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       # taz.de -- Afrikanische Befreiungsbewegungen: Mut zur Veränderung
       
       > Der Umsturz in Simbabwe wurzelt tief in der Geschichte und ist weit mehr
       > als ein nationaler Umsturz. Er ist ein Hoffnungszeichen für ganz Afrika.
       
   IMG Bild: Der Widerstand gegen Mugabe hatte eine lange Vorgeschichte
       
       Es ist ein Drama, wie es William Shakespeare nicht besser hätte erfinden
       können. Robert Mugabe, der ehrwürdige alternde Präsident, der nicht von der
       Macht lassen kann und in geistige Umnachtung abdriftet. Grace Mugabe, die
       ehrgeizige, skrupellose Ehefrau, die nach dem obersten Staatsamt greift und
       alle Rivalen aus dem Weg räumt. Constantino Chiwenga, der treue General,
       der dieses unwürdige Spiel durchkreuzt. Und Emmerson Mnangagwa, der stolze
       Stellvertreter, der immer die Drecksarbeit gemacht hat, von der Frau
       weggebissen wurde und am Ende als strahlender Sieger in den Palast
       einzieht.
       
       Der spektakuläre Umsturz in Simbabwe folgt einem Drehbuch, das so alt ist
       wie die Menschheitsgeschichte. Aber was die Weltöffentlichkeit zu sehen
       bekommen hat, war nur der letzte Akt. Der Machtwechsel kündigte sich schon
       viel früher an. Und anders als bei Shakespeare haben auch die Zuschauer an
       dem Spiel Anteil genommen und im rechten Moment die Bühne gestürmt. Darin
       verbirgt sich eine ermutigende und wichtige Lektion für den Kampf für
       Freiheit und Demokratie in ganz Afrika.
       
       Simbabwes Jubeldemonstrationen vom 18. November, als landesweit drei
       Millionen Menschen auf die Straße gingen, waren möglicherweise
       entscheidend. Zu Beginn ihres Putsches, drei Tage zuvor hatten die
       Armeeführer noch betont, sie würden Mugabe nicht stürzen, sondern nur
       „Verbrecher in seinem Umfeld“ beseitigen. Aber eine Revolution lässt sich
       selten auf halbem Wege aufhalten. Als das Volk millionenfach Mugabes Abgang
       forderte und dabei der Armee zujubelte, gab es auch für die Generäle kein
       Zurück mehr. Wer die Stützen eines Unrechtsregimes beseitigt, muss auch die
       Trümmer aufräumen.
       
       Das Volk machte sich den Militärputsch zu eigen und führte ihn zu seiner
       logischen Vollendung, während die Generäle noch zögerten. In einem Land,
       dessen Militär die Waffen schon mal bedenkenlos auf das eigene Volk
       richtet, erfordert das sehr viel Mut.
       
       Woher kommt dieser Mut, nach Jahrzehnten brutaler Unterdrückung? Um das zu
       verstehen, muss man hinter die Kulissen der Politik blicken. Schon als
       Simbabwes Regierungspartei Zanu (Zimbabwe African National Union) in den
       1960er Jahre als bewaffnete Untergrundarmee im Exil entstand, mit Robert
       Mugabe als ihrem politischen Führer und Emmerson Mnangagwa als einem ihrer
       ersten Soldaten, wussten diese damals jungen Nationalisten, dass die
       verelendete schwarze Landbevölkerung niemals einfach so in den Krieg gegen
       eine übermächtige weiße Siedlerregierung ziehen würde, die von sich selbst
       sagte, sie werde noch tausend Jahre herrschen.
       
       ## Lebendige Erinnerung an den Widerstand
       
       Was die schwarzen Afrikaner mobilisierte, war die eigene Geschichte, aus
       der sich eine eigene Zukunft ableiten ließ. Ende des 19. Jahrhunderts
       hatten die Völker der Shona und Ndebele jahrelang bewaffneten Widerstand
       gegen die koloniale Besetzung geleistet – im sogenannten Chimurenga-Krieg,
       benannt nach Murenga, dem Shona-Urahnen. Die Briten hatten den Widerstand
       gebrochen, aber die Erinnerung daran blieb lebendig – im Untergrund und im
       schwarzen Alltag, außerhalb des Wahrnehmungsfeldes der Weißen. Nach siebzig
       Jahren kam nun die Zanu-Guerilla und rief den Zweiten Chimurenga-Krieg aus,
       um die Schmach der Niederlage auszugleichen.
       
       In der Geschichte Simbabwes sind spirit mediums sehr wichtig –
       Geisterbeschwörer, die Kontakt zu den Ahnen beanspruchen, alte
       Überlieferungen wahren und daraus Handlungsvorgaben für die Gegenwart und
       Weissagungen für die Zukunft ableiten. Sie hielten die Erinnerung an
       vorkoloniale Zeiten lebendig und sie wurden zu propagandistischen
       Vorreitern des Befreiungskrieges, der sich ganz bewusst in die Tradition
       des früheren antikolonialen Widerstands gestellt hatte.
       
       Der Respekt vor dem spirit medium ist kein exotischer Aberglaube oder ein
       Beweis für afrikanische Rückständigkeit, sondern eine verbreitete Reaktion
       auf extreme Gewalt in solchen afrikanischen Gesellschaften, die nicht nur
       unter europäische Kolonialherrschaft fielen, sondern auch von Weißen
       besiedelt wurden. Wo fremde Besatzer alles an sich reißen, die einheimische
       Bevölkerung allenfalls noch als minderwertiges Arbeitsvieh tolerieren und
       ihr jede eigene Kultur absprechen, hilft zum Überleben angesichts brutaler
       Knechtung und Gehirnwäsche nur die Rückbesinnung auf die vorkoloniale
       Überlieferung – aus der dann eine postkoloniale Identität entstehen kann.
       Das freie Simbabwe ab 1980 pflegte zwar nach außen marxistische Rhetorik,
       nach innen aber gründete es auf den alten Traditionen, die im Widerstand
       gegen die Weißen untergegangen waren und dann in der Befreiung wiederbelebt
       wurden.
       
       Was hat dies mit Simbabwes Umsturz 2017 zu tun? Auch er wurde von Propheten
       vorhergesagt. Wer nachfragt, bekommt auf Anhieb sämtliche relevanten
       Bibelpassagen zitiert. Schon 2011 soll ein Prediger der Zion Christian
       Church, einer der unzähligen christlich-evangelikalen Sekten des Landes,
       unter einem Baum an einem Fluss verkündet haben, Emmerson Mnangagwa werde
       der nächste Präsident des Landes. Das war damals eine gewagte Aussage, denn
       Mnangagwas Stern war damals ziemlich tief gesunken; er galt als Mann der
       Vergangenheit, nicht der Zukunft.
       
       Es gibt dazu eine Familienanekdote: Die Zion Christian Church stand damals
       dem Geschäftsmann Larry Gono nahe, einem Neffen des schwerreichen damaligen
       Zentralbankchefs Gideon Gono, dem einst eine Liaison mit Grace Mugabe
       nachgesagt wurde. Larry Gono brach vor Jahren öffentlich auf einer
       Trauerfeier mit seinem Onkel und ging wie so viele in Ungnade gefallene
       Simbabwer ins Exil, wo er später starb – nicht ohne die
       Mnangagwa-Vorhersage zu bekräftigen.
       
       ## Machtinstrument von Mugabes Gewaltsystem
       
       Das ist aber mehr als eine Familienposse – es illustriert, wie im
       autoritären Mugabe-System Widerstand entsteht. Nach Erlangen der
       Unabhängigkeit im Jahr 1980 hatten Simbabwes Kriegsveteranenverbände
       ihrerseits die Erinnerung an den Befreiungskrieg gepflegt und
       weitergetragen. Manche alten Veteranen betätigen sich mittlerweile selbst
       als spirit mediums. Lange waren die Veteranenverbände das wichtigste
       Machtinstrument von Mugabes Gewaltsystem, in den Händen Mnangagwas und der
       Generäle. Am Ende brachen sie aber mit Robert Mugabe – seiner Frau wegen.
       
       Prophezeiungen, dass Robert Mugabe im Jahr 2017 stürzen werde, zirkulierten
       seitdem immer öfter. Im Januar wurde Sektengründer Patrick Mugadza
       verhaftet, weil er gepredigt hatte, dass Robert Mugabe am 17. Oktober
       sterben werde. Im August legte die Regierung Pläne vor, alle
       traditionellen Propheten und Heiler zu verbieten, wenn sie ohne staatliche
       Erlaubnis praktizierten – mit der Begründung, dass 85 Prozent der
       Bevölkerung sich auf sie verließen; ein klares Eingeständnis der wahren
       kulturellen Machtverhältnisse im Land.
       
       In vielen postkolonialen Gewaltsystemen Afrikas haben Propheten und
       Prediger eine zentrale Rolle in der politischen Kultur übernommen. Das wird
       international meist übersehen oder belächelt, aber das ist genauso ein
       Fehler wie die Ignoranz der Kolonialisten gegenüber der Sprengkraft
       vorkolonialer Überlieferungen. Wo es keine funktionierenden Verfassungen
       und Rechtssysteme gibt und allein die Willkür der Mächtigen herrscht, ist
       der Verweis auf den Allmächtigen und die immerwährende göttliche Wahrheit
       die einzige Möglichkeit, aus dem Volk heraus den Allmachtsanspruch des
       Staatschefs zu hinterfragen. Denn ein Diktator kann alles behaupten – außer
       dass er niemals sterben wird.
       
       ## Prophetische Verkündungen und biblische Weisheiten
       
       Je länger ein Präsident an der Macht ist, desto ausgefuchster und zugleich
       für den Staat bedrohlicher werden Prophezeiungen über sein Ende und seine
       mögliche Nachfolge. Während entwicklungspolitische Diskurse über
       Armutsbekämpfung, Verfassungsparagrafen und Handelserleichterungen
       niemanden außerhalb der universitären Elite erreichen, berühren
       prophetische Verkündungen und biblische Weisheiten das Volk unmittelbar.
       Gezielt eingesetzt, können sie politische Erdbeben auslösen. Wenn große
       Bevölkerungsgruppen davon überzeugt sind, dass Gott auf ihrer Seite gegen
       einen bösen Herrscher steht, hat das enorme politische Sprengkraft. Das
       gilt für Islamismus in muslimischen Ländern ebenso wie für Prophetentum im
       christlichen Afrika.
       
       Rückbesinnung auf die Zeiten der Sklaverei und die Sehnsucht nach Erlösung
       sind weltweit zentrale Topoi des panafrikanischen Freiheitsgedankens, wie
       die schwarze Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre in den USA mit „We Shall
       Overcome“ international sichtbar machte. Dazu gehört eben auch der aus
       Gottvertrauen gespeiste Mut, angesichts einer scheinbaren Übermacht das
       eigene Schicksal in die Hand zu nehmen und nicht auf Rettung von außen zu
       warten.
       
       Die Umwälzung in Simbabwe ist einer jener seltenen Momente, in denen sich
       dieser Mut Bahn bricht und sich als stärker erweist als politische
       Ränkespiele, obwohl ohne Letztere nichts in Bewegung geraten wäre.
       Unabhängig davon, ob Präsident Mnangagwa Simbabwe nun in eine bessere
       Zukunft führt oder nicht, bleibt dieser Moment prägend für ein Jahr der
       unblutigen Veränderung in Afrika.
       
       Was mit dem Sturz von Gambias Langzeitdiktator Yahya Jammeh im Januar
       begann, fand nun mit dem Aus für Robert Mugabe in Simbabwe seinen
       vorläufigen Abschluss. In vielen anderen Ländern ziehen Menschen, die sich
       gegen Gewaltherrscher wehren, aus diesen beiden Ereignissen Zuversicht für
       sich selbst. Eine Überlieferung, wonach friedlicher Wandel möglich ist,
       beginnt in Afrika Wurzeln zu schlagen. Daraus sprießt die Entschlossenheit,
       sich Propheten nicht nur anzuhören, sondern Veränderung selbst in die Hand
       zu nehmen.
       
       26 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominic Johnson
       
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