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       # taz.de -- Doku über das „Kongo-Tribunal“: Die Macht des Rechts
       
       > Milo Raus Projekt mag selbstherrlich wirken. Aber seine Darstellung, wie
       > Wohlstand in Europa auf der Ausbeutung Afrikas aufbaut, wühlt auf.
       
   IMG Bild: Der Film beweist symbolisch, dass Rechtsprechung möglich ist
       
       Selbstverständlich kann man Milo Rau Größenwahn vorwerfen. Gerade hat er in
       der Berliner Schaubühne nichts weniger als ein [1][Weltparlament]
       abgehalten, eine fiktive Gerechtigkeitsinstanz, um dem globalisierten Elend
       der Welt Gehör zu verschaffen. Nun kommt sein Film „Kongo-Tribunal“ in die
       Kinos. Ein weißer Mann, der in das laut Amnesty International gefährlichste
       Land der Welt fährt, um vor Ort einen [2][Gerichtshof] zu inszenieren, den
       es da nicht gibt?
       
       Schon die Rahmenbedingungen haben einen Geschmack von postkolonialer
       Selbstherrlichkeit, und man kann vielleicht schon fragen, ob Milo Raus
       Selbstermächtigung nachhaltig und sorgfältig genug ist, was die Opfer des
       Kongo-Kriegs betrifft. Immerhin ist einer der Protagonisten, der Student
       und Aktivist Amini Kabaka, der im Film den kongolesischen Staat direkt
       verantwortlich macht, seit den Dreharbeiten verschollen. Und doch haben
       Milo Rau und seine Cutterin Katja Dringenberger im „Kongo-Tribunal“ einen
       Dokumentarfilm geschaffen, der bahnbrechend ist: Kaum jemals zuvor wurde
       der Zusammenhang von Konflikten, Rohstoffausbeutung und europäischem
       Wohlstand so schockierend präzise sichtbar gemacht. Die Demokratische
       Republik Kongo, eines der Länder mit den reichsten Rohstoffvorkommen der
       Welt, versinkt, wie man weiß, seit Jahrzehnten in einem opferreichen und
       brutalen Krieg. Die Toten gehen in die Millionen, Täter werden kaum je
       verurteilt.
       
       Man riecht es schon, sagt Amini Kabaka zu Milo Rau zu Beginn des Films, als
       sie die staubige Straße entlang gehen im Dorf Mutarule, Provinz Süd-Kivu,
       wo Milizen zum dritten Mal in wenigen Jahren ein Massaker verübten. Und
       dann sieht man sie dort liegen, teils in der prallen Sonne, die mit bunten
       Tüchern bedeckten Leichen. „Hier sind die Kinder“, sagt Kabaka und deckt
       den Kopf eines toten Babys auf. So sieht man Milo Rau gleich am Anfang des
       Films „Kongo-Tribunal“ sichtlich verstört an Orten, an denen es richtig
       schlimm wird.
       
       ## Der Minister blickt nervös umher
       
       Es war ein Zufall, dass das Filmteam vom Massaker erfuhr und als Erstes vor
       Ort war – obwohl nur neun Kilometer entfernt ein UNO-Stützpunkt liegt. Der
       Innenminister Jean-Julien Miruho ließ sich auch Tage danach nicht blicken,
       später erklärt er nervös umherblickend in die Kameras, dass ein
       Scheinwerfer seines Autos defekt war.
       
       Und dann zoomt die Kamera, von pathetischer Musik begleitet, in die Höhe,
       fliegt über die eigentlich so fruchtbaren, grünen Hügel der Demokratischen
       Republik Kongo – um schließlich im selbsternannten Gerichtssaal von Bukavu
       zu landen. Eine alte Jesuitenschule wurde umfunktioniert. Für sein
       symbolisches Gericht hat Milo Rau Akteure der komplexen globalen
       Versagensstruktur, die der Kongo ist, an einen Tisch gebracht: echte
       Anwälte und Zeugen, Schürfer und Rebellen, Regierungs- und
       Oppositionsvertreter, Konzernsprecher, Zeugen und Experten. Allein schon,
       dass so unterschiedliche Perspektiven in Bukavu erstmals gemeinsam im Saal
       sitzen, ist eine Sensation.
       
       Nur dem UN-Vertreter Jean Ziegler, Berater im Menschenrechtsrat, wurde die
       Anreise von seiner Dienststelle nicht erlaubt. Zufall? Wohl eher nicht.
       Stellvertretend hat Rau drei exemplarische Fälle zur Verhandlung
       ausgewählt, die das, was im ganzen Land passiert, kondensieren: die
       gewaltsame Vertreibung der Landbevölkerung von zwei Rohstoffminen sowie das
       Massaker in Mutarule, das er im Film als Erster bezeugte.
       
       Vorsitzender des Gerichts ist der Belgier Jean-Louis Gilissen, Mitbegründer
       des Internationalen Strafgerichtshofs von Den Haag. Er hat zu Beginn,
       weinend, einen der starken Momente im Film: „Man heiratet, man bekommt
       Kinder, alles ist in Ordnung. Und man weiß, es reicht nicht. Für wen halten
       wir uns, zu akzeptieren, was in der Welt passiert?“ Auch für Milo Rau ist
       Mitleid nur akzeptabel, wenn es zu politischer Aktion führt.
       
       Politisch aktiv sind in diesem Film aber vor allem die Kongolesen selbst,
       deren Stimme einen großen Raum erhält – auch wenn immer wieder erhellende
       Kommentare des Berliner Kongo-Tribunals weißer Experten dazugeschnitten
       werden. Etwa Sylvestre Bisimwa, der Untersuchungsleiter, der in seiner
       Anfangsrede die Problematik des Kongo auf den Punkt bringt. Er fragt die
       Zeugen: Sind der kongolesische Staat und die Armee direkt verantwortlich,
       weil sie Rechtlosigkeit gewähren lassen? Inwiefern profitieren Unternehmen
       von Konflikten, um günstig an Abbaurechte zu kommen?
       
       ## Keine Kontrolle der Konzerne
       
       Schlicht bringen aber auch arbeitslose Bergbauarbeiter die Sache auf den
       Punkt: „Es gibt so viele Hügel hier“, sagt einer, „Banro könnte uns doch
       unseren kleinen Ort hier zum Abbau lassen.“ Doch das ist in der Logik des
       Raubtierkapitalismus nicht vorgesehen; Banro ist eine kanadische Goldfirma.
       Dorfpfarrer Zihalirwa Charkirwa bezeugt vor Gericht etwa, dass es seit der
       Zwangsumsiedlung keine Straßen, keine Schulen, kein Trinkwasser, keine
       Arbeit mehr gibt. Die Abwassertümpel der Kassiteritmine haben Kühe, Ziegen
       und Schafe vergiftet. Entschädigung haben sie nie erhalten, Ansprechpartner
       gibt es nicht.
       
       „Wir müssen vorwärts kommen“, sagt die Kommunikationsbeauftragte der Firma
       auf Video, im Korbsessel vor Meeresblick, zynisch lächelnd, „wenn sie nicht
       mit uns kooperieren, müssen wir sie zurücklassen.“ Es gibt keine wirksame
       Kontrolle von Konzernen, transnationale Unternehmen bewegen sich in
       Straflosigkeit und in Steuerfreiheit.
       
       Großartig am „Kongo-Tribunal“ ist aber auch, dass er nicht nur im
       Gerichtssaal spielt, sondern auch direkt an die Schauplätze geht. In die
       umgesiedelten Dörfer, in unwegsamen Schluchten, deren Fehlplanung schon der
       schwierige, wackelige Abstieg vorführt. Oder in die Zentren der
       Milizenausbildung, wo die Logik, dass Selbstbewaffnung der Bevölkerung –
       und somit der zwangsläufige Weg in den Bürgerkrieg – als bester Ausweg
       erscheint, kaum widerlegt werden kann. Fast körperlich wird der zynische
       Zusammenhang begreifbar, wie sehr der Krieg im Kongo Europa, den USA und
       China hilft, billigste Rohstoffe zu sichern.
       
       Hin und her wird im Gerichtssaal die Schuld geschoben, um Kopf und Kragen
       reden sich auch die UNO-Mitarbeiter: „Ich würde das Wort Massaker
       vermeiden, die UNO kann auch nicht überall sein.“ Ein Lehrstück an
       staatlicher Korruptheit ist auch, wie dem Innenminister der Provinz
       Süd-Kivu auf die Frage, warum in Mutarule die Polizisten vor Ort nicht
       eingegriffen haben, nur einfällt, dass sie nicht für Nachtarbeit
       ausgebildet seien. Herausfordernd und ungläubig fragt er vom Zeugenstand:
       „Wer will denn den kongolesischen Staat der unterlassenen Hilfeleistung
       anklagen?“ Nach den Dreharbeiten wurde er übrigens entlassen. Er hat wohl
       einem kommunikativ Versierteren Platz gemacht.
       
       Der Film lässt aufgeklärt, verstört, beschämt zurück. Das „Kongo-Tribunal“
       ist das Gegenteil von neokolonialer Überstülpung: Der Film beweist
       symbolisch, dass Rechtsprechung möglich ist. Er bringt Menschen zu Gehör,
       die sonst keine Stimme haben, setzt spielerisch Tatsachen ins
       Weltbewusstsein, die danach vielleicht leichter umgesetzt werden können.
       Mittlerweile gründet Untersuchungsleiter Sylvestre Bisimwa zivile
       Gerichtseinheiten in den Dörfern.
       
       Im Kongo selbst hat der Film ein gewaltiges Echo gefunden: Rau hat
       tausendfache Kopien unters Volk gebracht, auch die Besucherzahlen sprengten
       alle Erwartungen. Milo Rau, dem weißen, privilegierten, männlichen Künstler
       europäisches Sendungsbewusstsein vorzuwerfen, ist wohlfeil. Denn das, was
       er geleistet hat, muss man erst einmal schaffen.
       
       16 Nov 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Milo-Rau-an-der-Berliner-Schaubuehne/!5457856
   DIR [2] /Das-Kongo-Tribunal-4/!5020110
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dorothea Marcus
       
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