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       # taz.de -- Europa League in der Ukraine: Lieber ein Zeichen gegen Gazprom
       
       > Der ostukrainische Verein Sorja Lugansk tritt gegen Hertha BSC in Lviv
       > an. Der Kniefall der Berliner stößt nur auf ein geringes Echo.
       
   IMG Bild: Sorja Lugansk beim Spiel gegen Ostersund am 14. September 2017 in Lwiw
       
       Kiew taz | Um 19 Uhr wird das Europa-League- Spiel zwischen Hertha BSC und
       dem ukrainischen Verein „Sorja Lugansk“ im westukrainischen Lwiw
       angepfiffen. Spannend wird neben dem Sportlichen sein, ob Rassismus bei der
       Begegnung eine Rolle spielen wird.
       
       Im Stadion von Lwiw war es in der Vergangenheit zu rassistischen Ausfällen
       gekommen. Gleichzeitig ist das heutige Spiel das erste Auslandsspiel von
       Hertha BSC nach dem weltweit Aufsehen erregenden Kniefall der Spieler und
       Betreuer, mit dem diese ein Signal gegen den Rassismus setzen wollten.
       
       Über den Kniefall von Hertha BSC vor dem Spiel gegen Schalke hatten,
       wenngleich in geringerem Umfang, auch ukrainische Online-Portale und
       Sportzeitungen berichtet. So hatte der ukrainische Telegraf mit zwei großen
       Photos und einem kurzen Text Herthas Aktion und die Entstehung der Bewegung
       TakeAKnee beschrieben. „Die amerikanischen Proteste sind in Europa
       angekommen“ titelte das Online-Portal Tribuna einen Text zu Herthas Aktion
       und zitierte aus einer Twitter Meldung der Berliner Mannschaft „für ein
       tolerantes Berlin“.
       
       Und das Sportportal isport.ua meldete in diesem Zusammenhang, dass auch der
       brasilianische Fußballprofi Neymar zu einem früheren Zeitpunkt die Proteste
       gegen Diskriminierung unterstützt habe.
       
       ## Genug eigene Probleme
       
       Ukrainische Fußballfans scheinen indes nicht viel von Herthas Aktion gegen
       Diskriminierung zu halten. „Ich denke nicht, dass wir Ukrainer uns für die
       Ausbeutung der Sklaven aus Afrika in den USA im 16. bis 18. Jahrhundert
       schuldig fühlen müssen“ schreibt ein „Simargl“ aus Tschernigow auf der
       Internet-Seite ua-football.com. „Wir haben genügend eigene Probleme. Und
       Gott sei Dank gibt es in unserem Land nur wenige, gegenüber denen man
       rassistisch auftreten könnte.“
       
       Unter Anspielung auf den von Gazprom gesponserten Klub Schalke 04 meinte
       ein anderer ebenfalls aus Tschernigow stammender Fußballfan auf dem
       gleichen Forum: „Die wären besser gegen den Bau der Pipeline Nordstream-2,
       der von einem Aggressor-Land gesponsert wird, in die Knie gegangen.“ Dass
       in der Ukraine in den letzten dreieinhalb Jahren 11.000 Menschen getötet
       worden seien, interessiere bei Hertha offensichtlich nicht.
       
       Wenige Stunden vor Spielbeginn war der Pressedienst von Sorja Lugansk zu
       einer Stellungnahme in Sachen Rassismus-Problematik nicht erreichbar. Doch
       die Mannschaft, in der auch vier brasilianische Profis mitspielen, hatte in
       der Vergangenheit Stellung gegen Rassismus bezogen.
       
       Im November 2011 hatte sich Sorja Lugansk, so berichtet die Internet-Seite
       des Vereines, im Rahmen der Aktion von Sorja Lugansk gegen Rassismus, mit
       Casmir Lugansk XI, der Mannschaft der schwarzafrikanischen Studenten von
       Lugansk, zu einem Freundschaftsspiel getroffen.
       
       ## Nationalsozialistische Sprechchöre
       
       Der ukrainische Fußball hat ein Rassismus- und Faschismus-Problem. Nachdem
       ausgerechnet im Stadion von Lwiw 2013 bei einem Spiel der ukrainischen
       Nationalmannschaft gegen San Marino nationalsozialistische Sprechchöre zu
       hören gewesen und Nazisymbole gezeigt worden waren, hatte die FIFA
       entschieden, dass in diesem Stadion keine Auswahlspiele für die
       Weltmeisterschaft 2018 durchgeführt werden dürfen.
       
       Auch in diesem Jahr waren im Stadion von Lwiw wieder nazistische
       Sprechchöre dokumentiert worden. So waren nach einem Bericht des
       ukrainischen Internetportals Zensor.net am 21. August „Sieg Heil, Rudolf
       Hess, Hitlerjugend, SS“ – Rufe von den Rängen skandiert worden. In der
       vergangenen Saison war die Mannschaft Wolyn wegen nazistischer Sprechchöre
       von Fans zu zwei „Geisterspielen“ verurteilt worden.
       
       Wirklich ernst scheinen die Entscheidungsträger in der Ukraine diese Frage
       nicht zu nehmen. Die Ukraine habe kein Rassismus-Problem unter seinen Fans,
       hatte der frühere Präsident des ukrainischen Fußballverbandes, Hryhorij
       Surkis, noch 2012 behauptet. Inzwischen ist Surkis stellvertretender
       UEFA-Präsident.
       
       Auch der Bürgermeister von Lwiw und Chef der Oppositionspartei
       Samopomischtsch, Andrij Sadowyj, hatte während des Spiels der Ukraine gegen
       San Marino 2013, bei dem nazistische Transparente zu sehen waren, keinen
       Rassismus erkennen können.
       
       ## Vorübergehende Bleibe
       
       Nach dem Spiel am heutigen Donnerstag wird Sarja Lugansk wieder nach
       Saporoschje zurückfliegen. Doch in Saporoschje hat die Mannschaft nur
       vorübergehend eine Bleibe gefunden. Seit Beginn der kriegerischen
       Auseinandersetzungen im Osten der Ukraine trainiert die Mannschaft in der
       südukrainischen Stadt. Ein echtes Heimspiel ist der Mannschaft seit über
       drei Jahren verwehrt.
       
       Sorja Lugansk ist nicht die einzige Mannschaft aus dem Donbass, die wegen
       des Krieges nicht mehr in der Heimatstadt spielen kann. Auch Schachtar
       Donezk hatte seit 2014 keinen Auftritt mehr im heimischen Stadion von
       Donezk. 2014 verlegte der Verein zunächst seine Heimspiele in die „Arena
       Lwiw“, seit der Saison 2016/17 spielt die Mannschaft im ostukrainischen
       Charkiw.
       
       19 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Clasen
       
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