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       # taz.de -- Weddinger „Problemhaus“: Umziehen um zwölf
       
       > In einer Hauruckaktion verlegt der Bezirk Mitte Menschen aus einem Haus
       > in der Kameruner Straße in eine Notunterkunft. Das Motiv der Behörden:
       > Kinderschutz.
       
   IMG Bild: Von außen nur zu erahnen: die Wohnverhältnisse in der Kameruner Straße
       
       Der Bezirk Mitte ist in einem „Problemhaus“ in der Kameruner Straße aktiv
       geworden: Unter Verweis auf den Kinderschutz wurden am Freitag mehrere
       Familien vorübergehend in einer freigewordenen Notunterkunft untergebracht.
       Ein Team des Jugend- und Gesundheitsamts Mitte hatten am Morgen nach einer
       Begehung des Hauses im Weddinger Afrikanischen Viertel den Schritt
       veranlasst.
       
       „Der Kinderschutzdienst hat einstimmig entschieden, dass die Situation so
       gefährdend und bedrohlich für die Kinder war, dass wir handeln mussten“,
       sagte Jugendamtsleiterin Monika Goral. Das Wohnhaus, über das auch die taz
       berichtet hatte, ist nun für Familien mit minderjährigen Kindern gesperrt.
       
       Die MieterInnen des Hauses, darunter viele Roma aus Bulgarien und Rumänien,
       traf die Aktion unvorbereitet. „Man hat uns gesagt, dass Familien mit
       kleinen Kindern in zwei Stunden ausziehen müssen“, berichtete ein Bewohner.
       Schulkinder seien für 11.30 Uhr nach Hause zu bestellen, bis 12 Uhr die
       nötigsten Sachen zu packen.
       
       Am Mittag kam es dann zu teils chaotischen Szenen am Haus. Drei
       Übersetzerinnen waren beschäftigt, Fragen der BewohnerInnen zu beantworten,
       wo es hingehe, wie man dort untergebracht sei, was man mitnehmen solle.
       Einige BewohnerInnen, wie eine Mutter zweier Kinder, erfuhren erst auf dem
       Rückweg von der Arbeit durch ein Plakat im Hausflur, dass sie nun nicht
       mehr in ihrer Wohnung schlafen dürften.
       
       „Es war sicher für viele Familien erschreckend, dass wir so stark in ihr
       Leben eingreifen. Aber Kinderschutz ist manchmal Klarheit und das sind dann
       hard facts. Es war eine Intervention und kein Angebot“, verteidigte
       Jugendamtsleiterin Goral das Vorgehen.
       
       ## Keine akute Bedrohung?
       
       Nur wenige Tage vor dem erzwungenen Umzug hatte die Bezirksstadträtin für
       Jugend und Familie, Sandra Obermeyer (parteilos, für die Linke), gegenüber
       der taz erklärt, das Jugendamt habe bei Überprüfungen funktionierende und
       fürsorgliche Familien in einer desolaten Wohnsituation vorgefunden, das
       Kindeswohl aber nicht als akut bedroht gesehen.
       
       Aufmerksam geworden war das Amt auf das Haus in der Kameruner Ecke
       Lüderitzstraße im Sommer Eine nahe gelegene Grundschule hatte 17 Meldungen
       von Kindeswohlgefährdung wegen des schlechten Zustands der Immobilie
       eingereicht: In den Wohnungen – meist einzelne Zimmer, die von einer ganzen
       Familie bewohnt werden – gab es Schimmel und Feuchtigkeit, die Toiletten
       waren teilweise defekt, in den Müllbergen auf dem Hof tummelten sich
       Ratten.
       
       Verschiedene Stellen im Bezirk hatten seither Versuche zur Verbesserung
       unternommen. Man suchte auch die Kooperation mit dem Eigentümer des Hauses,
       der Kontakt war laut Obermeyer aber sehr zäh. „Unsere Erfahrungen der
       letzten Monate und die missglückte Rattenbekämpfung haben maßgeblich zur
       Entscheidung beigetragen, das Haus nun für Familien zu sperren“, erklärte
       Goral die Entscheidung.
       
       ## Lösung nur für zwei Wochen
       
       Etwa 30 MieterInnen traten bereitwillig den Umzug in die Übergangsbleibe im
       Ortsteil Gesundbrunnen an. Dort zeigte sich das Personal stellenweise
       überwältigt von der Situation. „Wir sind eine Müllhalde, hier kann
       eigentlich keiner einziehen“, sagte ein Mitarbeiter. Am Vormittag sei der
       Notruf gekommen, man müsse Menschen aufnehmen. Zwei Tage vorher hätten hier
       noch 180 Geflüchtete gewohnt. Auf den Schulgängen standen Bettgestelle,
       Matratzen und Müll, als die neuen Bewohner ankamen. „Wir waren gerade
       dabei, aufzuräumen. Wir dachten, wir hätten jetzt geschlossen“, sagte der
       Mitarbeiter.
       
       Für vorerst zwei Wochen sollen die Familien nun in der ehemaligen Schule
       wohnen. Wohin sie dann ziehen, ist laut Jugendamt noch unklar, „aber nicht
       aus Mangel an Kreativität, sondern weil wir noch gar nicht wissen, was die
       Familien wollen“, so Goral. Mit Verweis auf die Wohnraumknappheit waren
       Bezirk und Land der Option einer anderweitigen Unterbringung bislang
       zurückhaltend begegnet.
       
       15 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anne Pollmann
       
       ## TAGS
       
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