URI: 
       # taz.de -- Anschlag am Breitscheidplatz in Berlin: Bitteres Fazit zum Fall Amri
       
       > Chaotische Observation, nicht ausgewertetes Handy: Der Berliner
       > Sonderermittler benennt zahlreiche Polizeipannen im Fall Anis Amri.
       
   IMG Bild: Kerzen brennen am Berliner Breitscheidplatz, Ort des Attentats
       
       Das Urteil von Bruno Jost ist klar. „Es gab grobe Fehler, die nicht hätten
       vorkommen dürfen.“ Gleich mehrfach habe die Polizei die „reale Chance“
       gehabt, den Terroristen Anis Amri festzunehmen, sagte der Sonderermittler
       am Donnerstag. Genutzt wurde sie nicht.
       
       Am 19. Dezember war Anis Amri mit einem Lkw in den Weihnachtsmarkt am
       Berliner Breitscheidplatz gefahren. Zwölf Menschen starben, den Lkw-Fahrer
       hatte der Tunesier schon zuvor ermordet. Amri wurde vier Tage später in
       Italien von Polizisten erschossen.
       
       Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte Jost, einen früheren
       Bundesanwalt, im März als Sonderermittler ernannt. Und der legte nun seinen
       Abschlussbericht vor – mit bitterem Fazit.
       
       Ab Februar 2016 war Amri, der zuerst in Nordrhein-Westfalen, später in
       Berlin lebte, den Behörden als islamistischer Gefährder bekannt. Doch schon
       der erste Zugriff im gleichen Monat schlug fehl. Berliner Beamte hatten
       Amri kontrolliert und sein Handy beschlagnahmt. Darauf fand das BKA
       Tausende Chats und Fotos – von den Berlinern aber wurden diese laut Jost
       nie ausgewertet.
       
       Auch die spätere Observation Amris durch das Landeskriminalamt schildert
       Jost als Posse: Zwar waren Amris Drogengeschäfte bekannt, die Beamten aber
       beschatteten ihn nur wochentags und tagsüber, nicht aber an Umschlagplätzen
       und nachts, wenn er unterwegs war. Zudem wurde die Observation bereits nach
       sechs Wochen abgebrochen. Dabei hätten abgehörte Telefonate klargemacht, in
       welch großen Maßstäben Amri deale, so Jost. Wäre er weiter observiert
       worden, wäre die Chance auf eine Festnahme „beträchtlich“ gestiegen.
       
       Jost benennt auch eine zweite Chance: Im Juli 2016 hatten Polizisten Amri
       in Friedrichshafen mit gefälschten Papieren erwischt und für zwei Tage
       festgenommen. Alle Behörden hätten davon gewusst. Amri war seinerzeit
       Topthema im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum und auf „Rang 1 der Berliner
       Gefährder“.
       
       Dennoch sei der Tunesier weder zu seinen islamistischen Umtrieben, noch zu
       Drogengeschäften, noch seinen gefälschten Identitäten befragt worden. Für
       Jost ein Unding: „Man konnte doch nicht so tun, als ob man einen Eierdieb
       festgenommen hatte.“ Keine der Behörden hätte „den Hintern dorthin bewegt“.
       Dabei hätte Amri auch hier einen Haftbefehl kassieren können. Schon allein
       als abgelehnter Asylbewerber, ohne Wohnsitz und soziale Bindung.
       
       Lange rätselten die Behörden auch, woher Amri wirklich stammt. Dabei gab es
       gar ein abgehörtes Telefonat mit seiner tunesischen Mutter. Und auch als
       Amris Herkunft klar war, scheiterte die Abschiebung: Angeblich lagen seine
       Handflächenabdrücke nicht vor, welche die tunesischen Behörden für
       Ersatzpapiere verlangten. Sie gab es aber, so Jost: beim BKA.
       
       Innensenator Geisel lehnte personelle Konsequenzen für die Berliner Polizei
       ab. Diese habe damals unter hohem Druck gestanden und müsse heute den
       Reformprozess organisieren. Allerdings wies Jost auch nach, wie ein
       Berliner Polizist einen Bericht über Amri nachträglich manipulierte und dem
       Tunesier nur noch Kleinsthandel von Drogen attestierte, wohl um die
       Möglichkeit des Haftbefehls zu kaschieren.
       
       Geisel fordert indes einen Untersuchungsausschuss zu Amri im Bundestag. Den
       fordern auch Linke und Grüne.
       
       12 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Konrad Litschko
       
       ## TAGS
       
   DIR Polizei Berlin
   DIR Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt
   DIR Anis Amri
   DIR Untersuchung
   DIR Anis Amri
   DIR Schwerpunkt Afghanistan
   DIR Anis Amri
   DIR Anis Amri
   DIR Polizei Berlin
   DIR Polizei Berlin
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Amri-Untersuchungsausschuss in Berlin: Viele Unklarheiten bei Überwachung
       
       Die Berliner Polizei hat bei der Überwachung des späteren Attentäters Anis
       Amri viele Fehler gemacht, sagt Sonderermittler Jost als Zeuge im
       U-Ausschuss.
       
   DIR Von Leipzig/Halle nach Afghanistan: Abschiebung vorerst ausgesetzt
       
       Der Angehörige einer bedrohten Minderheit, der am Dienstagabend nach
       Afghanistan abgeschoben werden sollte, wird vielleicht verschont.
       
   DIR Kommentar zum Amri-Bericht: Natürlich wurden Fehler gemacht
       
       Wer behauptet, der Anschlag auf dem Breitscheidplatz hätte verhindert
       werden können, macht es sich zu leicht – und bahnt den Weg für eine
       Law-and-Order-Politik.
       
   DIR Berlin und die Aufklärung des Falls Amri: Eine Menge schiefgelaufen
       
       Hätte der Anschlag auf dem Breitscheidplatz verhindert werden können? Bruno
       Jost, Sonderbeauftragter des Senats, stellt seinen Abschlussbericht vor.
       
   DIR Nachbereitung des Falls Amri: Krank, aber zum Marathon
       
       Bericht über Nachbereitung des Anschlags auf dem Weihnachtsmarkt weiter
       unter Verschluss. Ex-Staatssekretär meldet sich als Zeuge krank.
       
   DIR Interner Bericht der Berliner Polizei: Nach Anschlag zu spät reagiert
       
       Eine Untersuchung bescheinigt der Berliner Polizei schwere Versäumnisse in
       den Stunden nach dem Terroranschlag am Breitscheidplatz im Dezember.