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       # taz.de -- Ewiges Gedächtnis von Facebook: Ein Gefühl der Ohnmacht
       
       > Kein Vergessen: Bilder, die unsere Autorin in ihrer Jugend veröffentlicht
       > hat, bleiben für immer verfügbar. Sie hat keinen Einfluss auf ihre Daten.
       
   IMG Bild: Am Haken? Die Daten unserer Autorin werden nie wieder aus den Tiefen des Internetmeers gelöscht
       
       Seit zwei Wochen bin ich auf einer Zeitreise in meine Pubertät. Leider ist
       es nicht mein Tagebuch, in dem ich herumwühle, sondern das Internet. Ich
       erkunde die Grenzen meines eigenen guten Geschmacks: Jugendsünden,
       Partyfotos, Alkoholeskapaden.
       
       Alles fein säuberlich dokumentiert auf meinem Facebook-Profil. Und
       natürlich auf den Facebook-Profilen meiner Freunde. Beziehungsweise
       derjenigen, die ich als Teenager zu dieser Gruppe gezählt habe. Jederzeit
       abrufbar – von mir, von den „Freunden“ und auch von allen anderen, die
       einen Facebook-Account haben.
       
       Mein Facebook-Profil gibt es seit 2007, damals war ich 14 Jahre alt.
       Niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt, welche Ausmaße das Netzwerk haben würde.
       Während die deutschen Teenies SchülerVZ vergötterten, drehte sich meine
       Welt an meiner deutschen Auslandsschule bereits um Facebook.
       
       Unsere Pinnwände wurden öffentliche Tagebücher. Sie lösten SMS, MSN und ICQ
       im Handumdrehen ab. Sie waren ein Traum für jeden mitteilungsbedürftigen
       und aufmerksamkeitssüchtigen Teenager. Kommunikation fand nicht zwischen
       zwei Menschen, sondern öffentlich statt. Die gegenseitigen Einträge auf den
       Pinnwänden variierten von „Hey, wie geht’s dir? Du warst heute nicht in der
       Schule“ bis „Hey, ich habe gehört, du hattest gestern endlich Sex“.
       
       Niemand warnte uns, zu viel von uns preiszugeben. Niemand erklärte uns
       etwas über Datensicherheit und Privatsphäre. Im Gegenteil, Eltern freuten
       sich über das Ausbleiben von überteuerten Handyrechnungen, und LehrerInnen
       genossen das unkomplizierte Teilen von Bildern der letzten Klassenausflüge.
       
       ## Ein Manifest meiner Jugend
       
       Für die Erwachsenen war Facebook Neuland, sie waren beeindruckt von der
       einfachen Bedienung und den vielen Möglichkeiten. Und das auch noch
       umsonst! Zu dieser Zeit gab es noch kein Bewusstsein dafür, was es
       bedeutet, mit der Währung Daten zu bezahlen. Es gab noch keine Debatten
       über Cybermobbing, Zensur und Hasskommentare.
       
       Mein Facebook-Profil umfasste bereits nach nur drei Jahren eine Datenmasse
       von über eintausend Fotos, Pinnwandeinträgen, Likes und Kommentaren.
       Gruppenfotos auf dem Schulhof in der achten Klasse, Selfies mit betrunkenen
       Freundinnen auf Partys. Dumme Sprüche und Bilder von Leuten, leicht
       bekleidet am Strand, eigens von mir hochgestellt. Theaterauftritte,
       Reitwettbewerbe und soziale Tätigkeiten. Zwischendurch sexualisierte
       Kommentare von irgendwelchen Jungs aus der Klasse über mir. Ein Manifest
       meiner Jugend.
       
       Viele Dinge, die ich da hochgestellt habe, finde ich heute peinlich. Die
       meisten Inhalte würde ich gerne löschen. Ich hätte sie gerne im privaten
       Fotoalbum. Dann könnte ich selber bestimmen, wann und wem ich sie zeige.
       Und mich über mich selber totlachen.
       
       Zum Lachen ist mir allerdings gar nicht zumute. Ich habe ein sehr ungutes
       Bauchgefühl. Dieses Gefühl rührt daher, dass Facebook für immer das Recht
       hat, alle meine Bilder zu behalten und auszugraben, wenn jemand danach
       sucht. Und ich kann nichts dagegen tun. Es geht also weniger um den Inhalt
       meiner Posts und Bilder, für den ich mich teilweise schäme, als um ein
       Gefühl der Ohnmacht.
       
       Ich kann gegen die alten Fotos, die meine Freunde damals von mir
       hochgeladen haben, nichts tun. Ich kann lediglich die Verlinkung aufheben
       und die Fotos von meinem eigenen Profil verbannen. Mit
       Gesichtserkennungsprogrammen können sie allerdings auch ohne Verlinkung
       problemlos zusammengescharrt werden.
       
       ## Kein Recht am eigenen Bild?
       
       Dieser Sachverhalt betrifft auch diejenigen, die keine Facebook-NutzerInnen
       sind. Schließlich können User auch Fotos von Menschen hochstellen, die
       selber nicht auf Facebook vertreten sind. Im Zweifel wissen die Menschen
       auf den Bildern also nicht einmal, dass Fotos von ihnen im Internet
       kursieren.
       
       Eigentlich haben wir in Deutschland ein Gesetz, das uns gegen so etwas
       schützen soll. Das Recht am eigenen Bild. So darf jeder Mensch
       grundsätzlich selbst darüber bestimmen, ob und in welchem Zusammenhang
       Bilder von ihm veröffentlicht werden. Die meisten Facebook-Profile sind
       nicht öffentlich, und deshalb greift das Gesetz nicht, auch wenn mehr als
       tausend Menschen darauf Zugriff haben.
       
       Es bleibt die Möglichkeit, Facebook solche Fotos zu „melden“. Facebook
       löscht in diesem Fall die Verlinkung und öffnet ein Chatfenster. Über den
       Chat kann oder muss man nun den Besitzer des jeweiligen Fotos dazu
       auffordern, es zu löschen. Das ist sehr mühsam und ineffizient. Ich habe
       insgesamt mehr als vierhundert Fotos gemeldet, lediglich 40 wurden
       gelöscht.
       
       Ich bin ein Digital Native. Das heißt, dass ich mich nie für soziale Medien
       entschieden habe. Soziale Medien haben nicht meine Kommunikation verändert
       – Kommunikation war für mich von Anfang an durch sie geprägt. Meine Jugend
       ohne Facebook kann ich mir nicht vorstellen. Ich wäre aus einem großen
       Teil des sozialen Lebens ausgeschlossen gewesen.
       
       Im Studium war Facebook essenziell für die Organisation von Lerngruppen und
       den Zugang zu Informationen über Veranstaltungen. Hätte ich kein Facebook
       gehabt, wäre ich meine gesamte Ausbildungszeit abhängig von MitschülerInnen
       gewesen. Ich hätte nie direkt an der Informationsquelle gesessen.
       
       ## Soziales Kapital
       
       Mein Facebook-Profil ist mein soziales Kapital. Egal ob ich eine neue
       Wohnung suche, einen Spendenaufruf starte oder eine Umfrage für meine
       nächste wissenschaftliche Arbeit durchführe, mein Netzwerk ist meine erste
       Anlaufstelle. Über die Plattform halte ich mit Lebensabschnittsgefährten
       aus der ganzen Welt Kontakt. Ich möchte mich nicht von ihnen trennen, und
       genauso wenig möchte ich mich von den Gruppen trennen, in denen ich auf
       Facebook Mitglied bin. Ich fühle mich zu vielen dieser Gruppen zugehörig,
       beispielsweise zur Alumnigruppe meiner alten Uni.
       
       Es gibt Menschen, die versuchen nur die Vorteile von Facebook zu nutzen und
       die Nachteile auszuklammern. Sie haben kein Profilfoto und einen falschen
       Namen. Sie geben keine Daten von sich preis. Mein Freund ist einer von
       ihnen. Vorletzte Woche wurde genau das zum Problem. Im Zuge der
       Wohnungssuche während seines Auslandssemesters veröffentlichte er ein
       wohlüberlegtes WG-Gesuch in den zahlreichen Facebook-Gruppen. Nach nur 30
       Minuten waren die Posts wieder weg. Gelöscht.
       
       Es folgte eine Nachricht von einem der Gruppenverwalter, der ihm erklärte,
       sein Post sei gelöscht worden, da er einen „Fake-Account“ habe. Man sehe
       das sofort, schließlich habe er weder Fotos noch Informationen auf seinem
       Profil. Die Gruppe diene der Unterstützung von Erasmusstudierenden, und
       daher würde er nun gesperrt werden.
       
       Die Piraten haben das Thema Netzpolitik und Rechtssicherheit im Internet
       vor der vorletzten Bundestagswahl sichtbar gemacht. Seitdem wird viel über
       Daten gesprochen. Es wird über Datensicherheit, Datenspeicherung und die
       Datenweitergabe diskutiert. Seit dem NSA-Skandal sowieso.
       
       Diese Themen bestehen zu Recht, sie sollen unbedingt diskutiert werden. Es
       ist absurd, dass Nachrichtendienste Facebook-Nachrichten mitlesen dürfen
       und Onlinetätigkeiten beobachten. Ist es nicht aber genauso absurd, dass
       niemand wissen kann, ob und wie viele Bilder von ihm oder ihr auf der
       Plattform kursieren? Dass soziale Medien sämtliche Daten, die Minderjährige
       von sich preisgeben, für immer behalten werden? Dass nicht einmal die
       Weitergabe dieser Daten verboten ist?
       
       ## 2017 ist Internet kein Neuland mehr
       
       Zur letzten Bundestagswahl hat keine Partei das Thema Rechtssicherheit im
       Internet auch nur thematisiert. Die FDP spricht vom Ausbau der digitalen
       Infrastruktur und des Glasfasernetzes. Das ist schön und gut. Aber wie wäre
       es, wenn wir uns erst einmal die digitale Infrastruktur vorknöpften, die
       wir bereits nutzen?
       
       Die Politik muss hier Verantwortung übernehmen, Minderjährige aufklären und
       das Thema in Schulen bringen. Die Jugend ist mittlerweile zu Facebooks
       Tochter Instagram oder Snapchat abgewandert, um dort ihrem
       Selbstdarstellungsdrang gerecht zu werden. Junge Mädchen posieren eifrig in
       knappen Hotpants und Bikinitops am Strand, und halbstarke Jungs
       fotografieren sich oben ohne im Spiegel der Fitnessstudioumkleide.
       
       Man könnte darüber schmunzeln und argumentieren, dass man solche Fotos
       nicht so ernst nehmen darf – wenn Unternehmen nicht frei über sie verfügen
       könnten. Wir müssen unsere Gesetze überarbeiten, damit sie auch in Zeiten
       der Vermischung von Privatem und Öffentlichem noch greifen können.
       
       Ich nehme es weder der Politik noch meinen Eltern übel, dass sie 2007 nicht
       besser auf mich und meine Daten aufgepasst haben. Das Internet war Neuland,
       und sie wussten es nicht besser. 2017 funktioniert diese Ausrede allerdings
       nicht mehr.
       
       18 Oct 2017
       
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