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       # taz.de -- Debatte Erneuerbare Energien: EEG abschaffen, CO2-Steuer einführen
       
       > Das Erneuerbare-Energie-Gesetz sollte abgewickelt und stattdessen eine
       > CO2-Steuer beschlossen werden. So könnte die Kohle verdrängt werden.
       
   IMG Bild: Sturm macht schön Strom
       
       Grüne Nostalgiker bringen sich schon in Stellung. Sollte eine neue
       Bundesregierung tatsächlich die Farben von Jamaika tragen, wird es
       Forderungen an die Grünen geben, das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) als
       Antreiber der Energiewende wiederzubeleben. Eine Neuauflage also jenes
       einst so durchschlagenden Gesetzes, mit dem die erste rot-grüne Koalition
       zur Jahrtausendwende den Grundstein vor allem für den Solarboom legte – ehe
       das Gesetz nach wiederholten Deformationen als Schatten seiner selbst
       endete.
       
       Doch so verlockend dies auch erscheinen mag, ein runderneuertes EEG ist der
       falsche Weg. Zum einen ist das Gesetz – man muss es so hart sagen – nicht
       mehr reformierbar. Längst ist es viel zu kompliziert: Investoren brauchen
       immer mehr Beratung, Rechtsunsicherheiten lähmen. Naiv wäre es, zu glauben,
       eine neue Regierung könnte das juristische Dickicht wieder so weit lichten,
       dass das Gesetz wieder praktikabel wird. Vergessen wir’s also. Zumal es
       auch aus einem ganz anderen Grund an der Zeit ist, die Förderung der
       Energiewende auf völlig neue Beine zu stellen.
       
       Das EEG nämlich ist in einem Punkt ungenügend: Während es seine Aufgabe,
       Photovoltaikanlagen und Windräder durch Massenfertigung besser und billiger
       und damit marktfähig zu machen, mit Bravour erledigte, ging die Erzeugung
       von Kohlestrom in Deutschland kaum zurück. Jährlich steigende und
       inzwischen ungesunde Exportüberschüsse im hiesigen Strommarkt sind die
       Folge. Nachbarländer beschweren sich schon, dass sie unseren
       Überschussstrom abfangen oder zumindest durchleiten müssen.
       
       Es ist daher an der Zeit, sich von der aktiven Förderung der Erneuerbaren
       radikal zu verabschieden, und das EEG nach siebzehneinhalb Jahren in Ehren
       abzuwickeln. (Wobei es natürlich für die Altanlagen weiterhin gelten wird,
       bis diese nach 20 Betriebsjahren automatisch aus der Garantievergütung
       herausfallen.) Um die Energiewende weiter voranzubringen, muss man nun von
       der anderen Seite kommen: Die Erzeuger fossiler Energien müssen finanziell
       dafür zur Rechenschaft gezogen werden, dass sie die Atmosphäre ungeniert
       als Müllkippe für ihre Abgase missbrauchen. Eine in Stufen ansteigende
       CO2-Steuer würde – angefangen bei den schmutzigsten Anlagen – die
       Braunkohlekraftwerke nach und nach aus dem Markt drängen, und so
       Überkapazitäten abbauen.
       
       ## Endlich eine ökonomische Perspektive
       
       Die willkommene Konsequenz wäre, dass sich die aktuell ruinös niedrigen
       Preise im Stromgroßhandel wieder auf einem auskömmlichen Niveau
       stabilisieren. Nicht nur Solar- und Windkraftanlagen würden dann ganz von
       allein wirtschaftlich, auch modernen Speichersystemen – die es aus
       technischer Sicht längst gibt – erwüchse ökonomisch endlich eine
       Perspektive. Aktuell wirkt die Braunkohle noch wie ein Bollwerk gegen eine
       marktgetriebene Modernisierung der Stromwirtschaft.
       
       Dass solche Überlegungen auch in der Praxis funktionieren, zeigt
       Großbritannien. Das Land vollzieht gerade den Ausstieg aus der Kohle und
       fördert diesen durch eine nationale CO2-Steuer. Dadurch ist das Preisniveau
       im Stromgroßhandel höher als in Deutschland, was dazu führt, dass in der
       Grafschaft Bedfordshire soeben erstmals eine große
       Freilandphotovoltaikanlage eingeweiht werden konnte, die ohne Förderung
       auskommt. Wenn nun schon England Solarstrom wirtschaftlich erzeugen kann,
       sollte das in Deutschland erst recht möglich sein.
       
       Man hätte mit einer CO2-Steuer außerdem die lähmende Debatte über die
       EEG-Umlage von der Backe. Alljährlich im Oktober, wenn die neue Umlagenhöhe
       für das nächste Jahr veröffentlicht wird, versuchen Kritiker der
       Energiewende, diese als Kennziffer für die Kosten der Energiewende
       heranzuziehen. Dass die Zahl dazu, realistisch betrachtet, nicht taugt,
       geht allzu oft unter. Weniger anfällig für den kommunikativen Missbrauch
       wäre eine CO2-Steuer. Denn sie müsste die Bürger in der Summe gar nicht
       zusätzlich belasten, sofern sie aufkommensneutral angelegt, also durch den
       Abbau anderer Steuern kompensiert wird. Wirksam wäre sie trotzdem.
       
       ## Ziel: Braunkohle verdrängen
       
       Für das politische Ziel, die Braunkohle Schritt für Schritt aus dem Markt
       zu drängen, sprechen – neben dem Klimaschutz – längst auch systemische
       Argumente. Denn die Braunkohlekraftwerke agieren im Vergleich zu den
       Steinkohleblöcken erheblich unflexibler; sie überfluten die Netze selbst
       dann noch mit ihrem Strom, wenn Wind und Sonne gerade ordentlich
       produzieren. Zuletzt erkennbar Ende Oktober, als Sturmtief „Herwart“ die
       Netze mit Windstrom flutete, die Kraftwerke auf Basis von Braunkohle aber
       immer noch viele Tausend Megawatt erzeugten, während der Steinkohlestrom
       sich rar machte. Das Beispiel zeigte einmal mehr, dass die trägen
       Braunkohleblöcke angesichts steigender Erzeugungsmengen aus fluktuierenden
       Quellen schlicht nicht mehr systemkompatibel sind.
       
       Welch glückliche Fügung zudem: Auch die Topologie der deutschen
       Stromwirtschaft kommt einem Ausstieg aus der Braunkohle entgegen. Denn
       diese Kraftwerke stehen allesamt in jenen Regionen, die Strom
       exportieren, speziell in Nordrhein-Westfalen und Ostdeutschland. Südlich
       des Mains, wo der Strom schon mal knapp werden kann, werden statt dessen
       Steinkohle und Erdgas eingesetzt. Somit spricht nichts gegen einen
       radikalen Abschied von der Braunkohle als ersten Schritt in Richtung einer
       kohlenstofffreien Stromerzeugung. 
       
       ## Kohleausstieg in der Regierungsbildung
       
       Was heißt das alles nun für die Regierungsbildung? Die Grünen sollten über
       einen (Braun-)Kohleausstieg als ihr Kernthema mit Leidenschaft verhandeln
       und hart bleiben. Denn zumindest in der Theorie hat die Jamaika-Variante
       besonderen Charme: Es sind genug Themen für alle da. Jede Partei könnte auf
       ihrem Kerngebiet beachtliche Erfolge einfahren, wenn sie zugleich bereit
       wäre, den anderen Partnern bei deren Herzensanliegen ebensolche
       einzuräumen.
       
       Für die Grünen ist der Klimaschutz das Kerngebiet schlechthin. Für sie
       sollte das Hauptziel der Koalitionsverhandlungen daher eine wirkungsvolle
       CO2-Steuer sein – auch wenn die Partei dafür viel Pragmatismus, und das
       heißt Entgegenkommen bei anderen Themen, wird zeigen müssen.
       
       16 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernward Janzing
       
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