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       # taz.de -- Das Recht auf positive Bezeichnung: „Sehr fortschrittlich“
       
       > Die Bremer Juristin Konstanze Plett hat dazu beigetragen, das
       > Bundesverfassungsgericht von der Notwendigkeit der Anerkennung von
       > Intersexualität zu übezeugen
       
   IMG Bild: Die dritte Option muss nun im Personenstandrecht verankert werden
       
       taz: Frau Plett, das Bundesverfassungsgericht hat vorige Woche entschieden,
       dass es ein drittes Geschlecht im Geburtenregister geben muss. Warum hat es
       so entschieden? 
       
       Konstanze Plett: Zunächst einmal hat das Gericht an einem Einzelfall
       festgestellt, dass die seit 2013 geltenden Bestimmungen im
       Personenstandsrecht das allgemeine Persönlichkeits- und das
       Gleichheitsrecht verletzen. Aber das hat weitreichende positive Folgen.
       
       taz: Was waren denn die bisherigen Bestimmungen? 
       
       In den Geburtenregistern konnte seit November 2013 auch offen gelassen
       werden, welches Geschlecht ein neugeborener Mensch hat. Vorher war nur eine
       Eintragung als männlich oder weiblich möglich. Zunächst war unklar, ob auch
       alle vor 2013 Geborenen das nachträglich ändern lassen können; das wurde
       dann relativ rasch geklärt. Aber es fehlte für intergeschlechtliche
       Menschen das Recht auf eine positive Geschlechtsbezeichnung, weil es eben
       nur männlich, weiblich oder keines von beiden gab. Nur weil ich – aus Sicht
       derer, um die es geht – nicht wie 98 oder 99 Prozent der Bevölkerung
       männlich oder weiblich bin, habe ich trotzdem ein Geschlecht und dafür
       möchte ich keine Leerstelle in offiziellen Dokumenten haben, sondern eine
       positive Bezeichnung.
       
       Das Geschlecht lässt sich jetzt also problemlos nachträglich noch ändern? 
       
       Das wird sich zeigen. Es ist davon auszugehen, dass die Ämter einen
       medizinischen Beleg verlangen werden. Auch bei Trans-Menschen wird
       juristisch ein Verfahren vorausgesetzt. Aber wie das genau aussehen wird,
       wird sich zeigen.
       
       Das Bundesverfassungsgericht hat dafür den Gesetzgeber aufgefordert, bis
       Ende 2018 eine Neuregelung zu schaffen. Hat das Gericht Wege aufgezeigt,
       wie eine Neuregelung aussehen soll? 
       
       Das Gericht hat zwei Möglichkeiten aufgezeigt. Entweder wird das
       Personenstandsrecht so geändert, dass eine dritte positive
       Geschlechtsbezeichnung eingeführt wird, oder aber das Geschlecht wird gar
       nicht mehr registriert. Bei Letzterem geht es um Frage, ob der Staat wissen
       muss, wer welches Geschlecht hat. Da gibt es verschiedene Vorbehalte, die
       aber aufzulösen sind.
       
       Welche? 
       
       Zum Beispiel die Ehe: Seit der Einführung der sogenannten Ehe für alle
       gerade in diesem Herbst wird nicht mehr auf das Geschlecht gesehen. Ein
       anderer Punkt wäre die Wehrpflicht, die nur für Männer gilt. Selbst wenn
       sie, wovon ich vorerst nicht ausgehe, irgendwann wieder eingesetzt wird,
       kann der Staat schließlich auch alle anschreiben, und wer angibt, nicht
       männlich zu sein, wird nicht eingezogen. Ein drittes Beispiel: Im
       schulischen Sportunterricht wird zeitweise nach Mädchen und Jungen
       aufgetrennt. Ich erinnere mich an einen Fall, wo ein Mädchen bei den Jungen
       mitmachen wollte, weil es sich mit seiner Leistung dadurch besser gefordert
       sah. Das durfte dieses Mädchen aber nicht. Warum also nicht im
       Sportunterricht statt nach Geschlecht nach Leistung aufteilen?
       
       Klingt logisch. 
       
       Natürlich werden in der Praxis immer wieder Probleme auftauchen, aber das
       wird alles lösbar sein. Die Weltordnung wird dadurch nicht zusammenbrechen.
       Menschen, die weder männlich noch weiblich sind, hat es ja schon immer
       gegeben. In früheren Zeiten wurden sie auch als Zwitter bezeichnet, ehe sie
       von der Rechtsordnung in Deutschland nicht mehr zur Kenntnis genommen
       wurden. Damit ist es nun vorbei.
       
       Wie sieht es mit der Namensgebung von Intergeschlechtlichen künftig aus? 
       
       Das Thema ist, auch wenn es viele nicht wissen, bereits seit 2008 längst
       gegessen. Damals hatte das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt, dass
       Vornamen zwar nicht geschlechtskonträr sein sollen, aber auch nicht auf das
       Geschlecht schließen lassen müssen.
       
       Und Intergeschlechtliche können nun auch rechtlich problemlos Eltern sein? 
       
       Warum nicht? Natürlich sind die Begriffe Vater und Mutter
       geschlechtskonnotiert. Aber aufgrund des Transsexuellengesetzes ist die
       Mauer der festgefügten Vorstellungsmuster ohnehin schon aufgebrochen
       worden. Letztlich ist auch das alles verwalt- und lösbar.
       
       Wie sieht es im internationalen Vergleich aus? 
       
       Das Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist sehr fortschrittlich.
       Vergleichbares gibt es noch in Indien. Dort hatte das oberste Gericht eine
       dritte Geschlechtsbezeichnung vor drei Jahren für zulässig erklärt. Auch
       zum Beispiel in Australien und Neuseeland gibt es neben „m“ und „f“, im
       Ausweis noch das „x“. Das ist übrigens im internationalen Passrecht schon
       seit Jahren vorgesehen, aber das deutsche Passrecht wurde bisher noch nicht
       angepasst.
       
       15 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR André Zuschlag
       
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