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       # taz.de -- Betriebsrat unter Druck: AssistentInnen auf der Abschussliste
       
       > Die Geschäftsführung der Hamburger Assistenzgenossenschaft attackiert
       > ihre Belegschaftsvertretung mit Abmahnungen und droht mit Amtsenthebungen
       > – doch die Betriebsräte wehren sich
       
   IMG Bild: Weitaus steiniger: Die Wege des AssistentInnen der Hamburger Assistenzgenossenschaft
       
       Hamburg taz | Das Vorgehen hat Methode: Abmahnungen, Kündigungsandrohungen,
       Gehaltsabzug und die Einleitung von Amtsenthebungsverfahren. Seit Monaten
       überzieht die Geschäftsführung der Hamburger Assistenz-Genossenschaft (HAG)
       ihre BetriebsrätInnen mit Angriffen, um sie zu reglementieren,
       einzuschränken und zu zermürben – von einst vertrauensvoller Zusammenarbeit
       ist nicht mehr viel geblieben. Die BelegschaftsvertreterInnen vermuten
       hinter einer für die HAG neuen Strategie des Betriebsrats-Bashings eine
       klare Absicht. Die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Bettina Goebel
       sagt: „Um uns Betriebsräte loszuwerden“.
       
       Mehr als 250 Männer und Frauen sind bei der HAG als Assistenz-HelferInnen
       beschäftigt, fast ausnahmslos in Teilzeit. Sie helfen behinderten Menschen
       zum Teil im 24-Stunden-Schicht-System in ihren Wohnungen ein möglichst
       selbstbestimmtes Leben zu realisieren. Ein neunköpfiger Betriebsrat hat
       seit Jahren die Interessen der AssistentInnen bei der HAG im gegenseitigen
       Einvernehmen wahrgenommen.
       
       ## 150 Stunden aberkannt
       
       Doch die Zusammenarbeit wird von der HAG-Geschäftsführung zunehmend in
       Frage gestellt. Diese hielt bestehende Betriebsvereinbarungen nicht mehr
       ein, sodass das Gremium vor das Arbeitsgericht ziehen musste. Auch den
       Wirtschaftsausschuss, in dem ArbeitnehmerInnen und Unternehmen gemeinsam
       über die wirtschaftliche Zukunft sprechen, erklärte die Geschäftsführung
       für aufgelöst. Begründung: Die HAG sei neuerdings ein caritatives
       Unternehmen, das dem Tendenzschutz unterliege. Und im Frühjahr erkannte die
       Geschäftsführung dem Betriebsratsvorsitzenden 150 Stunden
       Betriebsratsarbeit nicht als Arbeitszeit an.
       
       Eine weitere Eskalationsstufe erreichte der Konflikt im Juni. Von oben gab
       es die Dienstanweisung, dass die Betriebsräte trotz ihres Mandates ihre
       vertraglichen Verpflichtungen einzuhalten hätten und fester Bestandteil der
       Dienstpläne in voller Stundenzahl wären. Die Notwendigkeit der
       Ausschusssitzungen des Betriebsrates oder anderer Tätigkeiten wie Themen
       seien darzulegen und zu genehmigen.
       
       ## Ansprüche müssen die BetriebsrätInnen einklagen
       
       „Seit Juni startete die Geschäftsführung nun massive Angriffe auf unsere
       betriebliche Selbstorganisation“, berichtet der Betriebsratsvorsitzende
       Karl Schaaf. „Sie zweifeln die Erforderlichkeit des Betriebsrats an: man
       könne ihn sich nicht mehr leisten“, so Schaaf. Daher werde die geleistete
       Arbeit als Betriebsräte nicht als Arbeitszeit angerechnet. „Gleich, ob
       Büroarbeit oder Ausschüsse, die Geschäftsführung stellt vieles in Frage,
       was wir als Betriebsratstätigkeiten für zwingend erforderlich halten“,
       berichtet Goebel. Fast alle Betriebsräte seien daher gezwungen, ihre
       Ansprüche auf Entlohnung für geleistete Arbeit individuell vor dem
       Arbeitsgericht geltend zu machen.
       
       Die Geschäftsführung begründet die Zahlungsverweigerung mit der
       Formulierung im Betriebsverfassungsgesetz, dass die Tätigkeit als
       Betriebsräte ein „unentgeltliches Ehrenamt“ sei.
       
       In der Tat dürfen Betriebsräte laut Betriebsverfassungsgesetz nicht für ihr
       Mandat vom Unternehmen besonders vergütet werden. Denn dadurch wären sie
       unter Umständen bestechlich. Bereits in den nächsten Sätzen des Gesetzes
       steht aber deutlich, dass sie für ihre Arbeit als Betriebsräte von ihrer
       normalen Arbeit freigestellt werden müssen. Und wenn sie aufgrund
       betriebsbedingter Gründe Betriebsratsarbeit außerhalb der regulären
       Schichtplanungen absolvieren müssen, dann sei diese Mehrarbeit als Freizeit
       auszugleichen oder als Mehrarbeit zu vergüten.
       
       ## Sonderschichten und Abmahnungen
       
       Doch damit nicht genug: Zuletzt versuchte die Geschäftsführung Schaaf aufs
       Glatteis zu führen. Aus heiteren Himmel verpflichte die Schichtleiterin den
       Betriebsratschef, in einer Woche mehrere Assistenzen zu übernehmen und
       seine Betriebsratstätigkeit ruhen zu lassen, obwohl er als
       Betriebsratsvorsitzender für diese Tage seine Freistellung geltend gemacht
       hatte und seine Zwangsverpflichtung als Eingriff in die Betriebsratsarbeit
       geißelte.
       
       Als sich Schaaf weigerte, diese Assistentenzschichten zu übernehmen, weil
       Betriebsratsarbeit Vorrang habe, hagelte es zwei Abmahnungen wegen
       Arbeitsverweigerung, Nötigung der Schichtleiterin und die Ankündigung, ein
       Amtsenthebungsverfahren wegen Missbrauch des Betriebsrats-Mandates
       einzuleiten.
       
       Auch gegen die Abmahnungen werden die BetriebsrätInnen vor dem
       Arbeitsgericht klagen. Sie hoffen, dass die RichterInnen die
       Geschäftsführung in die Schranken weist.
       
       Eine Stellungnahme zu dem Komplex wollte der geschäftsführende HAG-Vorstand
       in den vergangenen Tagen nicht abgeben.
       
       20 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kai von Appen
       
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