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       # taz.de -- Borussia Dortmund gewinnt nicht mehr: Mit Erbsensuppe gegen die BVB-Krise
       
       > Es war einmal ein wohlhabender Fußballverein, der wollte Bayern München
       > jagen. Doch der BVB steckt in der Krise. Was ist da los?
       
   IMG Bild: Es gelingt einfach kein Sieg mehr: Trainer Peter Bosz unter Druck
       
       Dortmund taz | Am östlichen Rand des Bittermärker Waldes kreuzt die
       Autobahn 45 die Bundesstraße 54. Tag und Nacht dröhnt hier der Verkehr, wie
       überall auf den Schnellstraßen im Ruhrpott. Aber der Wald schluckt den
       Lärm, auch deshalb lässt es sich im Dortmunder Süden sehr gut leben. Das
       herrliche Ruhrtal ist nah, die sogenannte Fressmeile mit vielen guten
       Restaurants auch. Die Grundstücke sind groß, die Häuser schön, die Sorgen
       gering.
       
       Manche Menschen aus dem Dortmunder Süden rufen schon bei der lokalen
       Zeitung an, wenn die Äste von Bäumen auf dem Nachbargrundstück in ihre
       Hecke ragen. Wenn der Nachbar, in diesem Fall war es der ehemalige, dann
       auch noch ein prominenter Fußballer ist, werden den Sorgen 80 Zeilen
       gegönnt.
       
       Pierre-Emerick Aubameyang, einer der besten Fußballer von Borussia Dortmund
       und ein extravaganter dazu, ließ die Äste sofort stutzen, nachdem er von
       der Bedrohung der Hecken erfahren hatte. Christel K., eine ältere Frau, war
       ihre Sorge los und sagte, dass Herr Aubameyang ja ohnehin immer ein
       angenehmer Nachbar gewesen sei.
       
       Wenn sich alle Probleme von Herrn Aubameyang und seinem Arbeitgeber so
       einfach lösen ließen, wären sie bei Borussia Dortmund glücklich.
       
       ## Schlimmer als jede Niederlage: das 4:4 gegen Schalke
       
       Der hoch gelobte Verein steckt in einer ausgewachsenen Krise. Von wegen
       Bayern-Verfolger: Die Mannschaft gewann nur eines ihrer vergangenen zehn
       Spiele in den verschiedenen Wettbewerben, und das war gegen den 1. FC
       Magdeburg, einen Klub aus der 3. Liga. Schlimmer als jede Niederlage war
       jedoch das Unentschieden gegen den ewigen Konkurrenten FC Schalke 04.
       
       Dortmunder und Schalker wünschen sich, dass die Hecken des jeweils anderen
       vertrocknen. Wer das Schwarz-Gelb der Borussia trägt, muss das Königsblau
       der Schalker aus Gelsenkirchen verabscheuen – und umgekehrt. Das geht schon
       seit Generationen so.
       
       Am vergangenen Samstag schienen die Dortmunder auf dem Weg aus der Krise
       auf Wolke sieben. Sie führten zur Halbzeitpause mit 4:0 gegen Schalke. Dann
       brachen sie ein. Schalke schaffte noch ein 4:4.
       
       Am nächsten Tag treffen sich die Mitglieder der Borussia in einer der
       Westfalenhallen. Es gibt Erbsensuppe, den Kassenbericht und Ehrungen. Vor
       allem aber sind die Mitglieder gespannt auf die Rede von Hans-Joachim
       Watzke, dem Geschäftsführer des einzigen deutschen Fußballunternehmens, das
       an der Börse notiert ist. „Ich habe mich gestern Abend genauso beschissen
       gefühlt wie ihr alle“, beginnt Watzke seine Rede. Damit hat er die Menge
       schon eingefangen.
       
       Zu den Versammlungen der Mitglieder und am Folgetag der Aktionäre gehören
       Watzkes Sticheleien gegen Schalke wie die Erbsensuppe mit Wursteinlage. Das
       Spiel gibt nichts her, um den Nachbarn zu kitzeln, der auch in der Tabelle
       vor den Dortmundern steht. Also werden „die letzten zehn Jahre“ betrachtet,
       in denen der Ballspielverein Borussia (BVB) „100 Punkte mehr“ geholt habe
       und zweimal Meister geworden sei. Wenn die Schalker das in den nächsten
       zehn Jahren schafften, würde er „nach Rheda fahren und gratulieren“. In
       Rheda-Wiedenbrück wohnt Clemens Tönnies, mächtiger
       Aufsichtsratsvorsitzender des FC Schalke 04.
       
       ## Vom Pleiteverein zur 400-Millionen-Euro-AG
       
       Hans-Joachim Watzke, 58 Jahre alt, CDU-Mitglied aus dem Sauerland, wurde
       Geschäftsführer bei der Borussia Dortmund Kommanditgesellschaft auf Aktien,
       als diese kurz vor der Pleite stand. „Wir lagen im Vorzimmer der
       Pathologie“, sagt er über das Frühjahr 2005, als Gläubiger auf viel Geld
       verzichteten, um die Insolvenz zu vermeiden, bei der sie leer ausgegangen
       wären.
       
       Am Montag treffen sich die Aktionäre eines kerngesunden Unternehmens, das
       mehr als 400 Millionen Euro Umsatz im abgelaufenen Geschäftsjahr machte.
       Der BVB ist die Nummer zwei in Deutschland, nach Bayern München. Aber die
       Verlustängste sind groß und berechtigt. Die Champions League ist der
       Schlüssel, um die Position zu behaupten. In der europäischen Eliteliga wird
       viel Geld verdient, sie lockt Sponsoren an und die guten Spieler. Doch wenn
       im Frühjahr die K.-o.-Phase beginnt, wird der BVB dort fehlen, auch weil er
       gegen die vielleicht gerade mal zweitklassige Mannschaft von Apoel Nikosia
       nur zwei Unentschieden schaffte. Es sind die bislang einzigen beiden
       Punkte. Gegen die richtig guten Mannschaften verloren die Dortmunder
       jeweils. „Das ist schlicht und ergreifend nicht zu ertragen“, brüllt Watzke
       in das Mikrofon.
       
       Trainer Peter Bosz und der Spielerrat hören in den ersten Reihen zu. Sie
       müssen in der Bundesliga mindestens Vierter werden, um auch in der
       kommenden Saison wieder in der Champions League spielen zu dürfen. Derzeit
       sind sie Fünfter, in der aktuellen Verfassung ist es wahrscheinlich, dass
       der BVB bis zur Winterpause noch weiter abrutscht. Auch das ist für Watzke
       nicht zu ertragen. Dem Trainer empfiehlt er während der Versammlung, „alles
       auf den Prüfstand zu stellen, um wieder in die Spur zu kommen“. Sonst wird
       er seinen Job verlieren. Das sagt Watzke zwar nicht. Aber so läuft das im
       Fußball.
       
       Der Platz als Sanierer des Klubs ist Watzke in der Vereinsgeschichte
       sicher. Er wird auch immer derjenige bleiben, der Jürgen Klopp
       verpflichtete. Nach zwei Fehlgriffen holte Watzke zusammen mit
       Sportdirektor Michael Zorc 2008 den Trainer, der für sechs seiner sieben
       Jahre in Dortmund Erfolg haben sollte. Er war der Entertainer, der an der
       Seitenlinie nach Toren ausflippte und Schiedsrichtern mit fletschenden
       Zähnen gegenüberstand. Er polarisierte. Die Dortmunder Fans huldigten ihm,
       viele tun es heute noch. Auch Watzke.
       
       ## Von Klopp über Tuchel zu Bosz
       
       Als Klopp ging, kam Thomas Tuchel. Watzke wusste, dass er es nun mit einem
       ganz anderen Menschen zu tun bekommen würde. Er dachte wohl, dass er ihn
       sich zurechtbiegen könnte, aber das war eine grobe Fehleinschätzung. Tuchel
       wurde nach der vergangenen Saison entlassen, obwohl er mit dem BVB den
       Pokal gewann und zwei Jahre ohne Heimniederlage in der Bundesliga blieb.
       
       Die Trennung war schmutzig, sie setzte Watzke zu in einer Phase, die
       ohnehin enorm belastend für ihn, Tuchel und die Mannschaft war. Denn im
       April, bei der Abfahrt zu einem Spiel in der Champions League, zündete ein
       Attentäter drei Bomben. Er wollte möglichst viele Insassen des
       Mannschaftsbusses töten, um dann bei sinkenden Aktienkursen Gewinn zu
       machen. Der perverse Plan scheiterte, aber es gab Verletzte und
       traumatisierte Spieler.
       
       „Ich habe mich bei Experten für posttraumatische Erfahrungen erkundigt“,
       sagt Watzke bei der Aktionärsversammlung, „sie sagten mir, dass die Folgen
       nach sechs, sieben Monaten am schlimmsten sein könnten.“
       
       Der Anschlag ist eine Erklärung für die sportliche Krise. Es gibt sicher
       noch weitere. Bei der Suche rückt im Fußball stets der Trainer in den
       Blickpunkt. So ist es auch dieses Mal bei Borussia Dortmund. Peter Bosz, 54
       Jahre alter Niederländer, kam als Nachfolger von Tuchel. Er brachte eine
       Idee mit, die attraktiven Fußball versprach, wenn auch mit erhöhtem Risiko
       in der Abwehr. Zu Beginn ging alles gut. Dortmund schoss viele Tore,
       kassierte keine, war Tabellenführer. Die Fans sangen: „Deutscher Meister
       wird nur der BVB!“ Es war noch früh in der Saison, aber trotzdem mehr als
       eine Spinnerei.
       
       Dann wurden die Gegner stärker, die Borussia verlor. Sogar die beiden
       Aufsteiger in der Bundesliga feierten Siege gegen den BVB. Auffällig ist,
       dass die Dortmunder zuletzt in der ersten Halbzeit stets deutlich besser
       spielten als in der zweiten. Die Zuschauer und Reporter machen auch
       körperliche Defizite der Spieler dafür verantwortlich. Schon im Sommer,
       nach dem Trainingslager in der Schweiz, wunderten sich manche über die
       geringe Belastung der Spieler im Training. Der Trainer stellte es als einen
       Plan dar, er streitet bis heute körperliche Defizite ab. Es sei „das
       Vertrauen“, das verloren gehe, wenn der Gegner ein Tor schieße.
       
       ## Aubameyang kann am Samstag seine Hecke schneiden
       
       Einer der wenigen Spieler, die regelmäßig überzeugten, war Mario Götze. Er
       schoss Deutschland 2014 mit einem Tor zur Weltmeisterschaft, kehrte 2016
       von den Bayern zu seinem Ausbildungsverein zurück. Alles sollte besser
       werden, aber dann fiel er lange aus. Jetzt, als er wieder auf einem guten
       Weg war und gegen Schalke nach langer Zeit sogar mal wieder ein Tor schoss,
       zwingt ihn eine Verletzung zum Pausieren bis Jahresende.
       
       Auch Herr Aubameyang wird am Samstag fehlen, wenn Borussia Dortmund bei
       Bayer Leverkusen antritt. Er flog gegen Schalke vom Platz.
       
       2 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marcus Bark
       
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