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       # taz.de -- Kontrolle für Zigarettenindustrie: Berlin lobbyiert für Tabak
       
       > Die Bundesregierung unternimmt in Brüssel alles, um den Einfluss der
       > Zigarettenkonzerne auf die Schmuggelkontrolle zu stärken.
       
   IMG Bild: Schmecken gut, sind aber weniger gesund
       
       Berlin taz | In Brüssel verhandeln derzeit die Fachminister der
       Mitgliedsstaaten im Rat über die letzten technischen Details eines
       Kontrollmechanismus für Tabakwaren, der ab Mai 2019 EU-weit angewendet
       werden soll. Es soll den Schmuggel der Raucherzeugnisse verhindern, durch
       den laut EU-Kommission den Mitgliedsstaaten jedes Jahr zehn Milliarden Euro
       an Steuereinnahmen verloren gehen.
       
       Die taz hat erfahren, dass sich die deutschen Vertreter in Brüssel für die
       in der Tabakindustrie gängige ISO-Industrienormen einsetzen, um künftig die
       komplette Transportkette von Tabakwaren zurückverfolgen zu können.
       Unterstützung für dieses Vorhaben kommt unter anderem aus Österreich, Polen
       und Ungarn.
       
       Das Pikante daran: Die Industrie ist in jüngster Zeit immer wieder der
       Mitwirkung am Schmuggel überführt worden. Vinayak Mohan Prasad, Leiter des
       Anti-Tabak-Programms der Weltgesundheitsorgansation WHO, ärgern die in
       Brüssel diskutierten Pläne, weil sie die den Schmuggel wahrscheinlich
       erleichtern würden. „In den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren waren alle
       großen Zigarettenfirmen am Schmuggel beteiligt“, sagt Prasad zur taz. Das
       Interesse der Industrie, den Schmuggel wenigstens nicht zu erschweren, ist
       für Experten wie ihn offensichtlich: Damit können Steuern gespart und vor
       allem auch Jüngere an zum Zigarettenkonsum verführt werden.
       
       Wie nah die Deutschen der Zigarettenindustrie sind, verdeutlicht ein
       bislang unbekanntes Pilotprojekt. Die Anti-Tabak-Initiative „Smoke Free
       Partnership“ machte die taz darauf aufmerksam. Der taz vorliegenden
       Unterlagen nach erstellte im Sommer 2016 die Bundesdruckerei eine
       Präsentation zum Thema Rückverfolgung von Tabakwaren nach EU-Vorgaben. In
       den Unterlagen ist die Tabakindustrie ausdrücklich als „Partner“
       aufgeführt. Für Vorgaben genau dieser Art machte sich in Brüssel das
       Berliner Agrarministerium (BMEL) stark.
       
       Tabakprodukte sollen danach künftig von den klassischen Steuermarken auf
       Zigaretten- oder Tabakpackungen ausgenommen werden. Stattdessen setze man
       „auf Grund der Bedürfnisse der Industrie“ auf durch die ISO-Norm definierte
       sogenannte UID-Codes. Diese Codes werden in vielen Ländern von den
       Tabakkonzernen in Kleinschrift auf die Verpackungen gedruckt. Für viele
       Experten gelten sie als nicht fälschungssicher und als wenig zuverlässig,
       um die Herkunft von Zigaretten zurückzuverfolgen. Für die Industrie hätten
       die UID-Codes allerdings den Vorteil, dass sie ihre bisherige Praxis
       beibehalten kann.
       
       Bundesdruckerei und BMEL bestätigen die Existenz des Pilotprojekts, wollten
       sich aber mit Verweis auf die Verhandlungen in Brüssel nicht weiter äußern.
       Auch die betroffenen vier weltgrößten Tabakkonzerne (Philip Morris, Japan
       Tobacco, British American Tobacco, Imperial Tobacco) kommentierten die
       jüngsten Entwicklungen nicht.
       
       Voraussichtlich am kommenden Mittwoch soll in Brüssel abschließend über den
       neuen Standard der Schmuggelkontrolle beraten werden. Seit Jahren schon
       tobt hinter den Kulissen ein Lobbykampf zwischen Anbietern unabhängiger
       Kontrollsysteme wie dem des Schweizer Konzerns SICPA und dem der
       Tabakindustrie, die ihr eigenes Kontrollsystem namens Codentify durchsetzen
       möchte.
       
       10 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Robert Schmidt
       
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