden zu. Mit der Werbeveranstaltung im
       Treptower Park wollte man das Geschäft in und mit den Kolonien ankurbeln.
       
       114 Jahre später sitzt Tahir Della im Büro der Initiative Schwarzer
       Menschen in Deutschland in Kreuzberg und erklärt, was er heute in Bismarck
       Bells Geste sieht. „Das war ein kleiner Akt der Widerständigkeit.“ Auch den
       anderen „Schauspielern“ habe so manches an ihrem Job in Berlin nicht
       behagt, so Della, oft hätten sie sich ihren Auftraggebern widersetzt. Ihre
       Geschichten, Namen und Perspektiven stehen im Mittelpunkt einer neuen
       Dauerausstellung im Museum Treptow, die am kommenden Freitag eröffnet.
       „Zurückgeschaut“ heißt der Titel – so wie Bell auf die Besucher
       zurückglotzte und wie wir heute auf diese Geschichte zurückschauen.
       
       ## Ausgestellte Individualität
       
       Damals, so Della, sei es den Ausstellungsmachern darum gegangen, das Leben
       in den Kolonien authentisch nachzustellen. „Dieses inszenierte Leben bot
       ein Projektionsfläche für stereotype Vorstellungen der deutschen
       Bevölkerung.“ Nach dem Motto: Seht her, so leben Wilde, N* oder
       „Steinzeitmenschen“, wie es im „Amtlichen Bericht“ wiederholt heißt.
       
       Die Kuratoren vom Verein Initiative Schwarze Menschen, Berlin Postkolonial
       und dem Museum Treptow betonen demgegenüber die Individualität der
       Ausgestellten. Sie haben – so weit es ging – die richtigen Namen der
       „Schauspieler“ recherchiert, ihre Biografien, ihren weiteren Lebensweg.
       Nicht wenige blieben hier, nicht wenige engagierten sich hier oder in
       Afrika für die Belange der Kolonisierten.
       
       Die Ausstellung ist als Archiv konzipiert, das alles bislang zugängliche
       Wissen um diese Personen sammelt – und in Zukunft ergänzt werden kann.
       Optisch im Zentrum stehen die Porträtfotos der Menschen, die damals
       angefertigt wurden. Und zwar auf Veranlassung des Anthropologen Felix von
       Luschan, Direktorialassistent am kurz zuvor gegründeten Völkerkundemuseum,
       der die 106 Darsteller auch für seine „rassekundlichen“ Forschungen vermaß.
       
       Dieser Kontext von Rassismus und Kolonialismus – und dem Widerstand dagegen
       seitens der Kolonisierten – ist der zweite Schwerpunkt der Treptower Schau.
       Ausgehend von der Kolonialausstellung setzt sie sich kritisch mit dem
       deutschen Kolonialismus auseinander und dessen Folgen, die für manche bis
       heute zu spüren sind. Etwa für die Namibier, die noch immer um Anerkennung
       und Entschädigung für den Genozid durch die Deutschen kämpfen.
       
       Diese Themen seien „bisher weitgehend ignoriert worden“ und in Schulen kaum
       Thema, schreibt Berlin Postkolonial auf Facebook zur Ankündigung der
       Ausstellung. Die aktuelle Zunahme von Rassismus und Nationalismus sei auch
       auf diese Versäumnisse zurückzuführen. Daher wünsche man sich sehr, dass
       andere Städte und Museen mit ähnlichen Projekten nachziehen „und dabei eng
       mit migrantisch-diasporischen und postkolonialen Initiativen
       zusammenarbeiten.“
       
       Mehr zum Thema „Koloniales Erbe in Berliner Museen“ lesen Sie am Wochenende
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       6 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
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