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       # taz.de -- Krise in Kenia: „Es gibt keine Wahlen“
       
       > Kenias Opposition boykottiert die Neuwahl des Präsidenten. Wenn die Wahl
       > doch stattfindet, „machen wir das Land unregierbar“, drohen
       > Demonstranten.
       
   IMG Bild: Jugendliche Demonstranten mit Wurfgerät in Kisumu, Mittwoch
       
       Kisumu taz | „Kein Raila, keine Wahlen“, skandieren die jungen
       Demonstranten. Zu Tausenden haben sie sich in Kisumu, Bastion der
       kenianischen Opposition und Heimatstadt des Oppositionsführers Raila
       Odinga, an diesem Mittwochmorgen zusammengetan, um Odingas Wahlboykott zu
       unterstützen. Sie tragen Steine, Stöcke und Äste, während sie das Auto mit
       Provinzgouverneur Anyang Nyong’o begleiten – auch er gehört zur Opposition.
       
       Die Demonstranten, fast alles junge Männer im Alter zwischen 14 und 24
       Jahren aus den Armenvierteln der Millionenstadt, schreien und pfeifen, aber
       so früh am Tag kommt es nicht zu Auseinandersetzungen.
       
       Normalerweise geht es in Kisumu gewalttätiger zu. Jugendliche suchen
       ngang’o, wie „Konfrontation“ in der hiesigen Luo-Sprache heißt. Aber
       derzeit hält sich die Polizei im Hintergrund.
       
       Seit zwei Wochen gibt es mehrmals in der Woche Demonstrationen, zu denen
       Odinga aufruft – nicht nur in Kisumu, auch in anderen Orten, wo Kenias
       Opposition Zulauf hat. Gefordert werden Reformen in der Wahlkommission vor
       der für den 26. Oktober angesetzten Wiederholung der Präsidentenwahl vom
       August.
       
       ## Verwirrung über Wahlboykott
       
       Der Beschluss von Odingas Oppositionskoalition Nasa (Nationale
       Superallianz) vom Dienstagabend, die Wahlwiederholung zu boykottieren,
       sorgt nun für Verwirrung. Odinga argumentiert, dass die Wahlkommission IEBC
       die notwendigen Reformen nicht durchgeführt hat, wodurch die Wahlen am 26.
       Oktober noch schlechter würden als die vom August.
       
       Damals, so hatte das oberste Gericht am 1. September bei seiner
       Wahlannullierung geurteilt, hatte fast ein Viertel der erforderlichen
       Dokumente gefehlt, als die Wahlkommission Präsident Uhuru Kenyatta zum
       Sieger ausrief.
       
       Während Odinga am Dienstag nachmittag in Nairobi seinen Wahlboykott bekannt
       machte, donnerte und blitzte es in Kisumu. Trotz des starken Regens standen
       überall in der Stadt Menschen in Gruppen herum und fragten sich, was das
       nun bedeutet. Würden die Wahlen jetzt trotzdem stattfinden? Vorgesehen war,
       dass nur Amtsinhaber Kenyatta und der erfolgreiche Kläger Odinga antreten
       sollten.
       
       Am Mittwoch beschloss ein Gericht, dass nun statt Odinga der weithin
       unbekannte Präsidentenkandidat Ekuru Aukot, der im August weniger als ein
       Prozent der Stimmen bekam, mitmachen kann.
       
       Damit sind die Neuwahlen gerettet – aber damit ist wohl auch Kenyattas Sieg
       klar, und Odingas Anhänger sind wütend.
       
       ## Protest aus dem Armenviertel
       
       „Es gibt keine Wahlen“, schreit einer der Demonstranten bei dem größten
       Verkehrskreis der Stadt, wo Barrikaden aus Steinen und brennenden
       Autoreifen aufgestellt sind. „IEBC hat unseren Sieg im August gestohlen.
       Nun wollen sie uns endgültig den Sieg nehmen. Wir machen das Land
       unregierbar“, droht er.
       
       Der Protestmarsch geht aus dem Armenviertel Kondele zum Büro der
       Wahlkommission, in einer hübschen grünen Gegend ganz nah am Victoria-See.
       Dort fordern die Jugendlichen, dass eine neue Wahlkommission gewählt wird,
       die in drei Monaten Neuwahlen organisiert.
       
       Gouverneur Onyang’o führt in seinem Auto die Demonstranten zurück nach
       Kondele, um sicherzustellen, dass es nicht im Stadtzentrum zu Plünderungen
       kommt. Geschäfte, Restaurants und Tankstellen sind geschlossen und
       verriegelt. Wachleute haben ihre Uniformen ausgezogen, aus Angst, das Ziel
       von Angriffen zu werden.
       
       Bei Demonstrationen in den letzten zwei Wochen kam es in Kisumu oft zu
       Plünderungen mit Toten und Verwundeten.
       
       Manche andere Einwohner der Stadt, die nicht demonstrieren, verstehen
       nicht, was Odinga mit seinem Boykott erreichen will. „Die IEBC gibt nicht
       nach“, meint eine Frau und hofft, was Odinga angeht: „Er muss einen Plan
       haben. Er wird bestimmt noch etwas aus seinem Hut zaubern.“
       
       ## Der Gouverneur soll schlichten
       
       Auch Gouverneur Anyang Nyong’o sagt, er wisse nicht, wie es weitergeht. Er
       hat sich nach der Demonstration geduscht, umgezogen und sitzt jetzt in
       seinem Büro.
       
       „Das wird jetzt im Nasa-Hauptquartier in Nairobi besprochen“, sagt er.
       „Sicher ist, das es Freitags wieder eine Demonstration gibt. Und so geht es
       weiter, bis die Lage reif ist für gute, transparente Neuwahlen.“
       
       Dann klingelt sein Handy und er bekommt Bericht, dass die jungen
       Demonstranten wieder auf der Straße sind und die Polizei provozieren. Er
       schickt einen Mitarbeiter hin. Der aber murmelt dem Gouverneur zu: „Du bist
       der Einzige, der sie beruhigen kann.“
       
       Geschäftsleute in Kisumu haben schon bei ihm über die Proteste geklagt,
       weil sie immer ihre Türen schließen müssen. Onyang’o sagt, dass er sie
       versteht. Er war selber bei der Bank und sah, dass es keine Kunden gab,
       weil viele Menschen sich nicht nach draußen trauen. „Deshalb muss sich
       jeder an die Regeln halten: Drei Mal in der Woche Protest, aber nur für
       drei Stunden.“
       
       12 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ilona Eveleens
       
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