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       # taz.de -- Debatte ums Humboldt-Forum: Wer ist wir?
       
       > Die neue Ausstellung „Unvergleichlich: Kunst aus Afrika im Bode-Museum“
       > zeigt, wie Museen selbstkritisch mit ihren Sammlungen umgehen können –
       > wenn sie wollen.
       
   IMG Bild: Warum wurde das eine zu Kunst erklärt, das andere zum ethnologischen Objekt? Donatello-Putto (l.) und Benin-Prinzessin
       
       Was soll eigentlich ab 2019 in diesem Humboldt Forum passieren? Spätestens
       seit der Debatte vom Sommer, angestoßen durch den Austritt der
       Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy aus dem beratenden Beirat, fragt sich das
       die halbe Welt. Wie will man denn dort den versprochenen „Dialog der
       Weltkulturen“ in Gang setzen? Indem man außereuropäische Sammlungen
       präsentiert, deren Objekte, vielleicht zum großen Teil, mit Gewalt
       angeeignet wurden in Zeiten europäischer Expansion und Kolonialismus?
       Gehören diese Objekte überhaupt legitimerweise der Stiftung Preußischer
       Kulturbesitz (SPK)? Oder sind sie als „Raubkunst“ zurückzugeben, wie das
       Bündnis NoHumboldt21 seit Jahren fordert – und wie es bei im
       Nationalsozialismus geraubter Kunst schon lange Standard ist? Nicht
       zuletzt: Was für ein Bild der außereuropäischen Kulturen, der „Anderen“,
       soll im Humboldt Forum entworfen werden – und was sagt das über uns, über
       Europa?
       
       Eine Idee davon, wie man sich im rekonstruierten Preußenschloss mit diesen
       Fragen auseinandersetzen könnte, liefert vielleicht die neue Ausstellung
       „Unvergleichlich: Kunst aus Afrika im Bode-Museum“, die diesen Freitag
       eröffnet. Experimentell werden dort je 30 Objekte aus der außereuropäischen
       ethnologischen Sammlung solchen der europäischen Skulpturensammlung
       gegenübergestellt – und verglichen.
       
       Warum wurden die einen Objekte als Ethnologica gesammelt, die anderen als
       Kunstwerke? Diese zentrale Frage, die die Ausstellung aufwirft, ist nicht
       nur für Kunsthistoriker interessant. Wer definiert, was Kunst ist und was
       „primitiv“, beansprucht Deutungshoheit und erhebt sich über den anderen. So
       wie es Europa über Afrika getan hat. Die Frage springt dem Besucher gleich
       zu Anfang bei der ersten Gegenüberstellung am Eingang zur Basilika des
       Bode-Museums ins Auge. In der Glasvitrine stehen zwei Bronze-Akte – einer
       männlich, einer weiblich.
       
       Der geflügelte Knabe ist ein Werk des italienischen Bildhauers Donatello
       aus dem Jahr 1428/29, das von Wilhelm Bode 1902 als Meisterwerk der
       Renaissance für seine Skulpturensammlung gekauft wurde. Die Frau, eine
       Prinzessin oder Gottheit, wurde im 17. Jahrhundert im Königreich Benin, dem
       heutigen Nigeria, geschaffen. Dort, heißt es im Ausstellungskatalog, sei
       wohl auch der Name des Künstlers bekannt gewesen. Die Europäer hätten sich
       aber nicht die Mühe gemacht, ihn zu notieren. Die Figur ist eine von
       tausenden der sogenannten Benin-Bronzen, die einen Altar im Königspalast
       schmückten – und von denen viele von englischen Truppen nach der Eroberung
       der Hauptstadt Benin 1897 gestohlen und nach London verbracht, dort über
       Händler an Museen in ganz Europa verkauft wurden. Für Berlin kaufte damals
       Felix von Luschan, Direktorialassistent, also Kurator, des
       Völkerkundemuseums, Vorläufer des Ethnologischen Museums.
       
       ## Paradebeispiel für „Raubgut“
       
       Die Benin-Bronzen gelten als Paradebeispiel für „Raubgut“ – „Kunst“ hatte
       man es lange nicht genannt –, das sich Europäer in einem kolonialen
       Gewaltkontext angeeignet haben. Und so wurden sie auch behandelt. Beim
       Rundgang weist der Leiter des Bode-Museums und einer der Kuratoren der
       Ausstellung, Julien Chapuis, auf den Rücken der Benin-Bronze. Zwei
       Inventarnummern sind dort auffällig angebracht. „Wir betrachten heute beide
       Bronzen als Kunst, einige unserer Vorgänger haben das anders bewertet.
       Afrikaner galten in früheren Zeiten bei vielen als nicht in der Lage, Kunst
       zu schaffen.“ Darum habe es im Museum auch niemanden gestört, dass die
       Prinzessin derart verunziert wird – was man beim berühmten Donatello-Putto
       niemals getan hätte. Dort ist die Nummer dezent auf der Unterseite der
       Statuette eingeschrieben.
       
       Darf man Geraubtes – ob Kunst, Kult- oder Alltagsgerät – ausstellen? Muss
       nicht zuvor seine genaue Provenienz, also Herkunft, erforscht werden,
       inklusive dem Angebot an die „Herkunftsgesellschaft“, es zurückzugeben? So
       fordern es inzwischen nicht nur Savoy, NoHumboldt21 und Gruppen wie Berlin
       Postkolonial. Zuletzt hatte auch Hermann Parzinger, Präsident der SPK,
       zugegeben, man müsse bei der dringend notwendigen Erforschung der Objekte
       mit den Herkunftsländern zusammenarbeiten und gegebenenfalls Dinge
       zurückgeben.
       
       Die Benin-Bronze bleibt bis auf weiteres in Berlin. Eine offizielle
       Rückforderung aus Nigeria gibt es laut SPK nicht. Aber natürlich wisse man
       dort über die gesamten Benin-Bestände in Berlin Bescheid. Eine Sprecherin
       der Stiftung erklärt: „Die Kuratoren der Staatlichen Museen zu Berlin sind
       in regelmäßigem Kontakt mit den Kollegen in Nigeria und Vertretern des
       Königshauses, um einen gemeinsamen Fahrplan zur Bearbeitung und zum
       weiteren Umgang mit den Benin-Beständen zu erarbeiten.“
       
       In der neuen Ausstellung macht man zumindest all das bekannt, was man
       bislang über die Benin-Bronze und die anderen Objekte weiß. „Ihre
       Objektgeschichten werden im Katalog und in der App ausführlich dargelegt,
       sowie, wenn es relevant ist, auf den Ausstellungstafeln“, sagt Mitkurator
       Jonathan Fine. Sie hätten drei Jahre lang an der Ausstellung gearbeitet,
       ergänzt Chapuis: „Provenienzforschung gehört heute zum Standard der
       Museumsarbeit.“
       
       ## „Schlag gegen Kulturnationalisten“
       
       Eindeutig sei, dass die Benin-Prinzessin infolge der britischen Eroberung
       ins Ausland kam. Nach seinen Recherchen lasse sich aber nicht klar sagen,
       ob sie zu den Objekten gehört, die die britischen Soldaten nach London
       verbrachten, oder zu denen, die durch Händler dorthin kamen, so Fine.
       Bekannt ist nur der Name des Händlers, von dem Luschan kaufte, auch er ist
       im ausführlichen Katalog zur Ausstellung genannt. So sei es bei vielen
       Objekten der Ausstellung, mehr als der Händler-Name sei nicht (mehr)
       bekannt, sagt Chapuis. „Es gibt Erwerbungen aus Gewaltkontexten, andere
       Objekte wurden aber auch eigens für den europäischen Markt erstellt.“
       
       Warum nennen wir das eine steinzeitlich, das andere hoch zivilisiert –
       zeigt sich doch im direkten Vergleich, dass sich offenbar die Menschen über
       Kulturen hinweg gleichermaßen mit bestimmten universellen Fragen – das
       Eigene und das Fremde, Tod, Trost und Hoffnung – beschäftigen, sich
       gegenseitig beeinflussen. Und manchmal ähnliche, manchmal aber auch andere
       Antworten finden. „Museen haben die Aufgabe zu zeigen, was Kulturen
       verbindet“, sagt Chapuis. Dies sei sein Anliegen, „auch wenn ich mir keine
       Illusion mache, dass solche Ausstellungen die Denkweise von Populisten
       ändern könnten.“ Auch Mitkurator Fine erklärt, „die Ausstellung wirkt
       hoffentlich wie ein Schlag gegen Kulturnationalisten“. Die Objekte aus
       Afrika hätten auf allen Ebenen mit Europa zu tun. „Es gibt keine völlige
       Trennung.“
       
       Für das Humboldt Forum könnte es wegweisend sein, sich wie die Kuratoren
       dieser Ausstellung selbstkritisch mit der eigenen Museumsgeschichte, der
       kolonialgeschichtlichen Zusammenhänge und der Rolle als Museumsmacher
       auseinanderzusetzen. Für die BesucherInnen bleibt zu hoffen, dass sie
       vieles auf den Ausstellungstafeln finden, was der kluge und reich
       bebilderte Katalog an Erkenntnissen versammelt. Nicht jeder wird
       schließlich die 25 Euro investieren können oder wollen. Denn bei allem
       Staunen über die Schönheit der Objekte: einfach zu entdecken und verstehen
       ist das alles nicht.
       
       26 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
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