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       # taz.de -- „Selbstverfickung“ von Oskar Roehler: Narzisstischer Selbsthass
       
       > Oskar Roehler lässt Ressentiments freien Lauf und schlägt in seinem
       > dritten Roman mit dem Hammer um sich. Ob das zurzeit besonders schlau
       > ist?
       
   IMG Bild: Rohlers Erzähler-Ich berichtet auskübelnd aus seinem Leben. Unter anderem geht er ins KaDeWe
       
       Erotische Romane, darin könnten sich die deutschen Autoren ja mal
       versuchen, empfahl Michel Houellebecq auf der Frankfurter Buchmesse. Daran
       scheint es wirklich zu mangeln, oder fällt Ihnen auf Anhieb ein (guter)
       erotischer Roman aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz ein? Eben.
       Oskar Roehler hat zumindest erotische Elemente in seinen neuen Roman
       geflochten. Allein, ein genuin erotischer Roman ist es dennoch nicht; denn
       alles, was Roehler zum Thema Sex einfällt, ist Prostitution.
       
       Sein Ich-Erzähler, dem er nach Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ den
       anmaßenden Namen Gregor Samsa verpasst, ist ein knapp sechzigjähriger, von
       Welt, Wille und Vorstellung ziemlich frustrierter Regisseur und
       Zeitgenosse, der die Flucht nicht nur in die hohe Literatur sucht, sondern
       eben auch in die Arme und Schöße Professioneller. Ansonsten schimpft er
       gerne herum, immer mit dem Gestus des Verkannten, des Provokanten: auf die
       Emigranten, auf das politisch Korrekte, auf den Kulturbetrieb.
       
       Roehler ist dabei noch zu feinsinnig, um seinen Platz auf dem Regal neben
       anderen Neurechten wie Akif Pirinçci oder Thor Kunkel zu finden (dessen
       Roman „Subs“ er nichtsdestotrotz neulich verfilmt hat). Dennoch ist die
       Position klar, denn immerhin fängt dieses Buch tatsächlich genau so an:
       „Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, stellte er
       fest, dass er nicht mehr linksliberal war.“
       
       Also ein weiterer Fall einer von links enttäuschter, neurechter Literatur?
       Das vorliegende Buch, es trägt den Titel „Selbstverfickung“, das nach
       kurzer Irrfahrt durch die Verlagswelt genau wie die vorherigen Bücher
       Roehlers bei Ullstein erschienen ist, könnte auch Pop sein. In einem
       bestimmten Sinn ist es das auch – es hat steile Thesen, prangert
       kulturmafiöse Zustände an, es läuft bewertend durch alle Zonen der
       popkulturell oder auch anders geprägten Gegenwart.
       
       Oskar Roehlers neuer, dritter Roman ist dekadent, sein erzählender
       Protagonist ein bis in den Selbsthass narzisstischer Flaneur, der
       entwertend und menschenschindend durch die Hauptstadt irrt. Leider gefällt
       sich Roehler zu sehr darin, es sich hier mit allen und jedem zu verscherzen
       – und dabei vor dem eigenen Alter Ego keinen Halt zu machen.
       
       Dieses Alter Ego berichtet ausgiebig und auskübelnd über sein Leben. Viel
       mehr passiert nicht. Es werden Erlebnisse im KaDeWe geschildert,
       Erfahrungen auf Filmsets nacherzählt, es wird von Nutten und von Drogen
       geredet und zum Ende hin vom Verhältnis zur Tochter, das ein überaus
       devotes ist. Alles ziemlich krank und kaputt, aber so lange es wie in
       diesem einen Monty-Python-Sketch die Gesellschaft ist, die für das alles
       verantwortlich ist, geht es wohl in Ordnung, sofern es lustig und
       unterhaltsam ist und hier und da einen Punkt trifft.
       
       Das Verfahren, die Generalabrechnung mit den Umständen zu veranschaulichen
       (und zurückzunehmen), indem man die Kaputtheit des Anti-Helden darstellt,
       kennt man vom erwähnten Vorbild Houellebecq. Der aber immer mehr Ebenen
       anzubieten hat, und zwar nicht nur gesellschaftstheoretische. Die hat Oskar
       Roehler leider nicht zu bieten. Viel mehr als Wohlstandsverwahrlosung ist
       da nicht.
       
       Dabei ist es ja durchaus nicht so, dass alles in Ordnung wäre. Und dass der
       deutsche Kulturbetrieb keine grobe Beschimpfung verdient hätte. Und
       natürlich agiert die Mitte der Gesellschaft, besonders da, wo es um Kunst
       und Kultur, um Film und Fernsehen geht, alles andere als klug, umsichtig,
       sozial oder wäre auf Forderung des Zuschauers durch Qualität aus. Ganz im
       Gegenteil.
       
       Der deutsche Film, auf den Roehler hier besonders aus ist, und das
       dahinterstehende System von Konformismus und Korruption bei fehlendem
       Weitblick ist ja immer noch, trotz Ausnahmen aus der Berliner Schule, ein
       großes Ärgernis; umso mehr freut man sich da schon, wenn mal jemand mit
       Einblick zum großen Rundumschlag ausholt.
       
       Aber vielleicht ist es zurzeit nicht besonders schlau, sich hemmungslos
       seinen Ressentiments und Idiosynkrasien hinzugeben. Das Feld der
       Kulturkritik ist gerade nämlich ziemlich vergiftet. Berechtigte Kritik am
       Mainstream, der übrigens keinesfalls so links oder linksliberal ist, wie
       alle von rechts glauben, im Gegenteil, muss da schon cleverer sein, als mit
       dem großen Hammer auf alles herumzuschlagen, was nicht bei drei zurück auf
       den Bäumen ist.
       
       Es mag sein, dass ein deutscher Houellebecq, ein deutscher Bret Easton
       Ellis fehlt. Und der Pol des Bad Boys, auf dem sich auch Biller, Krausser,
       Goetz gern aufgehalten haben, löst immer noch Faszination aus. Richtig geil
       ist trotzdem anders. Kurzum: Das böse Buch liegt bereit, wir haben es nur
       so halb gern gelesen.
       
       5 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR René Hamann
       
       ## TAGS
       
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