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       # taz.de -- Die Wahrheit: Hashtag Doppel–X*
       
       > Geschlechtergerechtigkeit für Besetzungscouchen – das bekommt
       > wahrscheinlich nicht einmal Gott hin, dieses alte Mädel vom Jüngsten
       > Gericht.
       
       Auf einmal fällt allen Damen ein, wer sie vor hundert Jahren mal begrapscht
       hat, ohne dass sie darum gebeten hatten. Ich erinnere mich auch an ein paar
       Kandidaten. Allerdings hatten wir vorher gemeinsam größere Mengen an
       Alkoholika gekippt, was möglicherweise zu Missverständnissen Anlass gab.
       
       Tatsächlich kann ich bedauerlicherweise nicht ausschließen, dass ich selbst
       in jenem beklagenswerten Zustand einem Mann ans Knie gefasst habe, der das
       gar nicht wollte. Aber er war gewiss volljährig, konnte Nein sagen, und ich
       habe ihm keinen Job dafür versprochen. Na ja, ich hatte auch keine Jobs zum
       Versprechen. Und da müsste vielleicht mal der Hebel ansetzen: Wenn die
       Macht in der Gesellschaft gleich verteilt wäre, könnten die
       Besetzungscouchen aller Branchen auf den Sperrmüll wandern. Es sei denn,
       die Frauen wollen auch mal ihren Spaß haben, was ich gar nicht ausschließen
       würde. Bislang fehlt mir noch der schlüssige Beweis, dass überlegene
       Moralkonzepte an das zweite X-Chromosom gekoppelt sein sollen.
       
       Der neu gewählte deutsche Bundestag ist jedenfalls so gar kein Meilenstein
       auf dem Weg zur Geschlechtergerechtigkeit. Obwohl wir Mädels natürlich
       enorm gewonnen haben seit 1972 (Frauenanteil etwas über fünf Prozent). Und
       wenn ich an 1970 denke, als ein wahnsinniger CSU-Hansel als
       Bundestagsvizepräsident der Abgeordneten von Bothmer verbieten wollte, das
       Hohe Haus im Hosenanzug zu betreten – da sind wir heute doch echt weiter
       und könnten endlich mal die Klappe halten. Immerhin ist ein Hosenanzug
       Kanzlerin geworden. Der Hansel damals wurde übrigens sogar noch
       Justizminister. Wegen seines Gerechtigkeitsgefühls?
       
       Und noch eine Geschichte aus den späten Siebzigern: Ein junges Mädchen
       sitzt in der U-Bahn, ein gut gekleideter Mittfünfziger setzt sich ihr
       gegenüber, spricht sie freundlich an, sie antwortet, weil sie gelernt hat,
       dass man höflich ist – und dann gehen die Sauereien los. „Nur“ verbal.
       Damals war ich fassungslos und zutiefst beschämt – war ja klar, dass das an
       mir liegen muss. Besseren, schöneren, klügeren Mädchen, also Mädchen, die
       etwas wert sind, wäre so was nie passiert.
       
       Und außerdem fiel mir nichts ein, was ich tun konnte, außer mich wegsetzen,
       was sich verdammt nach Niederlage anfühlte. Da kicherte der Typ auch noch
       feist hinter mir her: Hehe, jetzt geht sie weg. Warum hat er das getan?
       Weil er es konnte. Er musste nicht damit rechnen, dass ich ihm eine knalle
       oder laut durch den Waggon brülle, was er gerade zu mir gesagt hat. Ich
       wünsche mir, dass das inzwischen so nicht mehr passieren kann, aber darauf
       wetten würde ich nicht.
       
       Ich hoffe, jener Mann ist irgendwann nach sehr langem Leiden eines
       schmerzhaften Todes gestorben, dieser Idiot. Ich hoffe außerdem, er war
       gläubig und hat Gott jeden Tag gefragt, warum er sich so quälen muss. Und
       ich hoffe, Gott hat immer geantwortet: Hehe, ich bin auch ein Mädchen.
       
       8 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Fischer
       
       ## TAGS
       
   DIR sexuelle Belästigung
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