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       # taz.de -- Google in der Grundschule: Kleine Geschenke mit Nebenwirkung
       
       > Google sponsort Minicomputer und baut so seinen Einfluss im Klassenzimmer
       > aus. Deutsche Bildungsministerien helfen eifrig dabei.
       
   IMG Bild: Die Zukunft hat Google im Blick
       
       Der Calliope mini ist so klein wie ein Handteller. Auf die flache Platine
       können Kinder Programme laden, die sie davor am Computer selbst geschrieben
       haben. Mit den bunten Bausteinen der grafischen Programmiersprache können
       sie einander Nachrichten schicken oder einen selbstfahrenden Roboter bauen.
       Das Gerät soll in allen Schulfächern einsetzbar sein, zum Beispiel, um
       einen Schrittzähler für den Sportunterricht zu programmieren.
       
       So sollen Achtjährige in der Schule lernen, wie man programmiert. Und das
       zu einem Preis, der sich nicht in Euro misst, sondern in Einfluss auf die
       Bildungspolitik. Wie brisant das werden kann, zeigt sich gerade in
       Mecklenburg-Vorpommern.
       
       Dort sollen ab nächstem Jahr 100 Grundschulen 2.500 dieser Minicomputer
       testen. Für die insgesamt 75.000 Euro teuren Geräte zahlen sie keinen Cent.
       Denn die gemeinnützige Calliope gGmbH verteilt seit einem Jahr großzügige
       Spenden und will ihr Gerät in allen Bundesländern einführen. Über
       Pilotprojekte der Bildungsministerien, privatwirtschaftliche Initiativen
       und Stiftungen arbeiten mittlerweile Schulen in fast allen Bundesländern
       mit den 750 Euro teuren Klassensätzen des Calliope mini. Dahinter stecken
       namhafte Sponsoren wie SAP, Bosch und Microsoft. Vor allem Google
       finanziert die gGmbH mit insgesamt 1,1 Millionen US Dollar, wenngleich ohne
       inhaltlichen Einfluss, wie die gGmbH versichert. Doch der IT-Konzern
       verdichtet so sein Netzwerk auf dem deutschen Bildungsmarkt.
       
       René Scheppler von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in
       Hessen beobachtet das schon länger und sieht darin „einen großen
       Masterplan, wie Google die digitale Bildung an sich reißt“. Der Konzern
       versuche indirekt, „eine gewisse Mentalität in der Gesellschaft zu
       erzeugen, pro Digitalisierung“. Wirtschaftslobbyismus statt Demokratie
       könnte also heute entscheiden, wie digitale Bildung morgen aussieht,
       nämlich sternförmig und handtellergroß: wie der Calliope mini.
       
       ## Seilschaften der SPD
       
       Dass die neue gGmbH in nur einem Jahr zum digitalen Star aufstieg, mag auch
       an den SPD-Seilschaften der Gesellschafter*innen liegen. Drei von ihnen
       sind Parteimitglieder, darunter Gesche Joost, Professorin für Design in
       Berlin. Sie war sogar im Wahlkampfteam von Peer Steinbrück und ist seit
       2014 Digitalbotschafterin der Bundesregierung. Die Anschubfinanzierung von
       200.000 Euro durch das SPD-geführte Wirtschaftsministerium passt ins Bild.
       
       Für Gewerkschaftler Scheppler ist klar: Es kann kein Zufall sein, dass
       gerade Bundesländer mit SPD-Regierungen die großzügigen Spenden annehmen
       und „die Geschäftsidee von Parteifreunden fördern“ – ungeachtet
       existierender Konkurrenzprodukte. Aktuell ist dies im Saarland, Berlin,
       Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern der Fall.
       
       Auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer ist von den
       Minicomputern überzeugt. Beim Digitalgipfel der Bundesregierung im Juni
       preschte sie vor und freute sich, dass Rheinland-Pfalz „Calliope in
       Grundschulen ausprobieren“ werde. Das Kultusministerium ruderte zurück, man
       prüfe Calliope noch. Pikant daran: Calliope-Gesellschafter Stephan Noller
       beriet bis vor Kurzem die Landesregierung in Mainz, und Dreyer selbst ist
       im Beirat des SPD-nahen Thinktanks D64, den wiederum
       Calliope-Gesellschafterin Joost leitet.
       
       Joost sitzt auch im beratenden Digitalrat des Landes Niedersachsen. Dort
       schlossen das Kultusministerium und die Calliope gGmbH für ein gemeinsames
       Pilotprojekt einen Sponsoringvertrag im Wert von 22.500 Euro. Offiziell
       werden im Projekt zwar auch andere Anbieter eingesetzt, doch gratis gibt es
       nur den Calliope. Obendrauf verpflichtet sich das Land im Vertrag,
       „Unterichtskonzepte und -materialien zu erstellen“. Gewerkschafter
       Scheppler empört das: „Damit liefert man Calliope ja eine Serviceleistung.
       Die dürfte den Sponsoringwert von 22.500 Euro deutlich übersteigen.“
       
       ## Heute geschenkt, morgen teuer verkauft
       
       Das Ziel der großteils ehrenamtlichen Calliope-Gesellschafter*innen ist
       dabei nobel: offene Lizenzen und digitale Bildung für jedes Kind unabhängig
       vom Geldbeutel der Eltern. Da das deutsche Bildungssystem klamm ist, zahlt
       Google. Gesellschafter Noller macht jedoch klar, dass nach dieser
       Anschubfinanzierung „die Geräte mittelfristig vom Schulsystem in eigener
       Regie verwendet und finanziert werden“ sollen. Was also heute ein Geschenk
       ist, könnte morgen teuer werden. Niedersachsen schätzt etwa, dass eine
       flächendeckende Einführung von Calliope 8,4 Millionen Euro kosten würde.
       Doppelt so viel wie das billigere Konkurrenzprodukt BBC Microbit.
       
       Auf Widerstand stößt Calliope nur selten. Baden-Württemberg hat die
       Minicomputer prüfen lassen und sich gegen sie entschieden. Zu „empfindlich
       und anfällig“ sei das Gerät bei vergleichsweise hohen Kosten, heißt es aus
       dem Kultusministerium in Stuttgart. Auch Sachsen sperrt sich noch. Nach
       Gesprächen mit der gGmbH Anfang des Jahres hat sich das Kultusministerium
       vorerst gegen eine Erprobung und flächendeckende Einführung an Grundschulen
       entschieden. Es gab wettbewerbsrechtliche Bedenken.
       
       Derlei Skrupel hatte die Regierung in Mecklenburg-Vorpommern nicht. Was
       Bildungsministerin Birgit Hesse als „Modell der Zukunft“ feiert, kritisiert
       Linken-Fraktionschefin Simone Oldenburg als Verstoß gegen eine
       Verwaltungsvorschrift, da Produktwerbung betrieben werde. Laut der
       Vorschrift gefährdet Schulsponsoring den Bildungs- und Erziehungsauftrag,
       „wenn aufgrund der Höhe oder Dauer einer Zuwendung eine Abhängigkeit des
       Unterrichtsbetriebes von einem bestimmten Sponsor zu befürchten ist“. Weil
       allein Calliope mini verteilt werde, sei dies der Fall.
       
       ## Lehrplan ausgehebelt
       
       Am Fall Mecklenburg-Vorpommern zeigt sich auch, wie verwoben Calliope mit
       dem dichten Netzwerk von Google ist. Die Fortbildungen für Lehrkräfte sind
       verpflichtend. Anders als im Saarland und in Niedersachsen, wo diese an den
       landeseigenen Medienzentren stattfinden, geschieht dies in
       Mecklenburg-Vorpommern und auch in Berlin durch das Fraunhofer-Institut für
       Intelligente Analyse- und Informationssysteme (IAIS), das dafür die
       Programmierplattform Open Roberta nutzt. Diese hat das Fraunhofer-IAIS 2014
       zusammen mit Google entwickelt. Mit weit über 5 Millionen Euro ist Google
       der Hauptfinanzier. Thorsten Leimbach, Projektleiter, betonte gegenüber der
       taz die inhaltliche Unabhängigkeit: „Wir kriegen keine Vorgaben von
       Google.“ Alles sei zudem open-source und persönliche Daten würden keine
       gesammelt. Gewerkschaftler Scheppler wiederum weiß von Fortbildungen durch
       das Fraunhofer-IAIS, bei denen Google als Sponsor groß hervorgehoben wurde.
       
       Das kritisiert Fabian Kaske von LobbyControl: „Grundsätzlich ist es für
       mich eher die Frage des Wie. Es wird Digitalisierung geben. Calliope ist
       eine offene Hardware, die viel mit offener Software arbeitet, das ist schon
       mal besser, als was man sonst so erwarten könnte.“ Dennoch werde etwa in
       Mecklenburg-Vorpommern der Lehrplan ausgehebelt. „In den Lehrplänen für
       Grundschulen steht dort bisher nicht Programmieren drin. Darüber müsste der
       Landtag abstimmen.“ Der Kniff einer Schenkung hebele diesen demokratischen
       Entscheidungsprozess nun aus. Auch Scheppler plädiert grundsätzlich für
       mehr Digitalisierung im Unterricht. „Aber am Ende übernimmt Google die
       Ausbildung der Lehrer komplett.“
       
       Bereits jetzt nutzt der Konzern Calliope vehement öffentlich zum eigenen
       Marketing. So hat Google etwa auf dem Bürgerfest des Bundespräsidenten im
       September für 30.000 Euro die Produkte Calliope und Open Roberta im Rahmen
       der sogenannten Zukunftswerkstätten beworben. Sicherlich keine billige
       Werbeaktion. Aber sicherlich eine effektive.
       
       22 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Astrid Ehrenhauser
       
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