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       # taz.de -- Kolumne Psycho: Ausgrenzung unter Profis
       
       > Auch Psychologen sind nicht immun gegen psychische Probleme. Dass sie
       > allerdings von Kollegen stigmatisiert werden, ist erstaunlich.
       
   IMG Bild: Ein wunder Punkt – alias ein Psychologe mit psychischer Störung
       
       Eine befreundete Psychologin, die selbst eine Angststörung hat, schickte
       mir neulich [1][einen Artikel] über Stigmatisierung von Menschen mit
       psychischer Erkrankung. Erzähl mir was Neues, dachte ich, klickte – und
       staunte. Denn die Betroffenen, um die es in dem Text geht, sind selbst
       Psychiater oder Psychologen. Und stigmatisiert werden sie, tadaa: von ihren
       Kolleginnen und Kollegen.
       
       Dass Psychologen nicht vor psychischen Problemen gefeit sind, dürfte
       niemanden wundern, der mal die Zahlen der insgesamt Betroffenen
       überschlagen hat. Und nur weil jemand Psychologie studiert hat, ist er noch
       lange nicht immun gegen Depressionen, bipolare Störungen oder
       Angsterkrankungen. [2][Laut einer Studie] ist sogar das Gegenteil der Fall:
       Psychologen leiden häufiger an Depressionen als der Rest der Bevölkerung.
       Dass allerdings in den eigenen Reihen Ablehnung und Ausgrenzung
       vorherrschen, klingt erst mal so absurd wie die Leugnung des Klimawandels.
       
       Gerade dort, wo der Umgang mit psychischen Störungen an der Tagesordnung
       ist, wo Akzeptanz gepredigt wird und Empathie, wo es darum geht,
       Patientinnen und Patienten nicht zu verurteilen, damit die gemeinsame
       Arbeit eine stabile Basis bekommt, gerade dort wird also all das mit Füßen
       getreten, sobald es sich um eine Kollegin oder einen Kollegen handelt. Das
       ist doch – mit Verlaub – schizophren. Und nein, das meine ich nicht im
       pathologischen Sinn.
       
       Um zu erklären, warum Profis ihre psychische Erkrankung lieber geheim
       halten, zitiert die Autorin des Textes eine Erhebung schwedischer Forscher
       aus dem Jahr 2011. Laut dieser halten die meisten Mediziner, Krankenpfleger
       und Sozialarbeiter, die in der Psychiatrie arbeiten, außerhalb der Klinik
       lieber Distanz zu Betroffenen, würden jemandem mit psychiatrischer
       Erkrankung eine Jobstelle lieber nicht geben oder sich nicht mit ihnen
       verabreden. Klar, sind halt auch nur Menschen mit Vorurteilen, aber sollten
       nicht gerade sie es besser wissen?
       
       Überträgt man diese Haltung auf andere Berufe, dürften etwa Hebammen keine
       Kinder bekommen, ohne Stigmatisierung fürchten zu müssen. Ein schiefer
       Vergleich? Ach, richtig: Kinder kriegen ist ja keine Schwäche, im Gegensatz
       zu einer psychischen Krankheit. Oder wie soll man das sonst verstehen?
       
       Dabei könnte man eine psychische Störung auch als Krise sehen, an der man
       wächst und die ein größeres Ausmaß an Empathie gegenüber Patienten zulässt,
       die mit den gleichen Problem zu kämpfen haben. Mal abgesehen davon, dass
       die sich besser verstanden fühlen, wenn ihr Gegenüber etwas Ähnliches
       durchgemacht hat wie sie selbst.
       
       Nicht dass wir uns falsch verstehen: Natürlich müssen – wie in allen
       anderen Berufen auch – Konsequenzen gezogen werden, wenn der Therapeut
       durch seine Krankheit andere gefährdet. Aber das, worum es hier geht,
       beginnt ja viel früher. In der Wirtschaft werden Krisen übrigens nicht als
       Scheitern gesehen, sondern als Anlass zu Entwicklung. Nennt sich Resilienz
       und ist ein Begriff aus der Psychologie. Aber das wissen die Psychologen
       natürlich selbst. Theoretisch jedenfalls.
       
       8 Dec 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.berliner-zeitung.de/wissen/tabuthema-wenn-der-psychiater-selbst-seelisch-krank-ist-28645068?originalReferrer=https%3A%2F%2Fl.facebook.com%2F
   DIR [2] https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article11238994/Nervenheiler-kaempfen-oft-selbst-mit-Depressionen.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Franziska Seyboldt
       
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