URI: 
       # taz.de -- Die Klimazitate der FDP im Faktencheck: Liberale Fakten
       
       > Bei den Jamaika-Sondierungen lehnt sich die FDP mit erstaunlichen
       > Behauptungen über Klima und Energie aus dem Fenster.
       
   IMG Bild: Strahlt wie die Sonne vor Kiribati – Christian Lindner
       
       „Die FDP steht zu den Klimaschutzverpflichtungen, die die EU nach dem
       Pariser Abkommen eingegangen ist. Die Zielvorgaben, die die
       Bundesregierung im Alleingang gemacht hatte, dürfen dagegen nicht
       sakrosankt sein“, Marco Buschmann, Parlamentarischer Geschäftsführer FDP,
       [1][Homepage FDP]. 
       
       Die deutschen Klimaziele waren bei ihrer Verkündung 2007 tatsächlich ein
       Alleingang der Regierung. Aber inzwischen gibt es das Pariser Abkommen, das
       Deutschland in nationales Recht umgesetzt hat. Darin gibt es kein deutsches
       Klimaziel, sondern ein europäisches: minus 40 Prozent bis 2030. Der
       deutsche Anteil an dieser Verpflichtung heißt umgerechnet nach der
       EU-internen Lastenverteilung, dass Deutschland, die größte und reichste
       Volkswirtschaft Europas, bis 2030 ihren CO2-Ausstoß um etwa 53 Prozent
       mindern muss – fast genau die 55 Prozent, die die Regierung ohnehin
       anpeilt. Damit ist dieses nationale Ziel völkerrechtlich verbindlich. Hinzu
       kommt: Allen ist klar, dass die Klimapläne der Staaten nicht ausreichen.
       „Um das Versprechen von Paris zu erreichen, den Klimawandel deutlich unter
       2 Grad zu halten, muss auch die EU noch deutlich ambitioniertere Ziele
       beschließen und umsetzen“, sagt Susanne Dröge, Klimaexpertin der Stiftung
       Wissenschaft und Politik (SWP). Dann würde sich der deutsche Anteil
       ebenfalls noch mal erhöhen. Und dann kommt auch noch der Brexit – auch da
       wird Deutschland einen Teil der ausfallenden Reduzierungen übernehmen
       müssen.
       
       „Es ist nichts gewonnen, wenn wir Kohlekraftwerke in Deutschland
       abschalten, um anschließend Kohlestrom aus Polen zu importieren oder
       Kernenergie aus Frankreich“, FDP-Vorsitzender Christian Lindner,
       [2][„Tagesschau“, 5. November]. 
       
       In Deutschland gibt es derzeit nicht zu wenig, sondern zu viele Kapazitäten
       für die Stromerzeugung: Laut Bundesnetzagentur 107 Gigawatt an
       konventionellen Kraftwerken. Der maximale Bedarf liegt bei etwa 80 GW – es
       gibt also ein Polster von 27 GW, die auch durch das Aus für den Atomstrom
       (13 GW) und die 20 dreckigsten Kohlekraftwerke (9 GW) nicht verschwinden
       würden. Selbst mit Atomausstieg und dem Aus für die größten
       Dreckschleudern, das die Grünen vorschlagen, bliebe Deutschland ein
       Stromexporteur. Kurzfristige Importe zur Versorgungssicherheit aus dem
       Ausland kommen aber nicht aus Kohle oder Atom, sondern eher aus
       Gaskraftwerken. Bisher exportiert Deutschland unter dem Strich fast 9
       Prozent seines Stroms, 2015 waren das insgesamt 52 Terrawattstunden (TWh,
       Billionen Wattstunden). Ein schneller Totalausstieg aus der Kohle, den die
       Grünen in den Sondierungen aber nicht fordern, würde tatsächlich dazu
       führen, dass Deutschland für ein Jahrzehnt Strom importieren müsste. Das
       zeigt das Gutachten „Kohleausstieg 2035“ von Öko-Institut und prognos im
       Auftrag des WWF. Der Import läge zwischen 1 und 5 Prozent des Strombedarfs.
       Und würde sich ab 2030 wieder in einen Exportüberschuss von etwa 10 Prozent
       verwandeln.
       
       „Die Ziele von 2020 kann niemand erreichen, ohne dass wir derart massiv
       Betriebe in Deutschland stilllegen, nicht nur energieerzeugende Betriebe,
       sondern auch Industriebetriebe, dass das einem industriellen Selbstmord
       gleichkäme“, Alexander Graf Lambsdorff, stellvertretender
       FDP-Fraktionsvorsitzender, [3][Deutschlandradio, 5. November]. 
       
       Das Ziel für 2020 ist tatsächlich kaum noch zu erreichen. Aber für diese
       Vorgabe Fabriken stillzulegen ist von niemandem gefordert worden. 2014
       beschloss die Große Koalition das „Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“. Darin
       ist nur die Rede von besserem Emissionshandel, Stilllegung von Kraftwerken,
       mehr Effizienz, Wärmedämmung, Elektromobilität. Für die Organisation der
       Industriestaaten (OECD) ist Klimaschutz keine Wachstumsbremse, im
       Gegenteil: Weltweit könnte 2021 das Wachstum um einen Prozentpunkt höher
       sein als ohne Klimaanstrengungen, ergab ein Gutachten in diesem Jahr. „Noch
       2010 war Grün und Wachstum für viele ein Gegensatz. Heute können wir die
       Weltwirtschaft mit den Klimazielen wiederaufrichten“, sagte
       OECD-Generalsekretär José Ángel Gurría. Und das
       Bundeswirtschaftsministerium warnt, ein ungebremster Klimawandel bedrohe
       auch die deutsche Wirtschaft, wenn Importe von Rohstoffen und
       Nahrungsmitteln oder Exporte deutscher Produkte durch Wetterextreme
       unterbrochen würden.
       
       „Die EEG-Umlage von heute hat dazu geführt, dass die Strompreise in
       Deutschland mit die höchsten in den Industrieländern sind und sich zu einer
       Standortgefahr entwickelt haben“, Hermann Otto Solms, Energieexperte,
       [4][in einer FDP-Pressemitteilung, 12. Oktober]. 
       
       Es stimmt, dass der Strom für private Haushalte zu den teuersten in Europa
       gehört. Mit rund 29 Cent pro Kilowattstunde liegt Deutschland hier laut
       EU-Statistik auf dem zweiten Platz hinter Dänemark. Ob aber die Strompreise
       eine „Standortgefahr“ darstellen, entscheidet sich am Preis für
       Unternehmen. Und da zeigt sich ein anderes Bild: Industrielle
       Großverbraucher, bei denen der Strompreis ein relevanter Faktor ist, zahlen
       nach Informationen des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft
       (BDEW) unter 8 Cent pro Kilowattstunde. Denn sie sind von Steuern und
       Abgaben zum Großteil befreit, auch von der EEG-Umlage, über die der Ausbau
       der erneuerbaren Energien finanziert wird. Nach einer Analyse des
       Fraunhofer-Forschungsinstituts für Innovations- und Strukturpolitik im
       Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums liegen die Strompreise für die
       energieintensive Industrie in Deutschland daher niedriger als etwa in
       Großbritannien, Italien oder Japan. Tatsächlich profitieren die
       Großverbraucher von der Energiewende, denn der Strom an der Börse ist dank
       der Zunahme von Ökostrom in den letzten Jahren stark gesunken. Die Preise
       für die Industrie liegen heute 20 Prozent niedriger als noch 2011.
       
       „Es wäre sinnvoll, wir sorgten dafür, dass der CO2-Ausstoß beispielsweise
       in Indonesien, China oder Brasilien vermieden wird“, Alexander Graf
       Lambsdorff, [5][Deutschlandradio, 5. November]. 
       
       Unternehmen aus den Industrieländern finanzieren Klimaschutz in den
       Entwicklungsländern und lassen sich diese Erfolge anschreiben – das war die
       Idee von „Clean Development Mechanism“ (CDM) und „Joint Implementation“
       (JI) unter dem Kioto-Protokoll. Das Problem: CDM und JI sind irrelevant
       und verschwinden 2020, denn sie haben praktisch nichts zum Klimaschutz
       beigetragen. Dafür haben sie den Europäischen Emissionshandel so
       aufgebläht, dass er praktisch nicht mehr funktioniert. Als Konsequenz hat
       die EU ausdrücklich festgelegt, ihr Klimaziel (minus 40 Prozent bis 2030)
       durch „heimische“ Maßnahmen zu erbringen. Für Unternehmen sind deshalb
       solche Zertifikate wertlos. Die Debatte darüber, welche dieser
       „Marktmechanismen“ unter dem Pariser Abkommen möglich wären, wird noch
       viele Jahre dauern. „Der Markt könnte hier ein Rolle spielen“, sagt Susanne
       Dröge, Klimaexpertin von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), „aber
       das alte System läuft aus und ein neues ist noch nicht zu erkennen. Man
       merkt, dass die FDP nicht auf der Höhe der Debatte ist.“
       
       „Die Strombörse am vergangenen Freitag: Von 17 bis 18 Uhr gab es in
       Deutschland 0 Gigawatt Photovoltaik, 0 Gigawatt Wind und 100 Prozent Strom
       aus konventioneller Energie (…). Wie würde diese Lücke geschlossen (…)?
       Wir können ja nicht eine Stunde einfach den Strom abschalten“, Christian
       Lindner [6][auf einer Pressekonferenz am 6. November]. 
       
       Diese Werte stimmen nicht. Für Freitag, den 3. November zeigt die auf
       offiziellen Werten beruhende Übersicht des Fraunhofer Instituts ISE für
       diesen Zeitraum eine Leistung von jeweils 6 Gigawatt Wind und Biomasse, 3
       GW Wasserkraft und 4 GW Pumpspeicher. Kohle. Atom und Gas lieferten also
       etwa 75 Prozent des Stroms. Lindner wollte mit den Zahlen deutlich machen,
       dass eine Abschaltung alter Kohlekraftwerke, die die Grünen fordern, die
       Versorgungssicherheit gefährde. Dafür aber gibt es auch ohne die alten
       Braunkohlemeiler noch genügend Kapazitäten (siehe Antwort 2). Allerdings
       ist Lindner offenbar bereit, in den Sondierungen über marktwirtschaftliche
       Instrumente zum Klimaschutz zu reden. „CO2 braucht überall einen Preis,
       damit wir die Innovationsmaschine des Marktes anwerfen können, neue
       Technologien zur Energiespeicherung ins Spiel zu bringen“, sagte er
       gegenüber dem Spiegel. Das werde den Einsatz von Kohle“ automatisch,
       effizient und sozial verträglich“ sinken lassen. Einen CO2-Preis wollen
       auch die Grünen.
       
       „Wir haben jetzt schon Probleme mit der Versorgungssicherheit. Bei manchen
       Unternehmen flackert das Stromnetz und gefährdet damit die Produktion, weil
       der Strommix aus den Erneuerbaren in Stoßzeiten nicht ausreicht. Wenn wir
       die Kohle jetzt parallel zur Kernenergie aus dem Stronetz rausnehmen,
       müssen wir mit flächendeckenden Blackouts rechnen“, Nicola Beer,
       FDP-Generalsekretärin, [7][Huffington Post, 7. November]. 
       
       In Deutschland fällt der Strom an jedem Anschluss im Schnitt knapp 13
       Minuten pro Jahr aus. Das ist der niedrigste Wert in Europa (Frankreich:
       dreimal so hoch) und er ist mit dem Ausbau der Erneuerbaren stark gesunken.
       2006 waren es noch durchschnittlich 22 Minuten. „Die
       Stromversorgungsqualität in Deutschland ist seit Jahren auf einem konstant
       hohen Niveau“, sagte Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur, im
       September. Auf die Versorgungssicherheit habe „die Energiewende mit einer
       zunehmend dezentralen Erzeugung von Strom keine negativen Auswirkungen“,
       erklärte Homann – der übrigens von dem ehemaligen FDP-Wirtschaftsminister
       Philipp Rösler eingesetzt wurde. Auch das Beratungsunternehmen McKinsey,
       das alle sechs Monate den Erfolg der Energiewende überprüft, kommt, was
       Versorgungssicherheit angeht, zu besonders positiven Werten: Bei
       Stromausfällen und gesicherten Reservemengen der Kraftwerke sieht McKinsey
       alles im grünen Bereich.
       
       12 Nov 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.liberale.de/content/fdp-steht-zum-pariser-klimaschutzabkommen
   DIR [2] https://www.tagesschau.de/inland/habeck-jamaika-bericht-aus-berlin-101.html
   DIR [3] http://www.deutschlandfunk.de/alexander-graf-lambsdorff-das-kaeme-einem-industriellen.868.de.html?dram%3Aarticle_id=399890
   DIR [4] https://www.liberale.de/content/mit-der-umsetzung-der-energiewende-koennen-klimaziele-nicht-erreicht-werden
   DIR [5] http://www.deutschlandfunk.de/alexander-graf-lambsdorff-das-kaeme-einem-industriellen.868.de.html?dram%3Aarticle_id=399890
   DIR [6] https://youtu.be/TqtLsKMMBkc?t=4m
   DIR [7] http://www.huffingtonpost.de/2017/11/07/beer-fdp-gruene_n_18480418.html?utm_hp_ref=politik
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Pötter
   DIR Malte Kreutzfeldt
       
       ## TAGS
       
   DIR Lesestück Meinung und Analyse
   DIR Jamaika-Koalition
   DIR FDP
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Umweltpolitik
   DIR Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)
   DIR Jamaika-Koalition
   DIR Sondierung
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
   DIR Jamaika-Koalition
   DIR Jamaika-Koalition
   DIR Jamaika-Koalition
   DIR Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
   DIR Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Debatte Erneuerbare Energien: EEG abschaffen, CO2-Steuer einführen
       
       Das Erneuerbare-Energie-Gesetz sollte abgewickelt und stattdessen eine
       CO2-Steuer beschlossen werden. So könnte die Kohle verdrängt werden.
       
   DIR Kommentar Jamaika und Klimapolitik: Das Paris-Abkommen zeigt Wirkung
       
       Auf der Klimakonferenz werden radikale Maßnahmen der Politik gefordert. Die
       Aussicht, als Versager dazustehen, erhöht den Druck auf Deutschland.
       
   DIR Jamaika-Sondierungen zum Klima: Tücke mit der Lücke
       
       Über das Klimaziel für 2020 herrscht Einigkeit. Wie viele Kraftwerke
       abgeschaltet werden müssen, ist zwischen Schwarz-Gelb und Grün umstritten.
       
   DIR Jamaika-Sondierungen und Atomwaffen: Man kann ja mal drüber reden
       
       Auf der langen Liste strittiger Fragen, auf die die Jamaika-Sondierer eine
       Antwort finden müssen, steht auch eine alte grüne Forderung:
       „Atomwaffenabzug“.
       
   DIR Verhandlungen zur Jamaika-Koalition: Der smarte Mister X
       
       Christian Lindner ist die unbekannte Größe bei den Jamaika-Verhandlungen.
       Wenn jemand das Bündnis platzen lässt, dann er.
       
   DIR Sondierungen der Regierungskoalition: Angespanntes Jamaika-Klima
       
       Zum Start der zweiten Sondierungsrunde warnt Angela Merkel davor, mit
       Neuwahl zu drohen. Die Unterhändler zeigen Kompromissbereitschaft.
       
   DIR Essay Jamaika-Sondierungen und Klima: Wir brauchen die echte schwarze Null
       
       FDP, Union und viele Medien tun so, als sei Klimapolitik ein grünes
       Partikularinteresse. Das ist falsch. Klimaschutz ist eine Aufgabe für alle.
       
   DIR Sondierungen für Jamaika: Merkels Machtwörtchen
       
       Lange hat die Kanzlerin die Gespräche abwartend verfolgt. Nach dem fast
       ergebnislosen Ende der ersten Runde spricht sie.
       
   DIR Schwierige Jamaika-Sondierungen: Keine Einigung, nirgends
       
       Die Unterhändler verabschieden Papiere zu den Themen Landwirtschaft bis
       Klima. Diese zeigen, wie wenig sie bisher vorangekommen sind.
       
   DIR Schwierige Jamaika-Verhandlungen: Turbulenzen im Binnenklima
       
       Bei den Sondierungen zwischen Union, FDP und Grünen knirscht es mächtig.
       Grund ist vor allem ein grober Webfehler in der Kommunikation.