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       # taz.de -- Prozessbeginn wegen Iran-Sanktionen: Türkisches Gold gegen iranisches Öl?
       
       > In New York steht ein ehemaliger türkischer Minister vor Gericht.
       > Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan wittert eine Verschwörung, die Lira
       > stürzt ab.
       
   IMG Bild: Türkische Zeitungen berichten auf ihren Titelseiten über den Prozess in New York
       
       Athen taz | In New York hat in dieser Woche ein Prozess begonnen, der in
       der Türkei schon jetzt eine enorme politische Sprengkraft entwickelt.
       Offiziell angeklagt sind zwar nur ein zwielichtiger Gold- und Ölhändler,
       einige türkische Banker und ein ehemaliger türkischer Wirtschaftsminister.
       Doch indirekt sitzt in New York der türkische Staatspräsident Recep Tayyip
       Erdoğan mit auf der Anklagebank.
       
       Aus Sicht der US-Justiz geht es um illegale Geschäfte mit dem Iran, bei
       denen die Sanktionen gegen das Mullah-Regime in großem Stil umgangen worden
       sein sollen. Aus Sicht der türkischen Regierung und Präsident Erdoğan geht
       es darum, dass ein Korruptionsverfahren, dass in der Türkei im Dezember
       2013 von Gegnern Erdoğans in Gang gesetzt worden war, um ihn zu stürzen,
       nun in New York fortgesetzt wird.
       
       Wie schon 2013 beschuldigt Erdoğan auch jetzt die Gülen-Sekte, den Prozess
       in New York maßgeblich mit eingefädelt zu haben. Und aus Sicht der
       türkischen Opposition ist der jetzt begonnene Prozess in den USA die
       einmalige Chance, endlich Licht in das Dunkel des korrupten Regimes unter
       dem damaligen Ministerpräsidenten und heutigem Präsidenten zu bringen.
       
       Schlüsselfigur ist der türkisch-iranische Gold- und Ölhändler Reza Zarrab.
       Ihm wird vorgeworfen, 2012 und 2013 mit Hilfe der staatlichen türkischen
       Halk-Bank illegal iranisches Öl und Gas verkauft und den Iran auf
       verschlungenen Wegen mit Gold dafür bezahlt zu haben. Die Vorbereitungen zu
       dem Prozess laufen seit Monaten auf Hochtouren. Am Dienstag veröffentlichte
       die New Yorker Staatsanwaltschaft einen echten Coup: Sie erklärte, Reza
       Zarrab sei nicht länger Angeklagter, sondern Kronzeugen. Er sei voll
       geständig und wolle auspacken, um für sich Straffreiheit oder ein mildes
       Urteil zu erreichen. Vielleicht war das von Beginn an geplant. Andernfalls
       wäre es nur schwer zu erklären, warum Zarrab im März 2016 freiwillig von
       der Türkei in die USA reiste und dort noch am Flughafen festgenommen wurde.
       
       ## Reza Zarrab packt aus
       
       Zarrab bleibt den Anklägern nichts schuldig. Bereits bei seinem ersten
       Auftritt am Mittwoch berichtete er, wie er den damaligen türkischen
       Wirtschaftsminister Zafer Çağlayan mit fast 50 Millionen Euro Schmiergeld
       und Gewinnbeteiligung dazu gebracht habe, dass dieser die zuvor
       widerstrebende Halk-Bank dazu vergatterte, Zarrabs Transaktionen
       durchzuführen. Schon als die Korruptionsermittlungen in der Türkei am 17.
       Dezember 2013 von den zuständigen Staatsanwälten öffentlich gemacht worden
       waren, stand neben Zarrab auch Çağlayan im Zentrum der Beschuldigungen,
       dazu Söhne anderer Minister sowie Bilal Erdoğan, Sohn des heutigen
       Staatspräsidenten.
       
       Weil die Staatsanwälte und Untersuchungsrichter allesamt der Gülen-Sekte
       angehörten, mit der Erdoğan sich kurz zuvor überworfen hatte, drehte dieser
       den Spieß um und beschuldigte seinerseits die Ermittler, sie hätten in
       Wirklichkeit einen Staatsstreich im Sinn, bei dem die Korruptionsvorwürfe
       nur Mittel zum Zweck seien. Alle Anklagen wurden niedergeschlagen, die
       Ankläger gefeuert oder ins Gefängnis gesteckt.
       
       Jetzt liegen alle Vorwürfe von damals wieder auf dem Tisch, dazu kommen
       Telefonmitschnitten und Audiomaterial. Dort ist unter anderem zu sehen, wie
       Ermittler unter dem Bett des Halk-Bank Vorsitzenden Süleyman Aslan, der
       auch in New York angeklagt ist, Schuhkartons mit mehreren Millionen Dollar
       an Inhalt hervorkramten. Für Erdoğan ist der New Yorker Prozess deshalb
       nichts anderes als die Fortsetzung des gegen ihn gerichteten Komplotts von
       2013. So lässt er jetzt sogar die türkische Justiz gegen die amerikanischen
       Staatsanwälte ermitteln. Sie werden beschuldigt, ebenfalls der Gülen-Sekte
       anzugehören.
       
       Erdoğan hat in den vergangenen Jahren nichts unversucht gelassen, um diesen
       Prozess zu verhindern. Bereits als Reza Zarrab im März 2016 in Florida
       verhaftet worden war, sprach er den damaligen Präsidenten Barack Obama
       darauf an, später auch Vizepräsidenten Joe Biden und bei seinem ersten
       Treffen mit Donald Trump brachte er den Zarrab-Prozess wieder auf den
       Tisch.
       
       ## Die Lira stürzt auf einen historischen Tiefstand ab
       
       Doch es nützte nichts. Von den nach dem Seitenwechsel von Zarrab noch
       verbliebenen acht Angeklagten ist nur der Vizechef der Halk-Bank, Mehmet
       Hakan Atilla, in den USA im Gefängnis. Er wurde im März dieses Jahres
       festgenommen, als er, offenbar ahnungslos, einen Bankenkongress in
       Washington besuchte. Alle anderen Angeklagten halten sich außerhalb des
       Landes auf.
       
       Abgesehen von dem politischen Kollateralschaden für Erdoğan könnte der
       Prozess erhebliche wirtschaftliche Konsequenzen für die Türkei haben. Die
       Geldstrafen für die Halk-Bank und womöglich weitere türkische Banken
       könnten so hoch sein, dass die schwächelnde türkische Wirtschaft endgültig
       ins Trudeln kommt. Schon jetzt ist die türkische Lira wegen des Prozesses
       gegenüber dem Dollar auf einen historischen Tiefstand abgestürzt.
       
       30 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Wolf Wittenfeld
       
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