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       # taz.de -- Die Wahrheit: Eiffelturm ohne Oscar
       
       > Zum Auftakt der französischen Woche auf der Wahrheit: Ralf Sotscheck
       > erinnert sich an ein Bauwerk, dass ihm einst Kopfzerbrechen bereitete…
       
       Die Franzosen haben einen Eiffelturm, das ist bekannt. Weniger bekannt ist,
       dass auch ich einen hatte. Lange her. Damals war ich Student und arbeitete
       nebenbei als Lkw-Fahrer – oder genauer: Ich war Lkw-Fahrer und studierte
       nebenbei an der Freien Universität in Berlin, und zwar jeden Montag von
       neun bis elf Uhr. Wie ich am Ende das Examen geschafft habe, ist vielen bis
       heute ein Rätsel.
       
       Aber ich schweife ab. Ich musste damals mit dem Lastwagen Paletten voller
       Drogerieartikel von Speditionen abholen. Eines Tages fragte mich ein
       Lagerarbeiter, ob ich Interesse an einem Eiffelturm hätte. Ich bejahte,
       denn ich glaubte, so ein kleines Ornament würde sich ausnehmend gut auf
       meinem Schreibtisch machen.
       
       Ich solle mit dem Lkw an die Rampe fahren, sagte der Arbeiter. Nun kamen
       mir erste Zweifel, berechtigte, wie sich herausstellte. Die vermeintliche
       Schreibtischzierde entpuppte sich als ein fast zwei Meter großes Modell des
       Pariser Turms, ursprünglich ein Verkaufsständer für französische Parfums.
       Die waren auf den Rundumbalkonen der drei Turmetagen, die man zu Regalen
       umfunktioniert hatte, ausgestellt.
       
       Zu Hause angekommen, wollte mich die Gattin für unmündig erklären lassen,
       denn das Monstrum nahm einen nicht unbeträchtlichen Platz in unserer
       Wohnung ein. Man könnte doch Gläser darauf abstellen, wandte ich lahm ein,
       doch der Vorschlag wurde mit Hinweis auf den zu diesem Zweck bereits
       vorhandenen Esstisch abgebügelt.
       
       Ein Bekannter, der in einem Reisebüro arbeitete, bekundete zum Glück
       Interesse an dem Turm, weil ich dessen Ausmaße geringfügig untertrieben
       hatte. Er war so überrascht wie seine Kollegen, als ich das Trumm mit dem
       Lkw ins Büro lieferte.
       
       Bei der Wahl zur europäischen Tourismusattraktion des Jahres musste sich
       der Eiffelturm jetzt wieder mal mit dem zweiten Platz begnügen. Den
       „Reise-Oscar“, wie die Auszeichnung genannt wird, gewann Spike Island im
       Süden Irlands. Die Insel war im sechsten Jahrhundert ein Kloster, das
       später zu einer Festung und schließlich zu einem Gefängnis umgebaut wurde.
       
       Mitte des 19. Jahrhunderts waren dort 2.300 Menschen eingekerkert. Es war
       das größte Gefängnis der Welt. Die Briten schlossen den Knast 1883, doch
       der irische Staat eröffnete ihn nach der Unabhängigkeit erneut und nutzte
       ihn bis 2004. Seit vorigem Jahr können sich Touristen dort
       Horrorgeschichten vom Knastalltag erzählen lassen.
       
       Die „Reise-Oscars“ werden von der Öffentlichkeit gewählt, wobei die Stimmen
       von Mitarbeitern der Tourismusindustrie doppelt zählen. Merkwürdigerweise
       gewann Irland diesen Oscar bereits in den vergangenen zwei Jahren – einmal
       für das „Titanic“-Museum in Belfast, das andere Mal für die
       Guinness-Brauerei in Dublin. Vermutlich waren es die Stimmen aus dem
       Reisebüro meines Bekannten, die den Sieg des Eiffelturms, der seit
       Jahrzehnten ihr Büro verschandelt, stets verhindert haben.
       
       9 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Sotscheck
       
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