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       # taz.de -- Die Wahrheit: Mann auf Rädern
       
       > Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Diesmal: Matthias „Hannomann“
       > Wissmann – Vorsitzender des Verbands der Automobilindustrie.
       
   IMG Bild: Matthias Wissmann verbeult sich gern als Dummy
       
       Rrrrrroar! Rrrrrrrrroooaarrrr! Der Motor knurrt und heult auf! Matthias
       Wissmann, nicht mehr lange Präsident der deutschen Autolobby, drückt mit
       dem Fuß voran auf die Tube, legt, nachdem er sein Gehör mit dem
       Motorengeräusch genügend gefüttert hat, den ersten Gang ein, lässt die
       Kupplung genießerisch kommen, die Augen verdrehen sich verzückt. Dann:
       Wrrrrummmm!! Mit rauchenden Reifen zischt der Wagen los, schon rast er,
       schneller, als man ohne Brille sehen kann, wie eine Kanonenkugel dahin und
       – wamm!!! Aus vollem Lauf knallt das Auto gegen die Betonwand und knittert
       in Millisekundenschnelle auf wenige Zentimeter Volumenprozent zusammen.
       
       Während sich die Techniker das interessante Geschehen wieder und wieder in
       Zeitlupe auf dem Monitor zu Gemüte führen und einander die gewetteten
       Einsätze auszahlen, schlendern die Schweißer zu dem dampfenden Haufen Blech
       und schneiden Wissmann Stück für Stück heraus. Als alles auf der Bahre
       liegt, wird es wie immer ins Krankenhaus gebracht, wo Wissmann wieder in
       Form gebracht wird. Der nächste Termin steht schon fest.
       
       Für Matthias Wissmann ist das Routine. Er will es so und kann nicht anders,
       ist mit ganzem Leib, der mittlerweile aus zahllosen Ersatzteilen besteht,
       Lobbyist. Schon als Kind träumte er davon, im Jahr 2007 Vorsitzender des
       Verbands der Automobilindustrie zu werden, und rammte auf dem Pausenhof
       andere Schüler in Höchstgeschwindigkeit um, dass sie verbeult liegen
       blieben, um sich für die 2016 zu übernehmende Präsidentschaft im
       Weltverband der Automobilhersteller zu qualifizieren.
       
       ## Igel als Verkehrsopfer
       
       Zu Hause angekommen, erwarb er die nötige Kompetenz im Straßenbau und
       asphaltierte den elterlichen Ziergarten, um sich auf den Posten des
       Vizepräsidenten im Lobbybündnis Pro Mobilität vorzubereiten. Der Clou:
       Einen Igel, den seine Schwester den Winter hindurch gepäppelt hatte, machte
       er mit seinem Kettcar schön flach und legte ihn als symbolisches
       Verkehrsopfer aus. Rehe und Füchse konnte er sich erst später leisten, als
       er den Führerschein hatte.
       
       Manche der Träume, die in Wissmanns Kopf nisteten, mussten halt noch
       warten. Der etwa, Deutschland zu einem einzigen großen Logistikzentrum
       aufzuwerten, ist erst realisierbar, seit er fest im Beirat der
       Bundesvereinigung Logistik angeschnallt ist. Seitdem hilft er mit seinen
       vielen hundert grauen Zellen, Wiesen und Felder durch zart sich
       einschmiegende bauliche Maßnahmen quadratisch, praktisch, gut
       aufzuhübschen. Wissmann ist nämlich Ästhet!
       
       Und eben auch Naturfreund! Als solcher hält er sich schon mal außerhalb
       eines Automobils auf, wenn die Natur die Form eines Golfplatzes hat und von
       Pflanze und Tier weiträumig gesäubert ist. Nachdem er 1993 als
       Bundesverkehrsminister in die S-Klasse der Politik aufgestiegen war, ließ
       er sich deshalb von Bundeswehrflugzeugen zu hochgetunten Terminen in die
       Schweiz und nach Italien kutschieren und packte dafür seine dicke
       Golfausrüstung ein.
       
       Als gelernter Jurist weiß Wissmann eben, was alles legal ist; und seit er
       1999 in die international ausgebreitete Berliner Sozietät Wilmer, Cutler,
       Pickering, Hale & Dorr einfuhr und weltweit für die Liberalisierung und
       Deregulierung von Gesetzen, im Jargon: Märkten, sorgt, sind noch ganz
       andere Dinge legal. Er selbst ja auch.
       
       ## Gott an den Eiern kitzeln
       
       Wissmanns Horizont ist weit gestrickt ist und endet nicht bei Autos oder an
       der nächsten Betonwand, auch wenn seine Amtszeit überraschend 2018 ein Ende
       findet, wie kürzlich die FAZ verkündete. Als Vizepräsident des
       Bundesverbands der deutschen Industrie hat er selbstverständlich höhere
       Ideale! Die er auch schon als Kind hatte, als er die Spielzeugautos seiner
       wenigen Freunde zerstückelte, um den Binnenkonsum anzukurbeln und das
       Bruttosozialprodukt so himmelhoch zu steigern, dass es Gott an den Eiern
       kitzelte.
       
       Matthias Wissmann ist nämlich auch Christ, wenngleich katholisch. Gerade
       als Katholik weiß er aber um die Notwendigkeit guter Werke, und die tat er
       als Bundesverkehrsminister bis 1998, um sich mit Vollgas als Lobbyist zu
       empfehlen. Als solcher ist sein Ziel fest im Navi eingekerbt: Autofahren
       als Menschenrecht durchzusetzen und dafür zu sorgen, dass der
       Automobilindustrie nicht nur Deutschland gehört, sondern morgen die ganze
       Welt.
       
       Dafür ist ihm kein Opfer zu überlebensgroß! Schon als Kind nahm er
       Schadstoffmessungen am Auspuff des väterlichen Diesels vor und spendierte
       dafür Omas Wellensittich. Jetzt ist es Wissmann selbst, der sich nach dem
       Crashtest auf den nächsten Einsatz freut: Er wird als Feinstaubmessgerät an
       einer Stuttgarter Hauptverkehrskreuzung installiert. Er will es nicht
       anders – weil er weiß: Der kleinste Funke Unwille, und Daimler, BMW und VW
       führen ihn als Straßenbelag seiner endgültigen Bestimmung zu.
       
       3 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Peter Köhler
       
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