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       # taz.de -- Kommentar Geschlechtergleichstellung: Von wegen Showgirl
       
       > Laut einer EU-Studie holen Italienerinnen bei der Gleichstellung auf.
       > Frauen erobern die Unis. Und die Deutschen? Kunstgeschichte, wie immer.
       
   IMG Bild: Ein guter Ort für Frauen: die Universität La Sapienza in Rom
       
       Am Mittwoch legte das Europäische Institut für Geschlechter-Gleichstellung
       seinen Bericht vor, basierend auf Daten von 2015 – und auf den ersten Blick
       sind die Dinge genau so, wie wir sie erwartet hätten. Nirgendwo in der EU
       haben Frauen wirklich Gleichheit erreicht, egal ob es sich um Jobs dreht,
       um Geld oder die verfügbare Zeit.
       
       Doch innerhalb Europas zeichnet sich ein klares Muster ab. Ganz vorne
       liegen die skandinavischen Länder, Schweden hält wie immer Platz eins. Auf
       den folgenden Plätzen finden sich die Staaten Kerneuropas: Frankreich,
       Deutschland, Belgien, Österreich. Abgeschlagen auf den hinteren Plätzen
       schließlich die Staaten Osteuropas und des Balkans, mit Ausnahme
       Sloweniens, das klar vor Deutschland rangiert.
       
       Doch näheres Hinsehen lohnt sich. Da fällt zunächst auf, dass Deutschland
       ganz und gar nicht glänzt: Es liegt bloß im Mittelfeld und verzeichnet im
       Vergleich zu 2012 nur minimale Fortschritte bei der Gleichstellung. Sorgen
       sollte machen, dass es auf dem Feld Bildung sogar kräftig zurück geht. Auch
       in Deutschland sind Mädchen besser in der Schule, besser an der Uni, doch
       der Bericht hält fest, dass die Trennung zwischen den Geschlechtern bei der
       Studienwahl sich weiter vertieft hat, dass Jungs sich Natur- und
       Ingenieurwissenschaften und Mädchen wie gehabt vorwiegend den
       Geisteswissenschaften zuwenden.
       
       Gute Nachrichten dagegen gibt es aus Italien. Das Land rangierte vor zehn
       Jahren noch ganz hinten, auf Platz 26. Und da gehört es ja auch hin,
       glauben zumindest in Deutschland viele: Das Land, in dem ein Sexist wie
       Silvio Berlusconi ungeniert wirken konnte, in dem halb nackte Frauen das
       halbe TV-Programm prägten, in dem Mädchen angeblich den Hauptberufswunsch
       „Showgirl“ hegten, in dem Politikerinnen von ihren (männlichen) Gegnern
       immer wieder ungestraft mit sexistischen Beleidigungen überzogen werden
       konnten.
       
       Doch Italien arbeitete sich jetzt im EU-Ranking auf Platz 14 vor. Und es
       verzeichnete gerade auf jenem Feld die größten Fortschritte, auf dem in
       Deutschland Rückschritt herrscht: bei der Bildung. Anders als in
       Deutschland geht die „Segregation“, die Trennung zwischen „typisch
       männlichen“ und „weiblichen“ Bildungskarrieren dort zurück. Egal ob Physik
       oder Jura: Die Italienerinnen sind an den Unis quer durch die Fakultäten
       auf dem Vormarsch, sie stellen mittlerweile fast 60 Prozent der
       Uni-AbsolventInnen. Von wegen „Showgirl“!
       
       Die Entwicklung überrascht nicht bloß, weil sie lieb gewonnene Klischees
       zerstört, sondern auch weil sie sich nicht staatlichen Politiken, sondern
       allein der gesellschaftlichen Dynamik verdankt. Gezielte Programme, um
       Mädchen für Naturwissenschaften und Technik zu interessieren, gibt es in
       Italien kaum. Niemand hat da „von oben“ nachgeholfen. Und doch überrunden
       sie mit 34 Prozent Anteil in den technischen und naturwissenschaftlichen
       Fächern deutlich ihre deutschen Geschlechtsgenossinnen, die bei 20 Prozent
       hängen bleiben.
       
       Italiens Gesellschaft ist schlicht weiter, als viele gerade auch im Ausland
       wahrhaben wollen. Diese Uhr zurück zu drehen, das hat weder der
       Old-Style-Macho Berlusconi geschafft, noch die sexistische Dauerberieselung
       in vielen Fernseh- und Printmedien. Wenigstens auf dem Feld der
       Geschlechter-Gleichstellung ist das Land weit besser als sein Ruf.
       
       12 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Braun
       
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