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       # taz.de -- Kolumne Minority Report: Belanglose Perspektiven
       
       > Subjektive Positionen sind nur relevant, wenn sie von weißen Männern
       > formuliert sind. Das zeigen Leserbriefe und die #MeToo-Debatte.
       
   IMG Bild: Schön bunt: So sieht Holland aus. Und wie sieht ein Holländer aus? Natürlich weiß!
       
       Letzte Woche war ich in Holland. Dort kam ich mit M. ins Gespräch, dem ich
       von einem witzigen Besuch im Coffeeshop erzählte. M. fragte mich: „War der
       Verkäufer Holländer?“ Ich sagte, ich wüsste es nicht. „Sah er wie ein
       Holländer aus?“ Ich musste schmunzeln und fragte ihn, wie denn ein
       Holländer aussähe. Er sagte trocken: „Na, so wie ich.“ Ich musterte ihn. M.
       hat blonde Locken und eine Augenbrauenform, die mich an traurige Vögel
       erinnert. Und: M. ist weiß.
       
       Seit ziemlich genau einem Jahr schreibe ich diese Kolumne. Seitdem bekomme
       ich so viele entnervte Leserbriefe wie nie zuvor. „Belanglosigkeit“ wird
       mir sehr häufig vorgeworfen. Dabei geht es nicht um meine Themenwahl,
       schließlich sind [1][Sexismus und Rassismus nicht gerade die minoritärsten
       Themen]. Es geht vielmehr um die Perspektive. Leute nehmen sich Zeit, mir
       mehrere Absätze zu schreiben, wie desinteressiert sie an meinen
       Ich-Erzählungen seien. Meist lassen die Briefe erkennen, dass sie meine
       Kolumne sehr aufmerksam lesen. Subjektive Positionen, das habe ich
       inzwischen gelernt, sind immer nur dann relevant, wenn sie von Männern
       formuliert werden. Von weißen Männern.
       
       Insofern ist es nicht sonderlich überraschend, dass M. sich für den
       Prototyp einer gesamten Nationalität hält. Ganz egal, was er in der Schule
       über die Kolonialgeschichte der Niederlande gelernt hat – er wird in seiner
       Annahme, die „Norm“ zu verkörpern, immer wieder bestätigt. Wie könnte er
       anderes denken? Ich habe eben nicht erwähnt, dass neben M. eine junge
       Holländerin saß, die spanischsprachige Literatur übersetzte. Sie hat exakt
       im selben Moment gesagt: „So wie er.“ Und dann haben beide gelacht. Nicht
       weil sie eine ironische Bemerkung machten. Sondern weil sie zeitgleich das
       Offensichtliche ausgesprochen hatten. Situationskomik. Haha.
       
       ## MeToo als „fiebrige Dramatisierung“
       
       Auch Zeit-Autor Adam Soboczynski kreist um den eigenen Nabel, wenn er in
       einem Text die [2][#MeToo-Debatte als „fiebrige Dramatisierung“] abwertet.
       Laut Soboczynski nutzen alle Frauen, die ihre Erfahrungen mit sexueller
       Gewalt schildern, die Gelegenheit, bloß ein paar „Alltagsrechnungen“ zu
       begleichen. Mal abgesehen davon, dass mit dem Fall Kevin Spacey auch
       männliche Betroffene in den Fokus geraten sind, was den Autor
       offensichtlich nicht interessiert.
       
       Wie kommt eine Person auf die Idee, dass alltägliche Belästigungen und
       Übergriffe Nichtigkeiten seien, die nicht der Rede wert sind? Eben, weil
       diese Person nicht tagtäglich von diesem Verhalten betroffen ist. Am Ende
       von Soboczynskis polemischem Text bleibt nur noch eins hängen: Wer (noch)
       nicht vergewaltigt wurde, soll besser die Klappe halten und nicht über
       Sexismus klagen. Es bleibt zu hoffen, dass genügend Leser*innen erkennen:
       Diese Position ist einfach nur belanglos.
       
       13 Nov 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kolumne-Minority-Report/!5454631/
   DIR [2] http://www.zeit.de/2017/46/sexismus-metoo-sexuelle-gewalt-debatte
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Fatma Aydemir
       
       ## TAGS
       
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