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       # taz.de -- Kenia wählt: Geburtstag und Gewalt
       
       > Die Wahl in Kenia zeigt ein zerrissenes Land: Die Fans von Präsident
       > Kenyatta feiern, die Anhänger von Oppositionsführer Odinga boykottieren.
       
   IMG Bild: Wahltag in Kibera, Nairobis größtem Slum und Oppositionshochburg
       
       Kiambu/Nairobi taz | Dunkle Wolken hängen über der Schule in Kiambu
       nördlich von Kenias Hauptstadt Nairobi. Aber die Stimmung ist heiter unter
       den Dutzenden von Wählern, die geduldig in Reihe stehen. „Endlich kann ich
       meine Stimme abgeben“, sagt Ann Wanjira. „Gott sei Dank ist der ganze
       Wahlzirkus vorbei. Mein Geschäft hat gelitten unter der politischen
       Ungewissheit.“
       
       Auf der Frage, wem Ann Wanjira ihre Stimme gibt, antwortet die ganze
       Warteschlange mit Gelächter. „Präsident Uhuru Kenyatta natürlich!“ Kiambu,
       vor zehn Jahren noch ein kleines Bauerndorf, ist heute ein wuseliges
       Städtchen mit Hochhäusern, viel Verkehr und vor allem vielen Menschen –
       fast alles Kikuyu, die Volksgruppe von Präsident Kenyatta.
       
       „Kenyatta hat gut für uns gesorgt, und wir wollen, dass er weitermacht“,
       erzählt Wanjira. „Darum bin ich aus Nairobi, wo ich wohne, heute morgen
       hierher gekommen um seine Wiederwahl sicherzustellen.“ Wanjira hat in
       Nairobi ein kleines Handy-Geschäft.
       
       Kenyattas Wahlsieg steht außer Zweifel. Oppositionsführer Raila Odinga
       boykottiert die Wahlen, weil er und seine Oppositionskoalition glauben,
       dass die Wahlkommission nicht zu korrekten Wahlen in der Lage ist. Wegen
       Unregelmäßigkeiten bei der Stimmauszählung hatte Kenias Oberstes Gericht
       die erste Präsidentenwahl vom August, die Kenyatta mit 54 Prozent gewonnen
       hatte, annulliert. Deshalb werden die Wahlen jetzt wiederholt.
       
       Kenyattas Anhänger haben die Nase voll von Odinga. Für sie ist er ein
       schlechter Verlierer. „Ich lasse mir diesen schönen Tag nicht durch
       Gedanken an Odinga verderben“, sagt Peter Njoroge, ein anderer Wähler in
       Kiambu. „Es ist ein Feiertag. Kenyatta wird nicht nur Sieger – es ist auch
       sein Geburtstag“. Der Präsident wird am Wahltag 56 Jahre alt. Njoroge
       klatscht in die Hände. „Das ist unser Geburtstagsgeschenk an ihn! Und es
       wird ein riesiges Geschenk!“
       
       Dennoch: Die Schlangen vor den Wahllokalen sind viel kürzer als im August.
       Mancherorts kommt kaum jemand. Wahlhelfer sind begeistert: Alles geht viel
       reibungsloser, die Auszählung dürfte schon nach wenigen Srunden beendet
       sein, hofft einer vor dem Büro des Gouverneurs in Kiambu.
       
       ## „Damit keiner wählen geht“
       
       Noch schneller dürfte es in Kibera gehen, das große Armenviertel von
       Nairobi, wo überwiegend Luo wohnen – die Volksgruppe von Raila Odinga. Bei
       den weißen Zelten auf einem großen schlammigen Platz, wo bei der Wahl am 8.
       August unendlich viele Menschen Schlange standen, um zu wählen, stehen
       heute nur ein paar schwerbewaffnete Polizisten in Schutzausrüstung. Am Rand
       lungern Gruppen junge Männer herum.
       
       „Wir stehen hier nur, damit keiner wählen geht“, ruft einer. Er beobachtet
       die Wahlhelfer, die in ihren leeren Zelten von Plastiktllern essen. Zu tun
       haben sie nichts. Eine junge Wahlhelferin hat ein dickes Buch mitgebracht,
       um die Langeweile zu vertreiben.
       
       In Ongata Rongai im Süden von Nairobi sitzt Nachtwächter George Ogwang in
       seiner Einzimmerwohnung. Er ist Luo und gerade aufgewacht. Er hat nicht
       gewählt. Für ihn ist das selbstverständlich: „Baba“ Odinga hat es befohlen.
       Der Oppositionsführer hat dazu aufgerufen, von den Wahllokalen
       wegzubleiben. Die Leute sollten friedlich demonstrieren und beten.
       
       Am frühen Morgen kommt es in Kibera dennoch zu Gewalt zwischen Polizei und
       Jugendlichen. Und in den Oppositionshochburgen im Westen Kenias gibt es den
       ganzen Tag Straßenschlachten. Jugendliche in der Stadt Kisumu blockieren
       überall die Straßen und verlangen Geld von jedem, der vorbei will. Viele
       Wahllokale blieben geschlossen, denn die Wahlhelfer sind nicht gekommen –
       die Wahlmaterialien auch nicht.
       
       ## Berichte über Polizeigewalt
       
       In Kondele, Kisumus Armenviertel, attackiere die Polizei friedliche Bürger
       in ihren Häusern, berichtet Aktivistin Millie Nyong’o telefonisch der taz.
       „In zwei Häuser haben sie Tränengasgranaten geworfen, nachdem sie die Türen
       eintraten. Es gab dort überhaupt keine Demonstranten! Nur Frauen. Eine
       mussten wir ins Krankenhaus bringen.“ Verifizeren lässt sich das nicht.
       
       Am Nachmittag berichten kenianische Medien, in Kisumu habe es mehrere
       Dutzend Verletzte und einen Toten gegeben. In Nairobi starben zwei
       Menschen. Die Wahlkommission will nun in Kisumu und anderen Orten, wo nicht
       gewählt werden konnte, am Samstag erneut wählen lassen.
       
       Kenyatta wird aus dieser Wahl als Sieger hervorgehen und Kenia bis 2022
       regieren. Wie weiter für die Opposition? Nachtwächter Ogwang kocht sich
       einen süßen Tee und grinst. „Wir sind jetzt eine Widerstandsbewegung, hat
       Baba gesagt. Wir werden uns widersetzen gegen alles, was Regierung ist oder
       mit der Regierung zu tun hat. Wir machen das so lange, bis wir die illegale
       Kenyatta-Regierung in die Knie gezwungen haben. Wir werden siegen!“ Dann
       reckt er die Faust.
       
       26 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ilona Eveleens
       
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