URI: 
       # taz.de -- Sexuelle Gewalt und Prostitution: Das Problem ist euer Bild von uns
       
       > Sexuelle Belästigung gibt es in der Prostitution wie in jedem anderen
       > Job. Es braucht Lösungsansätze, die nicht die gesamte Kundschaft
       > kriminalisieren.
       
   IMG Bild: Nicht für sexuelle Gewalt: Sexarbeiter*innen informieren sich gegenseitig über Übergriffige
       
       „Wenn dich einer angrapscht, dann nimm sofort seine Hand weg und mach ihm
       klar, dass er dich ohne Geld nicht anfassen darf!“ Das war eine der ersten
       Empfehlungen, die ich von einer Kollegin jemals bekam. Damals, 2011, als
       ich im Cafe Pssst! anfing anzuschaffen. Das Café Pssst! war eine Kneipe mit
       Hinterzimmern. Die potenzielle Kundschaft fühlte teils schon beim Flirt
       körperlich vor – Hand auf den Arsch oder gar Brust – und ging mit einer
       dann doch nicht aufs Zimmer. Weil er vorher noch zur Bank müsse, um Geld
       abzuheben. Und dann wie erwartet schlicht nicht mehr zurückkam.
       
       In aller Regel wissen sich unsere Kunden durchaus zu benehmen und behandeln
       uns mit Respekt – sind sie doch auch selbst Söhne, Partner, Väter und nicht
       prinzipiell empathielose Ungeheuer. Aber ähnlich wie bei der Gastronomie
       ist das Risiko ziemlich hoch, gelegentlich Kundschaft zu haben, die einen
       unkonsensuell begrapscht. Oder die einem Zeit, sprich Geld, klaut.
       
       In den meisten Bordellen warnen wir Prostituierten uns vor solch
       übergriffigen Kunden gegenseitig. Wir tauschen uns aus, worauf wir jeweils
       achten sollten oder ob man einen lieber gar nicht annimmt, wenn einem das
       zu blöd ist. Im Internet warnen wir uns auf manchen Werbeportalen vor
       Kunden, die sich gewalttätig oder auch nur unangemessen verhalten.
       
       Sexarbeiter*innen-Netzwerke im englischsprachigen Raum führen eigene
       Verzeichnisse mit sogenannten ugly mugs, um Kolleg*innen dieselbe schlechte
       Erfahrung mit ein und demselben Klienten zu ersparen, von
       Grenzüberschreitenden und Übergriffigen bis hin zu Gewalttätigen. Im
       deutschsprachigen Raum haben wir sogenannte Freierknigge, in denen Kunden
       noch mal schwarz auf weiß nachlesen können, was sich gehört und was nicht.
       
       Trotz aller Konkurrenz sind Huren in aller Regel einander solidarisch, wenn
       es um den besten Umgang mit den „schwarzen Schafen“ geht.
       Peer-to-Peer-Projekte der Hurenbewegung wie Hydra, trans*sexworks oder
       ProfiS von move e. V. empowern Sexarbeiter*innen, um sich besser gegen
       Gewalt behaupten und diese verarbeiten zu können.
       
       ## Gegensätzliche Rollenerwartungen
       
       Nur um etwas selbstverständliches klarzustellen: Jeder
       grenzüberschreitende, übergriffige, gewalttätige Kunde ist einer zu viel!
       Gerade diese sind es, die uns noch länger beschäftigen. Bei ihnen gehen wir
       in Gedanken das Erlebte immer wieder durch, um es zu verarbeiten.
       
       Die Bilder, die über Prostituierte vorherrschen und die damit auch in
       unserem Denken präsent sind, machen uns Mühe mit der Einordnung: Als
       „gefallenes Mädchen“ seien wir ja quasi selbst Schuld – oder anders gesagt:
       Berufsrisiko.
       
       Wahlweise gibt es dann noch die Ansicht, dass Prostituierte ja gar nicht
       vergewaltigt werden könnten, weil wir als Prostituierte allzeit bereit
       seien und mit jedermann gern ins Bett gingen – oder aber das komplette
       Gegenteil: dass jeder Sex mit einem Kunden eine Vergewaltigung sei.
       
       Auch ohne akuten Verarbeitungsbedarf von irgendwelchen Grobheiten können
       diese gegensätzlichen Rollenerwartungen zu einer subtilen Verunsicherung
       darüber führen, welche Weltsicht man sich denn nun zu eigen machen will.
       Dabei sind wir weder „gefallen“ noch unfähig, Konsens zu formulieren oder
       zu verweigern, noch sind alle unsere Kunden Täter.
       
       Die Spanne der Gewalt durch Kunden ist breit und vielfältig: Das Schlimmste
       ist Mord – und nicht nur in den USA suchen sich Serienmörder besonders gern
       Prostituierte als Opfer, da sie getrost davon ausgehen können, dass die
       Ermittlungen bei ermordeten Sexarbeiter*innen deutlich weniger gewissenhaft
       durchgeführt werden. Durch die Stigmatisierung, die höhere Angst vor
       Polizeigewalt, zeigen Kolleg*innen Vorfälle außerdem kaum an. In
       Deutschland nicht – und in Ländern mit Freierbestrafung erst recht nicht.
       
       ## Die Polizei ist nicht unschuldig
       
       Dabei belegen die jüngsten Erfahrungsberichte von Kolleg*innen aus
       Frankreich erneut, dass nach Einführung der Freierbestrafung vor allem die
       respektvollen Kunden wegbleiben, während den brutalen das Risiko, erwischt
       zu werden, viel zu gering ist. Die Folge ist, dass meine Kolleg*innen durch
       die gesunkene Nachfrage und im Kampf gegen das eigene Verarmen wohl oder
       übel deutlich gewalttätigere Kundschaft akzeptieren müssen. Denn adäquate
       Jobalternativen kann man lange suchen.
       
       Es wird kaum überraschen, dass auch in der Sexarbeit das Zusammentreffen
       verschiedener Diskriminierungen, sei es trans*Identität, schlechte
       Deutschkenntnisse, schwarz oder of color zu sein, Romni oder andere, die
       Gewaltrate erhöht.
       
       Neben Gewalt durch Freier darf im globalen Kontext die massive
       Polizeigewalt nicht ignoriert werden. Jene, die uns in den Augen von
       Politik und ProstitutionsgegnerInnen schützen sollten, sind häufig genug
       selbst Täter. In Deutschland sind die Fälle erpresster Sexualität („blas
       mir einen, dann lass ich dich wieder frei“) vielleicht nicht so hoch wie
       andernorts, unschuldig ist die Polizei aber auch hierzulande nicht: Von
       psychischer Gewalt wie Zwangsouting bei Führerscheinkontrollen gegenüber
       Mitfahrern über sexualisierte Bemerkungen bei Razzien, das Auftreten als
       Scheinfreier bis hin zu übergriffigen, paternalistischen Fragen, wenn man
       versucht, Anzeige zu erstatten, können Kolleg*innen berichten.
       
       Die gesellschaftliche Ausgrenzung und vor allem der Versuch, zum Zweck der
       Gentrifizierung Straßenstriche loszuwerden, führen dazu, dass gesetzliche
       Regelungen geschaffen werden, die einzig und allein dazu da sind,
       Prostituierte zu vertreiben oder eben einsperren zu können.
       
       Wenn, wie in Hamburg in Sankt Georg, ein Kontaktanbahnungsverbot eingeführt
       wird, wenn sich daraufhin Kolleg*innen, um die Bußgelder zu bezahlen,
       wieder im Sperrbezirk aufstellen und so oft erwischt werden, bis aus einer
       Ordnungswidrigkeit eine Straftat wird, wenn daraufhin quasi ständig ein
       Dutzend Sexarbeiter*innen im Gefängnis sitzt – dann sehe ich das als
       Freiheitsberaubung von Prostituierten durch Legislative und Exekutive.
       
       ## Pauschal als Opfer abgestempelt
       
       Unsere Grenzen sind genauso zu respektieren wie die von allen anderen
       Menschen auf diesem Planeten. In einer Gesellschaft, die uns ausgrenzt und
       pauschal als Opfer sieht, fällt es manchmal schwer, zu dieser eigentlich
       selbstverständlichen Erkenntnis zu gelangen.
       
       Sexarbeiter*innen wird die Möglichkeit genommen, in der Öffentlichkeit eine
       differenzierte Diskussion über Probleme mit Gewalt in der Prostitution zu
       führen. Wie umgehen mit dem Wissen, sich wohl überlegt für diesen Beruf
       entschieden zu haben, im vollen Bewusstsein über die Gefahren? Woher
       Rollenvorbilder nehmen? Wie mit Gewalt umgehen, ohne sie kleinzureden, aber
       auch ohne sie zu pauschalisieren?
       
       Es braucht Lösungsansätze, die nicht gleich unsere gesamte Kundschaft
       kriminalisieren. Mir fehlt die Einsicht, dass es vor allem die
       gesellschaftlichen Bilder über Prostitution sind, die es uns schwer machen,
       uns zu schützen. Weil sie die Schwelle zur Gewaltbereitschaft gegenüber
       Prostituierten heruntersetzen – bei Kunden, bei Polizisten, bei allen. Ich
       wünsche mir, dass uns Sexarbeiter*innen zugehört wird, dass man uns fragt,
       wie wir uns Gewaltprävention vorstellen und wie nicht.
       
       Auch wenn sie für viele unangenehm sein mögen: Öffentlich sichtbare
       Freierkampagnen, die uns als respektable Personen darstellen, wären
       wirkungsvoller als übergriffige Zwangsregistrierungen. Denn nicht wir sind
       das Problem, sondern das fatale Bild, das ihr von uns habt.
       
       Die Autorin ist Sexarbeiterin und schreibt hier unter Pseudonym.
       
       20 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marleen Laverte
       
       ## TAGS
       
   DIR taz-Serie Sexuelle Gewalt
   DIR Sexuelle Gewalt
   DIR Prostitution
   DIR Diskriminierung
   DIR Lesestück Meinung und Analyse
   DIR Sexarbeit
   DIR Sigmund Freud
   DIR Fußball
   DIR taz-Serie Sexuelle Gewalt
   DIR Sex
   DIR Sexarbeit
   DIR Prostitution
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Sexarbeiterin über neues ProstSchuG: „Denen geht es um Kontrolle“
       
       Johanna Weber vom Bundesverband erotische und sexuelle Dienstleistungen
       klagt gegen das Prostituiertenschutzgesetz. Und erklärt, warum.
       
   DIR Französische Autorin zu Sexualität: Sex ist fehlbar
       
       Catherine Millet hasste D. H. Lawrence, bevor sie anfing, ihn zu lieben.
       Ein Gespräch über Sexliteratur, weibliche Lust und den heutigen Feminismus.
       
   DIR Vorwurf der Gruppenvergewaltigung: Neun Jahre Haft für Robinho
       
       Der 33-jährige Brasilianer soll bereits 2009 einer Frau gegenüber
       gewalttätig gewesen sei. Gegen das jetzige Urteil will er in Berufung
       gehen.
       
   DIR Sexuelle Gewalt in Nigeria: „Wir Mütter wissen, was passiert ist“
       
       In Nigeria ist es ein Tabu, über sexuelle Gewalt zu sprechen. Stattdessen
       werden Täter gedeckt. Die kaufen sich oft bei der Polizei frei.
       
   DIR Ex-Prostituierte über Sex: „Männern geht es sexuell so schlecht“
       
       Ilan Stephani hat zwei Jahre lang in einem Berliner Bordell gearbeitet.
       Ihre Erfahrungen beschreibt sie in einem neuen Buch.
       
   DIR Kolumne „Mithulogie“: Mein Unterleib gehört mir?
       
       Hebammen und Sexarbeiterinnen leiden unter neuen Gesetzen. Welche Rolle
       spielen ihre Rechte im Bundestagswahlkampf?
       
   DIR Kommentar Gütesiegel für Bordelle: Die Fiktion vom kritischen Freier
       
       Wie bei Sterne-Hotels soll man zukünftig an der Anzahl der Krönchen ablesen
       können, welche Standards ein Bordell einhält. Die Idee hat Tücken.