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       # taz.de -- Rassismus im britischen Sport: Kultur der Angst
       
       > Britische Sportverbände sind mit rassistischen, sexistischen und
       > diskriminierenden Vorfällen beschäftigt. Alles Einzelfälle, sagen die
       > Funktionäre.
       
   IMG Bild: Von ihrem Trainer gedemütigt: Eniola Aluko (l.) im Einsatz für das britische Nationalteam
       
       Wie rassistisch muss sich jemand verhalten, um Rassist genannt zu werden?
       Die Frage klingt zynisch, doch sie drängt sich auf, wenn man die kuriose
       Mitteilung liest, die der englische Fußball-Verband, die FA, in der
       vergangenen Woche verfasst hat. In dem Schreiben bittet der Vorsitzende
       Martin Glenn zwei ehemalige Nationalspielerinnen zwar um Entschuldigung
       dafür, dass sie der inzwischen nicht mehr im Amt befindliche
       Nationaltrainer Mark Sampson laut einer unabhängigen Untersuchung
       rassistisch beleidigt hat. Glenn wies in seinem Statement allerdings auch
       darauf hin, dass Sampson laut der Untersuchung kein Rassist ist, sondern
       lediglich geschmacklose Witze gemacht hat.
       
       Der in Nigeria geborenen Eniola Aluko hatte Sampson vor einem
       Freundschaftsspiel gegen Deutschland im November 2014 angeblich gesagt,
       dass sie gerne ihre Familie ins Wembley-Stadion einladen könne, so lange
       diese nicht den Ebola-Virus mitbrächte. Die Spielerin Drew Spence soll er
       gefragt haben, wie oft sie schon im Gefängnis gesessen habe. Vier Mal,
       oder? (Die richtige Antwort: noch nie.)
       
       Und so wirkt die Bitte um Vergebung doch eher halbherzig. Es ist fraglich,
       ob die FA verstanden hat, was das Problem ist. Die Haltung, dass Sampson
       zwar rassistische Sprüche gemacht habe, aber kein Rassist sein soll, passt
       zu dem Umgang des Verbands mit dem Skandal, der den Frauenfußball in
       England seit Monaten bewegt. Es wird beschönigt und verharmlost, Vorwürfe
       werden nicht ernst genommen oder nur schleppend untersucht. Der
       Vertrauensverlust und der Imageschaden für den Verband sind enorm.
       
       In der vergangenen Woche musste die Spitze der FA vor dem Sportausschuss
       des britischen Parlaments erscheinen, es ging darum, wie der Verband die
       Sampson-Affäre moderiert hat. Die Rassismusvorwürfe gegen den Trainer gab
       es schon lange, er wurde immer wieder freigesprochen, trotzdem musste er
       sein Amt vor einem Monat aufgeben. Grund dafür waren Grenzüberschreitungen
       aus einer früheren Tätigkeit als Jugendtrainer. Auch darüber soll die FA
       frühzeitig informiert gewesen sein, das aber nicht mit Nachdruck verfolgt
       haben.
       
       ## Im Sport geht sowas durch
       
       Bei der Anhörung kamen weitere Details zum Vorschein, die den Verband
       schlecht aussehen lassen. Nach Darstellung von Aluko, die in elf Jahren
       mehr als 100 Mal für die englische Nationalmannschaft aufgelaufen war, bis
       sie von Sampson nicht mehr nominiert wurde, wollte ihr die FA einen Teil
       einer zugesagten Entschädigung erst zahlen, wenn sie öffentlich erklären
       würde, dass es in der Organisation kein Rassismusproblem geben würde.
       Sollte dies wahr sein, würde dies den Tatbestand der Erpressung erfüllen.
       Den Torwart-Trainer beschuldigte sie, aus Spaß in karibischem Akzent mit
       ihr gesprochen habe. Nach Ansicht der FA ist das alles nicht so schlimm.
       Verbandspräsident Greg Clarke tat die Rassismusvorwürfe als „Gerede“ ab.
       
       Die frühere Nationalspielerin Anita Asante, deren Länderspielkarriere
       ebenfalls unter Sampson endete, wirft der Organisation fehlendes
       Problembewusstsein vor. „Die FA will sich nicht mit institutionellem
       Rassismus auseinandersetzen“, sagte sie in einem Interview mit der Times
       und zeigte sich erschüttert davon, dass FA-Präsident Clarke, der
       Vorsitzende Glenn und auch der Technische Direktor Dan Ashworth noch im Amt
       sind, trotz öffentlichen Drucks. „Es ist unglaublich. In der Politik, der
       Wirtschaft oder im Bankenwesen hätten Leute mit deutlich weniger
       Verfehlungen keine andere Wahl als zurückzutreten“, sagte Asante. Der Sport
       scheint da nachsichtiger zu sein.
       
       ## Viel Arbeit für den Integritätsbeauftragten
       
       Nicht nur der britische Frauenfußball muss sich mit skandalösen Vorfällen
       beschäftigen, auch andere Disziplinen sind betroffen. Das britische
       Sportsystem gilt eigentlich als vorbildlich. Bei den Olympischen Spielen in
       Rio de Janeiro im vergangenen Jahr holten nur die USA mehr Medaillen als
       die Athleten aus England, Schottland, Wales und Nordirland. Doch wie es
       aussieht, geht es hinter den Kulissen dreckig zu, ist der Preis für die
       sportlichen Erfolge hoch. Die Rede ist von einer Kultur der Angst.
       
       Der britische Schwimmverband bat öffentlich um Entschuldigung, weil mehrere
       Para-Schwimmer angeblich über Jahre angeschrien und herabgewürdigt worden
       waren. Im Radsport sollen Athletinnen sexistisch beleidigt worden sein. Bei
       den Kanuten musste ein Trainer wegen Missbrauchsvorwürfen zurücktreten,
       weitere Untersuchungen laufen. Der Trainer der Bobfahrer ist weiterhin im
       Amt, obwohl er gesagte haben soll, dass Schwarze keine guten Bob-Piloten
       sein könnten. Und irgendwie ist es schwer vorstellbar, dass es sich hier
       jeweils nur um Einzelfälle handelt. Eher macht es den Anschein, dass der
       britische Spitzensport ein grundsätzliches Problem damit hat,
       Leistungsdruck und einen respektvollen Umgang mit den Athleten miteinander
       zu vereinbaren.
       
       Die zuständige Dachorganisation UK Sport bestreitet das. Gewinnen um jeden
       Preis? Das sei nie der Ansatz gewesen und werde es auch nie sein. Trotzdem
       hat sie im Frühjahr einen neuen Integritätsbeauftragten ernannt und
       angekündigt, die Kultur in einzelnen Verbänden genau zu untersuchen. Es
       sieht so aus, als ob sehr viel Arbeit auf ihn wartet.
       
       24 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hendrik Buchheister
       
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