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       # taz.de -- Maler Peter Saul: Böses Gekrakel
       
       > Knarren, Penisse, Farb-Gemetzel: Peter Saul gilt als Vorreiter des „Bad
       > Painting“. Ob das stimmt, lässt sich in Hamburg-Harburg überprüfen.
       
   IMG Bild: Gesellschaftliche Wünsche und Fantasien auf die Spitze getrieben: Peter Saul 1973 in seinem Studio
       
       Es gibt eine Schwarz-Weiß-Aufnahme von Peter Saul, auf der er 1973 in
       seinem Atelier zu sehen ist. Mit nacktem Oberkörper und ab den Knien zu
       einem L gelegten Beinen sitzt er auf dem Boden vor einer Leinwand, die
       einen ebenso positionierten Künstler zeigt. Der Künstler auf der Leinwand
       trägt eine blöde französische Schiebermütze, so eine, wie man sie sich auf
       dem Kopf von Künstlern vorstellt. Auf seine aufgemalte Leinwand malt er
       eine Dose Campbell’s Suppe, wie sie Andy Warhol Ende der 1960er-Jahre
       gedruckt hat. Peter Saul, der junge Maler im Vordergrund, verzieht keine
       Miene.
       
       Malerei selbst, ihre Bewegungen und Stile, aber auch die Vorstellungen, die
       von ihr kursieren, sind häufig Gegenstand der Arbeiten des amerikanischen
       Künstlers, dem die Sammlung Falckenberg in Hamburg-Harburg gerade eine
       ausführliche Werkschau widmet. Auf drei Etagen der ehemaligen Teppichfabrik
       werden Bilder aus mehr als fünf Jahrzehnten gezeigt, ergänzt durch Arbeiten
       aus der Sammlung Harald Falckenbergs, darunter von Joyce Pensato, Raymond
       Pettibon und Daniel Richter.
       
       ## Alles andere als akademisch
       
       Peter Saul sei ein Artist-Artist, ein Künstler, der vor allem von anderen
       Künstlerinnen und Künstlern geschätzt wird, noch bevor ein größeres
       Publikum sich für ihn begeistert – so eine der Thesen der Hamburger Schau.
       Sauls Bilder sind aber alles andere als akademisch. Sie wirken krakelig,
       dilettantisch und spontan. Besonders zu Beginn seiner Karriere, seit den
       späten 1950ern also, malte er so, wie man eigentlich nicht malen sollte –
       zumindest nicht als Künstler. Sauls Striche und Flächen sind unordentlich
       und grob, die Motive entstammen dem Alltag und der Konsumkultur: Superman
       und Mickey Mouse, Konservendosen und Limonadenflaschen, Brüste und Penisse
       bevölkern seine Leinwände.
       
       In der Kunstgeschichte gibt es einen Begriff für so etwas, was Saul damals
       gemacht hat: „Bad Painting“. Den hat die amerikanische Kuratorin und
       Kunstkritikerin Marcia Tucker geprägt, allerdings erst in den späten
       1970er-Jahren. Bis dahin waren Bilder wie die von Saul einfach nur bad
       paintings, klein und ohne Anführungszeichen.
       
       Nach dem Kunststudium in San Francisco und Washington zog der 1934 geborene
       Saul nach Europa. Das war 1956. Die Reise führte ihn und seine Freundin,
       ebenfalls Künstlerin, von London über Amsterdam nach Paris und Rom. Sie
       hatten nicht die Absicht, jemals wieder zurückzukehren, erzählt Saul der
       Frankfurter Kuratorin Martina Weinhart im Interview: „Wir dachten, wir
       würden dort ein leichtes, sorgloses Leben haben und Galerien finden, die
       uns vertreten. Wir würden unsere Bilder einfach an eine Kunstgalerie
       schicken, nie irgendjemanden treffen, irgendwohin gehen oder mit jemandem
       reden müssen. Wir würden einfach durch die Stadt laufen und ich würde eine
       Gauloises nach der anderen rauchen.“
       
       Die Geschichte der westeuropäischen Moderne und das Bild von Paris als
       künstlerischem Zentrum, schien in Amerika noch sehr lebendig gewesen zu
       sein. Und das, obwohl mit der spezifischen Auslegung des abstrakten
       Expressionismus durch Maler wie Jackson Pollock und darauf folgende
       Bewegungen wie die Pop Art sich eigenständige amerikanische Stile bereits
       entwickelt hatten.
       
       Nach anfänglichen Schwierigkeiten geriet Saul schließlich in Paris durch
       die Vermittlung des chilenischen Malers Robert Matta an zwei Galeristen.
       Der eine von ihnen war Allan Frumkin aus Chicago. Sauls Bilder kehrten auf
       den amerikanischen Kunstmarkt zurück, noch bevor er es 1964 schließlich
       selbst tat.
       
       Sauls frühe Bilder wirken völlig ungeordnet, und sind es doch überhaupt
       nicht. Bereits stilistisch fallen sie auseinander: Die Motive sind Pop, die
       Malweise expressionistisch, die Auswahl von Flächen erinnert an Shaped
       Canvas, die Strukturen der Bildhintergründe an minimal Art. „Icebox“ von
       1959 zeigt in unruhigen Strichen eine Figur vor einem Schrank mit schwer zu
       identifizierendem Allerlei. Eine rosa Flasche immerhin lässt sich eindeutig
       als solche erkennen. Die Figur hat einen winzigen, durchscheinenden Kopf,
       darüber eine weit größere, hellblaue Blase mit einem Flugzeug – ein Ausriss
       aus einer Illustrierten. Zu manchen dieser frühen Bilder findet man in
       Harburg nun sogar Skizzen.
       
       ## Scheinbares Chaos
       
       Von seinen Icebox-Bildern sind in der Werkschau einige ausgestellt. Bei
       genauerem Hinsehen muss man feststellen, dass Sauls scheinbar chaotische
       Leinwandszenen eigentlich analytisch zu verstehen sind und einer Art
       gesellschaftlicher Funktionsskizze ähneln. Der Kühlschrank, so wird in den
       Beiträgen des zur Ausstellung erschienenen Katalogs oftmals betont,
       symbolisiere in den westlichen Gesellschaften der späten Fünfzigerjahre
       Fortschritt, Wohlstand und Ordnung.
       
       Es ist anzunehmen, dass Saul sich für die Iceboxes aus einem ähnlichen
       Grund interessiert wie für andere Erzeugnisse der Konsumgesellschaft, etwa
       all die Comicfiguren: In ihnen findet Saul gesellschaftliche Wünsche und
       Fantasien, die er in seinen Bildern auf die Spitze treibt. Auch Sauls
       Kühlschränke stehen für Prosperität, bloß sind sie keineswegs unschuldig.
       Seine „Icebox 5“ von 1963 enthält allerlei Bomben und Raketen. Aus dem
       Eisfach greift eine Hand nach einem Kabel, das ein Gesicht mit einem
       Dollarzeichen hat und auf dem Kopf lange Haare und eine Krone trägt. Davor
       hockt ein Hund, der in eine Kanone blickt, die statt auf Rädern, auf einen
       behaarten Hoden steht. Eine kleine Mickey Mouse schiebt diese Waffe an.
       
       Nichts auf dieser Welt ist autonom oder unschuldig, alles hängt in
       seltsamer Weise miteinander zusammen. Die ganze Welt ist ein einziger
       Automat. Wie er funktioniert ist allerdings nur schwer zu durchschauen. Die
       Welt stellt den Maler vor Probleme und seine Bilder tun dies mit dem
       Betrachter.
       
       Gewalt spielt in Sauls Bildwelt eine zentrale Rolle. Messer, Pistolen,
       durchlöcherte Köpfe und Blut sieht man oft. In diese Gemetzel sind Figuren
       involviert, bei denen man es nicht gedacht hätte. In der
       Crime-Bilder-Serie, die in den 1960er-Jahren entstand, sieht man immer
       wieder Superman, den Saubermann unter den amerikanischen Superhelden – im
       Knast.
       
       Als Saul 1964 in die USA zurückkehrte, wurden seine Bilder zusehends
       politischer, leider aber auch übersichtlicher und langweiliger. In „Angela
       Davis at San Quentin“ von 1971 sieht man eine schwarz-blau schimmernde,
       nackte Frauengestalt sich vor Schmerzen windet. Als Pflöcke durchbohren
       die drei kleinen Schweinchen ihren Körper. Auf ihren Akademikermützen
       stehen die Worte „Munny“, „Justis“ und „Powur“. Zusätzlich injizieren sie
       ihr mit Spritzen „Eeckwakity“ und „Freedum“. Die veränderten Worte können
       das Bild auch nicht mehr retten. Die Farbflächen sind glänzend und fast
       monochrom.
       
       Der gesellschaftliche Apparat ist bestens nachvollziehbar und in Ordnung
       gebracht. Der Maler hat aufgehört nach einer Form für die Welt da draußen
       zu suchen, die Bilder kennen nur noch klare Antworten.
       
       bis 28. Januar, Hamburg, [1][Sammlung Falckenberg]
       
       20 Nov 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.deichtorhallen.de/buchung
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Radek Krolczyk
       
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